Die regierende Politik in Deutschland benutzt die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als Sündenbock und schreibt ihr zu, für den Schaden für Land, Wirtschaft und Menschen verantwortlich zu sein, den die sogenannte Ampel-Regierung wie auch zuvor die mitregierende CDU verursachen. Das gilt allerdings nur für den Fall, dass die AfD nach ihren letzten Erfolgen bei Wahlen mitregieren dürfte, wovor Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich glaubte, warnen zu müssen.
Dabei zeigt sich längst, dass die anderen angeblich «demokratischen» Parteien schon seit vielen Jahren eine Politik betreiben, die zum Teil sogar noch über die Forderungen der AfD hinausgeht. Das gilt nicht nur für den fortgesetzten Sozialabbau und die anhaltende Kriegspolitik samt Milliarden-Unterstützung für die Ukraine.
Das gilt auch für die Migrationspolitik: So stellte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Marcel Fratzscher, unlängst fest, dass die Regierungspolitik bereits die von der AfD geforderte «Remigration» zur Realität werden ließ. Der Ökonom stellte in einen Blogbeitrag fest, in Deutschland habe es einen «Dammbruch in der Migrationspolitik» gegeben.
«Die AfD behauptet nicht zu Unrecht, sie habe ihre Forderung bei der Migrationspolitik durchgesetzt, da die Bundesregierung und Unionsparteien ihre Positionen mittlerweile größtenteils kopieren und umsetzen. Viele realisieren nicht, wie weit diese Annäherung an AfD-Positionen bereits geht.»
Der DIW-Präsident meint, es sei vor geraumer Zeit noch undenkbar gewesen, dass CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder einen radikalen Kurswechsel in der Migrationspolitik fordern. Habe doch die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) («Wir schaffen das!») Grenzschließungen kategorisch abgelehnt.
Das gelte auch für die Tatsache, dass eine SPD-geführte Bundesregierung «einknickt» und Abschiebungen im großen Stil selbst nach Afghanistan und Grenzkontrollen an allen Außengrenzen ankündigt. An der Stelle muss Fratzscher sich allerdings mindestens Geschichtsunkenntnis zuschreiben lassen – dazu später mehr.
Der Ökonom schreibt, dass der von der AfD genutzte Begriff der «Remigration» «eine perfide Verzerrung der deutschen Geschichte» sei. Er sei ursprünglich für die Rückwanderung der vor dem Naziregime geflohenen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg genutzt worden — vor allem Juden und andere verfolgte Menschen.
Die AFD wolle durch «hohen Anpassungsdruck» und «maßgeschneiderte Gesetze» drei Gruppen von Menschen aus anderen Ländern aus Deutschland wieder vertreiben. Mit Blick in die Geschichte schreibt Fratzscher:
«Dabei war Deutschland zum größten Teil der vergangenen 250 Jahre ein Auswanderungsland. Zwischen 1820 und 1920 sind sechs Millionen Deutsche in die USA ausgewandert, viele andere in europäische Nachbarstaaten oder nach Übersee.»
Die hohe Zahl der deutschen Auswanderer in die USA habe dafür gesorgt, dass bei einer Abstimmung im US-Kongress im 19. Jahrhundert über die offizielle Amtssprache Deutsch dem Englischen nur knapp unterlegen gewesen sei. Deutschland, konkret die BRD, ist nach seinen Worten in den 1950er Jahren ein Einwanderungsland geworden, begonnen mit der Anwerbung der «Gastarbeiter» aus dem Süden Europas.
Heute habe jeder vierte Mensch in Deutschland einen familiären Migrationshintergrund oder sei im Ausland geboren. Doch gleichzeitig sei eine «massive Auswanderung» zu verzeichnen: 2023 habe es gegenüber zwei Millionen Eingewanderten 1,3 Millionen Auswanderer gegeben.
«Die größte Gruppe der Auswanderer sind Deutsche – mit fast 300.000 Menschen im Jahr. Und die Zahl der deutschen Auswanderer ist über die letzten 20 Jahren massiv gestiegen und hat sich fast verdreifacht.»
Es gebe zwar auch viele Rückkehrer, die Auswanderer würden aber deren Zahl um rund 80.000 übersteigen. Das sei im Vergleich mit anderen europäischen Staaten ein hoher Anteil, der das eigene Land verlasse, vor allem in Richtung Schweiz, Österreich, USA und Großbritannien.
Aber auch fast eine Million Ausländer und Asylbewerber würden Deutschland jährlich verlassen, insbesondere nach Rumänien, in die Ukraine, nach Polen und Bulgarien. Das dürfte in Verbindung mit der Tatsache stehen, dass mit fast 70 Prozent den größten Anteil der fast 14 Millionen in Deutschland lebenden Ausländer Menschen aus europäischen Staaten (9,6 Millionen) stellen – davon kommen mehr als fünf Millionen aus EU-Staaten, vor allen aus Süd- und Osteuropa.
Laut Fratzscher wandern die meisten nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen aus, weil zum Beispiel anderswo hochqualifizierte Fachkräfte besser bezahlt werden. Er zählt zu den Motiven auch eine fehlende «Willkommenskultur» in Deutschland sowie die Schwierigkeiten, sozial Fuß zu fassen sowie Bürokratie und Sprache zu bewältigen.
Hochqualifizierte Arbeitskräfte würden sich in Deutschland nicht wohlfühlen und nach relativ kurzer Zeit wieder das Land verlassen. Es sei eine «vielsagende Tatsache», dass die Verweildauer insbesondere von Menschen aus EU-Ländern und von hoch qualifizierten Experten in Deutschland vergleichsweise gering ist.
Der DIW-Präsident schreibt, dass die Zahl derjenigen zunehme, die ins Ausland abwandern wollen, sowohl Migranten und Deutsche. Zu den Gründen würden fehlende Offenheit und das Erstarken der AfD gehören.
«Die Konsequenzen von Auswanderung sind wirtschaftlich und gesellschaftlich fatal. Bei dem eh schon enormen Fachkräftemangel erfahren Unternehmen einen erheblichen Schaden. Die Wirtschaft verliert an Potenzial, die Gesellschaft an Offenheit, Toleranz und Vielfalt.»
Deutschland habe nicht das Problem zu hoher Zuwanderung, so der Ökonom, «sondern dass die Hürden für eine erfolgreiche Integration dieser Menschen zu hoch sind». Die von der AfD geforderte «Remigration» sei somit «bereits Realität», stellt er fest.
Die Verantwortung dafür sieht er in dem «Dammbruch in der Migrationspolitik» aller Parteien, die bisher regierten und regieren. Die von Ausgrenzung betroffenen Menschen, von Geflüchteten über Minderheiten bis zu sozial Benachteiligten, würden für politische Zwecke instrumentalisiert anstatt sie zu schützen.
Fratzscher rechnet damit, dass sich die reale «Remigration» weiter verstärkt. Doch was er als eine der Ursachen beschreibt, dass die etablierten Parteien eine Politik betreiben, von der die AfD bisher nur redet, ist schon länger Realität.
Das zeigte sich auch kurz nach der Aufnahme von fast einer Million Geflüchteter im Herbst 2015 durch eine entsprechende Entscheidung der damaligen Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU). So widersprach der damalige Geschäftsführer der Hilfsorganisation Pro Asyl, Günter Burkhardt, bereits 2016 in einem Interview dem Bild von der humanitären Politik Merkels.
«Öffentlich wird Merkel noch als Verfechterin der Humanität wahrgenommen. Dabei hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten Maßnahmen ergriffen, um die Grenzen Europas dicht zu machen und Flüchtlingen in Deutschland das Leben schwer zu machen.»
Nach der zum Teil unkontrollierten Aufnahme der Geflüchteten 2015 sei «eine Asylrechtsverschärfung nach der anderen» gekommen. So wurde der Familiennachzug beschränkt, wurden fragwürdige Schnellverfahren für bestimmte Asylsuchende eingeführt, Bargeld- durch Sachleistungen ersetzt, die Abschieberegeln deutlich verschärft und eine Wohnsitzauflage für Geflüchteten eingeführt.
Merkel sprach sich damals dafür aus, die Zahl der Geflüchteten zu reduzieren, und kündigte an, dafür sorgen zu wollen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole. Auch die Zahl der Abschiebungen wurde wieder deutlich erhöht. Beobachter stellten damals bereits fest, dass die vielfach geforderte Kehrtwende in der deutschen Migrationspolitik «längst vollzogen» wurde.
Die etablierten Parteien, die sich heute als «demokratisch» und vermeintliche Retter vor der AfD verkaufen, gehören schon lange zu den politischen Brandstiftern von Fremdenhass und Gewalt gegen Ausländern. Und das Personal der AfD stammt zum Großteil aus diesen Parteien, die sich schon immer als Schreibtischtäter zeigten.
Insofern ist es gar nicht verwunderlich, wenn die heutige Bundesregierung die Politik betreibt, die ihre vermeintlichen politischen Gegner einfordern. Wer sich wie DIW-Präsident Fratzscher darüber erstaunt zeigt, hat etwas nicht verstanden. Auch nicht, dass Ausländerfeindlichkeit gefördert wird, weil sie hilft, die Menschen von den tatsächlichen sozialen Problemen und den dafür Verantwortlichen abzulenken.
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