Der Titel des Merkur ist knackig formuliert: «Experten warnen vor extremen Spätfolgen - selbst bei leichten Symptomen». Auch was danach folgt, bringt der Merkur so, daß auch wissenschaftlich nicht bewanderte Leser die Botschaft sofort verstehen: «Britische Neurologen warnen eindringlich vor extremen Hirnschäden».
Das Blatt bezieht sich dabei auf den britischen Neurologen Dr. Michael Zindel der, folgt man den wissenschaftsbasierten Recherchetools, keinesfalls zu den globalen Panikmachern zählt.
Im Gegenteil.
Zindel erforscht seit März 2020 die Auswirkungen des SARS-CoV-2 Erregers auf das menschliche Gehirn, eines eigens dazu gegründete Covid-19 Arbeitsgruppe unterstützt ihn dabei.
Zindel ist kein Drosten, er tritt medial nicht in Erscheinung. Was Zindel tut, ist das, was die meisten Wissenschaftler an Universitäten tun: Er betreibt Grundlagenforschung.
Und so ist das, was er im Fachblatt Brain schildert, durchaus beachtenswert, nur: Seine Beobachtungen stützen sich auf eine Kohorte von lediglich 29 Patienten mit Covid-19. Epidemiologisch betrachtet ist eine derartige Gruppe zu klein, um aussagekräftige Schlüsse ziehen zu können.
Dass Erreger zu neurologischen Schäden im Gehirn führen können, ist keinesfalls neu. Daraus die epidemiologische Notsituation zu konstruieren, ist indes die eigentliche Katastrophe.
Schon einmal, in den späten 1990er Jahren, sprangen Medien auf Ergebnisse der Grundlagenforschung auf. Damals ging es um den im Volksmund als Rinderwahn bezeichneten Angriff von Prionen auf das Gehirn der Tiere — und in einer verwandten Form auch als Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) auf den Menschen. Tatsächlich gab es vereinzelte Fälle, in denen Menschen an der humanen Variante des Rinderwahns verstarben — bei sCJD, der spontan auftretenden Form der Erkrankung, lag die Wahrscheinlichkeit bei 1:1’000’000.
Auch die damals von nahezu allen Medien propagierte große Todeswelle blieb komplett aus. Was blieb, waren einzig gut gefüllte Kassen von Verlagen – dank knackigen Schlagzeilen. Dejá vu.
Der Vorwurf, den man angesichts der Publikation in Brain demnach heute machen muss, richtet sich nicht an Zindel. Er richtet sich an die Hauptmedien und jene Redakteure, die ohne einen Blick in die genaue Arbeit des Forschers zu werfen, nur völlig unangemessene Schlagzeilen produzieren — so wie der Merkur.