Das war schon eindrücklich, die kleine Unterredung gestern Freitag im Western-Store von dem Schweizer Cowboy. Die zahlreichen Auslagen luden ein zum Verweilen. Von der Bücherkiste am Eingang wanderte der Blick wie von selbst weiter auf den Ständer mit den originellen Flaschen und die dahinterstehende Ablage mit den Hutbändern und den indianisch anmutenden Ohrringen.
Bei solchen Festivals wie derzeit oberhalb von Birrwil im Kanton Aargau trifft sich ohnehin eine gemütvolle Klientel. Das gegenseitige Du ist geradezu obligatorisch, Gesprächsfäden sind schnell gesponnen, sofern man sich nicht still der sanftmütig-westernen Atmosphäre hingibt.
Zurück zu besagtem Store. Unser mitgebrachter kleiner Tomahawk mit integrierter Friedenspfeife war so ein Aufhänger fürs lockere Plaudern. Da hinten auf dem Tisch liege eine große Pfeife samt Adlerfeder, meinte der Verkäufer; von welchem Stamm, das ist mir entfallen. Er habe sie von dem gleichen Mann, der auch die schönen Kristalle zwischen den Auslagen zusammengetragen habe.
Auch der präparierte Nagerkopf auf dem anderen Tisch habe seine eigene Geschichte. Aus dem Fell des Tieres habe der Mann damals den Kragen für den neuen Pelzmantel seiner Frau herstellen lassen. Er selber sei Trapper in Kanada gewesen. Von ihm habe er viele Exponate und Waren für seinen Store hier bekommen.
Über 90 Jahre alt sei der Mann inzwischen. Seine Frau ist schon lange gestorben, Familie oder andere Erben habe er nicht. Bei seinem letzten Besuch in Kanada hätten sie sich wieder getroffen, und der alte Jäger habe ihm viele viele Stücke mitgegeben, die ihn sein halbes Leben lang begleitet hätten. «Du triffst vielleicht noch eher auf gute Leute, denen das auch etwas bedeuten könnte», erzählte mir sein Schweizer Freund. «Aber wenn man die Sachen nicht weitergeben kann, dann wartet dort die Mulde drauf.»
Erbfolge als Geistesfolge; oder eher umgekehrt: gleicher Geist für Erben von Ähnlichem? Es ist wohl beides. Ein Buch aus vergangenen Jahrzehnten, ein Kunsthandwerk aus früheren Jahrhunderten, ein weisheitliches Wort von tausend Jahren regen den Geist ebenso an wie dieser zugleich empfänglich sein muss für seine eigene Entgrenzung. Lernen kann man nur, wenn sich das Neue an Bekanntes anschließt, gleichwie Unbekanntes erst aufgeschlossen macht für neue Zusammenhänge.
Der Wunsch eines alten Trappers in seiner zehnten Dekade ist keine nur persönliche Sentimentalität, aber ich denke auch nicht, dass viele seiner Dinge echte kulturhistorische Bedeutung hätten. Es geht hier um eine andere Ebene: die Würdigung eines Lebens. Wie wird ein Leben gewürdigt? Nicht im unbedachten Weitertragen von Kleinigkeiten oder Anekdoten. Wertschätzung erfährt es, wenn man sich der Lebenswelt des anderen in ehrfürchtiger Neugierde nähert, weil man ahnt, dass sie zu einem sprechen möchte.
Was hat diese Pfeife wohl so besonders gemacht? Aus welcher Region stammt jener glänzende Stein? Was für eine schöne Knüpftechnik von dem Indianer-Halsband! Wie haben die damals Leder gefärbt?
Im Vorwort zu einer Bibelausgabe hatten die beiden Übersetzer Klaus Berger und Christine Nord Rechenschaft abgelegt über ihr Vorgehen und das Prinzip «verstandene Fremdheit» erläutert. Ein Bibelwort ist zunächst etwas Fremdes, das von außen an mich herantritt. Aber ich lasse es auf mich wirken und trete langsam ein in ein Geschehen. − Jene hellgraue Lederjacke mit ihren Fransen und dem gestickten Seeadler auf dem Rücken wirkt erst einmal leicht skurril. Aber irgendwie «hat sie etwas».
Ja, beide strahlen sie etwas aus, das mich neugierig machen kann auf mehr. Wer war oder ist dieser Mensch dahinter? Was weiß man sonst über sein Leben, seine Zeit in Kanada oder Palästina? Es klingt etwas an in einem, das sich gut anfühlt. Kommt da noch mehr?
Ganz praktisch kommt für mich noch mehr, ja. Ich werde in den nächsten Tagen noch einmal ans Festival gehen. − «Kommt mit, dann werdet ihr es sehen», antwortete Jesus den beiden Schülern von Johannes dem Täufer. Sie waren unschlüssig, wie sie das Phänomen Jesus einschätzen sollten. Aber die Neugierde war geweckt.
«Sie gingen mit ihm und sahen, wo er wohnte, und blieben den ganzen Tag bei ihm, bis vier Uhr nachmittags.» (Johannes 1, Vers 39 nach der Übersetzung von Berger / Nord)
Sich einfach ’mal aufgeschlossen zeigen, einer guten Witterung nachgehen und dann erfrischend Neues entdecken. Und ich bin sicher, dass ich bei nächster Gelegenheit etwas aus dem Haus jenes Trappers aus Kanada kaufen werde.
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Wort zum Sonntag vom 27. Juli 2025: Die Zeitpunkte entscheiden
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.