Manchmal lohnt es sich wirklich, langsam zu lesen: in einem Buch, nicht nur am Bildschirm. Die Worte, die Sätze wirken und sich selbst anrühren lassen von einer tieferen Dimension; das Mitgemeinte wahrnehmen, über das sich eine Erzählung erst entfaltet und das keine «KI» auf ihren Schirm bekommt.
Ich meine eine jener «Räuberpostillen», für die das Alte Testament bei vielen verschrien ist. Gewalt in einem frommen Buch; da müsse man sich ja über nichts mehr wundern, ist immer wieder zu hören. Über nichts mehr? Schauen wir doch hinein in die Geschichte, schlagen die Bibel auf beim 20. Kapitel im 2. Buch Chronik und lesen jenes Kapitel mit reduzierter Geschwindigkeit. Oder drucken es aus über diesen Link.
Worum geht es dort? Letztlich um die Frage, wer über wen triumphiert: die Umstände über den Glauben oder der Glaube über die Umstände.
Ein Nachfolger von König David residiert weiterhin in Jerusalem: Joschafat, Mitte des 9. Jahrhunderts vor Christus. Ein verbündetes Heer «von jenseits des Salzmeers» tritt auf den Plan. Späher berichten dem König von diesem Aufmarsch. Dieser erfasst sofort die Tragweite der Lage. Er «fürchtete sich», heißt es (Vers 3), und kurz darauf bekennt er auch öffentlich: «Wir wissen nicht, was wir tun sollen» − mit dem Nachsatz: «sondern unsere Augen sehen nach dir».
In diesem Gebet steckt schon der Keim der Antwort. Aber machen wir hier nicht zu schnell! Beeindruckt am ersten Abschnitt (Verse 1-4) hat mich der Dreischritt des Königs:
- Er sieht die Dinge an, wie sie sind.
- Er steht zu seinen Gefühlen.
- Er wendet sich mit dem allen zu seinem Gott.
Weder macht er sich selber etwas vor über seine eigenen Möglichkeiten noch versucht er, vor seinen Untergebenen den Starken zu spielen. Seine zweifache Beklemmung, von außen wie von innen, weckt seinen mitgebrachten Glauben. Was nützt er in der Vergangenheit? Jetzt, wo es drauf ankommt, hat er sich doch zu bewähren.
Und drauf an kommt es spätestens dann, wenn die Sackgasse ihren Schlund öffnet: keine Kalkulation geht mehr auf, sondern der gute Weg gleitet einem unter den Füßen weg. Dazu muss man erst einmal stehen können, wenn’s soweit ist! Implodieren ins Schweigen, das ist der Weg der Mehrheit, wenn sie nicht mehr weiter weiß. Explodieren in die Tat oder Untat, das gärt in einer Minderheit, wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht.
«Wenn unsere Kinder uns öfter auf unseren Knien sähen, stünde es besser mit unserer Welt», mahnte vor längerer Zeit ein Referent die anwesenden Väter.
Wer die Geschichte inzwischen gelesen hat, der weiß, sie geht gut aus. Ist sie damit aber auch beendet? Warum geht sie gut aus? Weil einer es nicht hingenommen hatte, zwischen zwei Beklemmungen zerrieben zu werden, sondern sich an Den gewandt hat, von dem ihm bisher im wesentlichen nur erzählt worden ist. Mit dem Rücken noch zur Wand hebt er Hände und Herz nach oben.
Das braucht Mut. Man könnte flott entgegenhalten, dass Not halt wieder einmal Beten gelehrt hat. Ich bezweifle das. Not lehrt eher Schweigen und Fluchen. Sie lehrt dann Beten, wenn da «mal etwas war», an das man nun anknüpfen kann, ein Gott vom Hörensagen. Reicht schon. Und Dem dann Lage und Gefühle vorhalten. Die Psalmen sind voll von diesen Aufrufen. Hier bei Joschafat kann man so einem Beter über die Schulter und ins Herz schauen.
Wie genau «sich» die Situation löst, wird im Fortgang von 2. Chronik 20 ausgeführt, ab Vers 13. Erwähnenswert daraus ist hier, wie sich eine Vorab-Gewissheit ausbreitet. Der «Geist des Herrn kam mitten in der Gemeinde auf Jahasiel», und der spricht Gottes konkrete Hilfe zu.
Das war aber nur der erste Streich. Der zweite, unmittelbar folgende war, dass der Angeredete das auch ernst nahm. Er war sich selber sicher, und nun fordert er andere ebenfalls auf, ihr Amen dazu zu sagen, ihr «Ja, so sei es». Gott handelt nicht gerne über die Köpfe hinweg. Kopf wie Herz der Menschen sollen dabeisein. Sonst haut das danach nicht hin mit dem Danken.
«Glaubt an den HERRN, euren Gott, so werdet ihr sicher sein, und glaubt seinen Propheten, so wird es euch gelingen», ruft Joschafat aus. (2. Chronik 20,20)
Ja, so geht das oftmals: Auf einmal lockert’s einem von innen heraus. Der Berg ist zwar weiterhin da, aber irgendwie nicht mehr bedrohlich. Jedem in seiner Sprache und zu seiner Zeit. Jedem.
Man lese noch einmal langsam den letzten Abschnitt: die Verse 27 bis 30.
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Wort zum Sonntag vom 22. Juni 2025: Vom Hinter-Grund
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.