Die Urzeit hat uns wieder, hat uns immer noch. Der vermeintlich primitive Mensch, der seiner Gottheit Opfer bringt: er war nie ausgestorben. Gewandelt haben sich nur die Erscheinungsweisen seiner Religiosität.
Die Messeropfer unserer Tage sind mehr als bloße Verbrechensopfer. Nicht ein individuelles Fatum hat sie ereilt. Sie waren und sind vielmehr Opfer eines übergreifenden Glaubens an die Erlösung durch Vermischung.
Eine vermeintliche nationale Reinheit hatte keine tausendjährige Glückseligkeit gebracht, sondern vielfältigen Tod. In unserer Zeit nun soll ein vielfarbiges Ineinander von anerzogener Schuld befreien: Die multi-offene Gesellschaft erlöst von einem «Trauma, das man unserem Volk nach den Krieg durch die ewigen kulthaften Schuld-Stigmatisierungen eingeimpft hat», und steigert sich, wie Rechtsanwalt Chris Moser analysiert, zu einem «Drang zur Selbstaufgabe». Heißt: Statt fremdem Blut fließt jetzt das eigene.
Zum Kult dieser Religion gehört das Verteufeln Ungläubiger ebenso wie das Zelebrieren der eigenen Orthodoxie. Reicht manchen Politikern zum Abgrenzen noch eine feurige «Brandmauer», so fordern die Trupps auf der Straße explizit den Volkstod. Ihr Hass auf das Eigene verträgt sich nicht mit einer Hochachtung vor dem Einzelleben. Wer diese Haltung als einen Geist des Todes anspricht, wird selber der Unterwelt zugewiesen und mindestens medial für vogelfrei erklärt.
Kundgebungen wie gestern in Berlin sind ihre Weihefeiern, Aufrufe und Plakate ihre Bekenntnisse, die Abgrenzung «gegen rechts» ist ihr Reinigungsritual.
«Im Kultus vollzieht sich der Umgang mit der Gottheit, und zwar in festen Formen, die durch Gewohnheit oder durch bewusste Fixierung seitens einer Sakralgemeinschaft entstanden sind. Aller Kultus hat stets den Charakter des Gemeinschaftshandelns», schreibt der Religionsgeschichtler Gustav Mensching in seinem Standardwerk «Die Religion».
Opfer werden dabei in Kauf genommen. Meist ist man zivilisiert genug, um sie nicht eigens zu fordern (Ausnahme: siehe oben), aber sollten sie vorkommen, so können sie doch die rechte Lehre nicht infrage stellen. «Schreckliche Einzelfälle dürften nicht dazu führen, dass «Geflüchtete» unter Generalverdacht gestellt werden», sei an der Berliner Kultgebung zu hören gewesen.
Doch immer sind die Fanatiker einer Religion deren schwächste Glieder. Fanatismus ist stets der Versuch, den eigenen Schatten einem bösen Anderen anzuhängen. Nur so erklären sich die geradezu liturgischen Reflexe irrer Omas und wirrer Mädels samt männlichen Begleit-Erscheinungen auf den gerade aktuellen Messermord: Zu recht entsetzte Menschen spiegeln ihnen die eigene Differenz zwischen Ideologie und Wirklichkeit. Diese Spannung selber wahrzunehmen, sie sich einzugestehen, wäre Abfall vom «rechten» Glauben. Also besser nieder mit den Ketzern! Heraus kommt ein säkular-religiöser Wahn, «ein Land im Irrsinn».
Das geht natürlich auch in moderaten Formen. Man bekundet seine Betroffenheit, legt, wenn es hochkommt, seinen obligaten Kranz nieder, nachdem sich alle Fotografen gut positioniert hatten, verwahrt sich aber zugleich gegen «Pauschalisierungen», sprich: gegen jede bessere Einsicht ins Ganze, und feiert seine morbide Gesinnung.
Die Bluttat war dann «typisch Mann», und der kaltblütige Mord schrumpft zur fehlgeleiteten Einzeltat eines psychisch Kranken, für die er nun statt einer Strafe eine umso bessere Betreuung braucht. Herr Scholz sei es ohnehin «leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen». Überhaupt dürfe das Gastrecht nun erst recht nicht eingeschränkt, sondern müsse umgekehrt sogar ausgeweitet werden.
«Aber was ist denn jetzt mit den Parks? Wie sicher darf ich mich denn ja jetzt fühlen?» wollte die sichtlich erschütterte Mutter und Moderatorin der SAT1-Morgensendung vom Polizisten wissen. − «Am besten ist es, wenn sie genau solche Orten meiden», musste ihr Manuel Ostermann, der Stellvertretende Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, zustimmen und beklagte diesen politisch provozierten «kollektiven Freiheitsverlust».
Dabei erinnerte er auch an das «Schutzversprechen» der Politiker «an unsere eigene Bevölkerung (…). Und da darf politische Ideologie keine Rolle spielen, sondern das muss Pragmatismus sein und Realismus, und das fehlt.» Mehr noch: Die hier sichtbar werdende Migrationspolitik sei selber «ein Kriminalitätsschwerpunkt. Punkt.»
Pferden legt man Scheuklappen an, damit sie sich vom Treiben rechts und links nicht ablenken, nicht scheu machen lassen. Der eingeschränkte Blick hält sie auf dem rechten Pfad. Die Scheuklappen der Ideologen halten diese auch auf dem Pfad, aber auf dem des Verderbens − für sie und ihre Länder. Sie erweisen sich als Priester des Untergangs.
Eines noch vermeidbaren Untergangs. Die Mahnungen sind vielfältig ergangen, mündlich und schriftlich ‒ und blutig. Jedes dieser Opfer ist ein himmlischer Zeuge gegen ihre Mörder in der ersten, in der zweiten und in der dritten Reihe.
«Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt ‹Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer›, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt.» − Jesus Christus, dem sie einst «werden Rechenschaft geben».
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Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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