Anfangs verhielt er sich ja noch soweit passabel, der alte Herr in der Gaststube, der quer rüber, auf unsern Stammtisch zu, plauderte. Aber irgendwie redete er sich dann in Rage.
Jetzt sei sie «endlich ’rum, die schlimmste Zeit vom Jahr», schimpfte er in unsere Richtung. «Alles bloß Geschäftlimacherei und Kitsch. Das brauch ich nicht mehr. Wegen mir bräucht es Weihnachten überhaupt nicht», bekundete er noch dem Letzten im Raum, der es genausowenig wissen wollte.
«Mit dem Alois kann man seit zwei Jahren nicht mehr reden», meinte der Wirt anschließend zu mir. Er hatte sich offenbar in die Rolle des alten Griesgram zurückgezogen; eine sichere Position für und gegen alle Unzufriedenheiten von Jahrzehnten.
Damit könnte man diese Episode abhaken − wäre da nicht das dicke Korn Wahrheit in seinen Aussagen. Budenbetreiber aus dem Schwarzwald hatten mich vor einigen Jahren ebenfalls darauf hingewiesen, als ich zwischen den Feiertagen eine Art verspäteten Weihnachtsmarkt besucht hatte, bestückt noch mit den klassischen Ständen.
Der Markt hatte über die Feiertage hinaus verlängert. Jede Festlichkeit aber war von dem Platz entwichen. «Das ist doch gar kein Weihnachtsmarkt mehr bei euch», hatte ich zu zwei Geschäftsleuten gesagt. «Das soll er auch nicht mehr sein», erwiderten sie. «Endlich ist das Gedudel vorbei.»
Wie wenn es eine weitere Bestätigung gebraucht hätte, fällt mir in den vergangenen Tagen eine kleine Meldung aus dem Iran vor die Füße bzw. auf den Bildschirm. Ein islamischer Leiter habe bei einem Treffen mit Christen in der Stadt Isfahan gemeint: «In vielen westlichen Ländern wird Weihnachten zunehmend zu etwas Weltlichem, etwas Kommerziellem gemacht. Dabei ist es in Wirklichkeit ein Tag der Erinnerung an Gott.»
Alle drei Begebenheiten stellen die eine Frage: Was bleibt von den Feiertagen übrig, inhaltlich? Enttäuschung, Ablehnung, Nachdenklichkeit sind es in diesen Fällen.
Was blieb den Menschen damals übrig von der Heiligen Nacht samt ihren Begleiterscheinungen? Staunen, Freude, Sicherheit.
Ich denke an Maria, an die Hirten und an die drei Weisen aus dem Morgenland. Maria «behielt all diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen» (Lukas 2, Vers 19), die Hirten «breiteten das Wort … aus … und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten» (Lukas 2,20), und die Weisen «zogen auf einem anderen Weg wieder in ihr Land» (Matthäus 2,12) und mieden den intriganten Herodes.
«Kunststück», möchte man bei dieser Gegenüberstellung einwerfen. «Damals alles live miterleben ist ja wohl etwas anderes als so ein kultureller Nachspann nach zweitausend Jahren.» Ist es, ja − vorausgesetzt, die monierten Gschäftli und das Gedudel sind die einzigen Überbleibsel aus damaligen Tagen. Wer nur das sieht oder sehen will, der säuft tatsächlich ab in seinem Zynismus.
Jener Moslem aus dem Iran ist näher dran, wenn er Weihnachten den «Tag der Erinnerung an Gott» nennt. Er ist sogar noch mehr. Was hatte denn die Hirten zu ihrem Jubel bewogen? Es war nur vordergründig das Geschehen selber. Es war die Tatsache, dass sie zu recht zu dem Kind in der Krippe geschickt worden waren. Das Wort der Engel hatte sich bewahrheitet. Sie wussten nun, was es mit dem ganzen Geschehen auf sich hatte.
Sie «priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war». (Lukas 2,20)
Das ist unser Scharnier, dieses «wie denn zu ihnen gesagt war». Ja, was ist denn zu uns gesagt? − Genau dasselbe:
«Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.» (Lukas 2,10f)
Jener alte Herr und die abgestumpften Marktfahrer: Hatte ihnen das je einer zugesprochen? Wenn ja: Hatten sie einmal, ein einziges Mal, darauf gelauscht? Sich nicht fürchten müssen, vor keiner Zukunft und keinem Menschen, keinerlei Gewissen sich beschwichtigen müssen, weil Ein Anderer den Weg freigemacht hat?
Je nachdem, was und wie wir gehört und geantwortet haben, wandern wir so oder anders wieder in unsere Tage zurück.
«Ein jeder Mensch glänzt: mit seinem Glauben oder mit seinem Zynismus. Aber er glänzt.» (Eugen Rosenstock-Huessy)
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Wort zum Sonntag vom 24. Dezember 2024: Wenn der Kalender zuschlägt
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf. Sein Telegram-Kanal lautet StimmeundWort.
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