Der Titel war so prägnant wie provokant: «Brot und Gesetze brechen. Radikale Nachfolge für Frieden und Gerechtigkeit». Rund dreissig Teilnehmer waren am vergangenen Mittwoch, 28. Juni, zu diesem Film- und Gesprächsabend in die Zürcher Paulus-Akademie gekommen.
Die Kurzbiografien der eigens angereisten Filmemacher Cristina Zerr und Jakob Frühmann signalisierten, dass es ihnen nicht um Corona- oder WHO-Widerstand ging; ihnen standen Kapitalismuskritik und Seenot-Rettung näher. – Umso spannender, sagte ich mir, wie sie das Thema angehen würden.
Vor allem war ich neugierig auf die Begründungen, wie sie Gesetzesbrüche aus dem Glauben heraus rechtfertigen würden. Um es vorwegzunehmen: An dieser Stelle wurde ich enttäuscht. Aber das machte nichts.
Im Mittelpunkt des Abends stand ihr Film «Breaking Bread and Laws», ein Portrait der amerikanischen Catholic-Worker-Aktivistin Martha Hennessy. Ihre Gruppe war 2018 auf das Gelände einer U-Boot-Basis vorgedrungen, um auf diese Weise gegen Atomwaffen zu protestieren. Militärische Gewalt, auch nur angedrohte, zerstöre Gottes gute Schöpfung. Dagegen zu protestieren rechtfertige auch den Einsatz des eigenen Lebens.
Der Abend selber wäre rasch erzählt und ist in groben Zügen hier nachzulesen. Mich interessierte vor allem die Meta-Ebene: Wie kommen die Aktivisten zu ihrer jeweiligen Einschätzung, hier und dort Gesetze zu missachten? Gibt es allgemeine Kriterien dafür, als gläubige Menschen «zeugnishaft übergriffig» zu werden?
Dass der eigene subjektive Bauch nicht reicht, war unbestritten. Der je eigene Ärger ist keine Legitimierung. Etwas weiter führte der Hinweis, dass ein Anliegen, eine Aktion, in einer tragenden Gemeinschaft erwogen und auf geistlichen Wegen geprüft werde. Den Kindern und Enkeln eine nicht mutwillig zerstörte Schöpfung zu hinterlassen, sei beispielweise ein übergeordnetes Kriterium.
Erwartet hatte ich, dass die Ebenen von Recht und Gesetz auch theoretisch abgewogen und auf diese Weise Kriterien deduziert würden. Aber es geht auch so herum: das allgemein Offenkundige zum Maßstab nehmen – was ja vielleicht auf eben dieses Abwägen zwischen Recht und Gesetz hinausläuft.
Dann aber – und das war mir die erste Erkenntnis des Abends – gibt es noch weitere Grundbedingungen des Lebens, gegen die sich kein Gesetz und keine Verordnung richten darf, wie etwa die Würde des Menschen oder seine Freiheit. Der einsame Tod im Altersheim dürfe dann genauso wenig von einer «Verordnung» gedeckt sein, wie man sich einen finanziellen Freiraum durch politisches Wohlverhalten sollte erkaufen müssen. «Corona»-Gesetze und digitale Währungen sind nicht weniger gewaltträchtig als eine Pipeline durch das Schutzgebiet von Indianern.
Dann aber – und das war meine zweite Erkenntnis – finden sich neben «klassisch linken» Themen ganz von selber noch weitere aktuelle. Sie werden lediglich von anderen Menschen mit anderen Prägungen wahrgenommen. Gemeinsam nähert man sich dem ganzen Leben.
«Brot und Gesetze brechen» heisst also gläubige Gemeinschaft pflegen und dann «sich umschauen und erkennen, welche Arbeit dran ist» (Martha Hennessy) und welchen Preis sie gegebenenfalls erfordert. Und diesen Preis dann auch zahlen.
Wer auch immer dann bei welcher Gelegenheit nach rechts, links, oben oder unten ausbricht: Von dieser Mitte geteilten Glaubens und gemeinsamer Bereitschaft her, aus ihr heraus, bleiben wir kritisierbar. Es geht weder um eine ideale Gesellschaft noch um ein ideales Reich. Unsere in Zukunft und Vergangenheit projizierten Phantome zählen weder heute noch am Tag aller Tage, sondern:
«Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.»
Lukas 10, Vers 27
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Wort zum Sonntag vom 25. Juni 2023: Das alte Lied von der Kontaktschuld
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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