Transition News: Sie sind mit Birgit Malsack-Winkemann sehr gut befreundet. Wie haben Sie einander kennengelernt?
Volker Graffstädt: 2013 bei der Gründung des Landesverbandes Berlin der Partei Alternative für Deutschland. Wir waren 100 Leute oder so, da kommt man halt ins Gespräch und wir sind auch im selben Bezirksverband.
Ihre Freundin wurde am 7. Dezember 2022 verhaftet. Wann haben Sie davon erfahren?
Morgens aus den Nachrichten. Sie durfte auch gar nicht anrufen. Die Polizeibeamten sind morgens um sechs rein, haben die Tür eingeschlagen und die Glastür im inneren Bereich zertreten. Zu 20 Mann, alle in Schutzkleidung. Sie haben «Polizei!» gebrüllt, sind direkt zu ihr ins Schlafzimmer und haben natürlich sofort das Handy beschlagnahmt. Sie hatte noch nicht mal die Gelegenheit, einen Anwalt anzurufen, dieser wurde vom Generalbundesanwalt informiert, mit den Worten: «Wir nehmen jetzt Ihre Mandantin fest.»
Wann waren Sie das erste Mal wieder mit Frau Malsack-Winkemann in Kontakt?
Ich habe relativ schnell eine Besuchsgenehmigung beantragt, und das erste Mal habe ich mit ihr Ende Februar, Anfang März 2023 persönlich gesprochen. Das waren drei Monate, das ist eine lange Zeit. Und das Schlimmste für mich war, ich hatte direkt neben der Justizvollzugsanstalt in Berlin, wo sie saß, zu tun. Da befindet sich ein Finanzamt, und dort hatte ich Mitte Januar einen Termin. Das war schon ein ekliges Gefühl: Zu wissen, sie ist 50 Meter von mir entfernt und ich kann nicht zu ihr. Das war schon sehr, sehr bitter.
Wie waren die Haftbedingungen hier in Berlin?
Verglichen mit dem, was ihr jetzt in Frankfurt widerfährt, waren die Haftbedingungen wohl vergleichsweise erträglich. Wobei, die ersten Monate waren schlimm:
Vom Tag der Verhaftung, Anfang Dezember, bis Ende Februar hat man sie, wie es im Fachjargon heißt, «beobachtet». Das bedeutet, man hat nachts alle zwei Stunden nachgeschaut, ob sie sich nicht vielleicht in der Zwischenzeit umgebracht hat. Mit dem Ergebnis, dass sie nicht schlafen konnte. Das grenzt an Schlafentzug.
Und die meiste Zeit war sie vollkommen isoliert und hatte praktisch keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Anfang März begann ihre Vernehmung, die sehr umfangreich war und insgesamt über 1000 Seiten ergeben hat, wie man aus der Medienberichterstattung weiß. Birgit hat an sechs Tagen insgesamt über 60 Stunden Aussage geliefert.
Und dieses Beobachten endete, glaube ich, eine Woche vor Beginn ihrer Vernehmung. Man hat sie praktisch mit Schlafentzug bis kurz vor ihrer Vernehmung malträtiert. Das hat natürlich auch einen Zweck und ist wahrscheinlich von oben angeordnet worden.
Später bekam sie dann Zellennachbarn oder wurde in einen anderen Trakt verlegt, wo sie Kontakt zu Mitgefangenen hatte, was ihr sehr gut getan hat.
Konnte Frau Malsack-Winkemann im Gefängnis an ihrem eignen Fall arbeiten?
Ja, sie konnte sich natürlich mit den Akten beschäftigen. Wobei, da gibt es ein sehr interessantes Detail: Man hat ihr zur Vorbereitung auf die Vernehmung den damaligen Ermittlungsstand, von Dezember 2022 oder Januar 2023, per Laptop gegeben und nach der Vernehmung hieß es, sie erhalte die überarbeitete Akte. Das ist aber nie passiert. Sie hat natürlich gefragt, was das soll. Daraufhin hieß es vom Generalbundesanwalt, ihr Anwalt könne ihr ja die Akten zum Besuch mitbringen. Wir reden hier über mehrere hundertausend Seiten Akten. Der Anwalt hat tatsächlich bei der Justizvollzugsanstalt Berlin gefragt, ob sie denn die Möglichkeit hätten, irgendwo einen Raum einzurichten, wo sie ungefähr 50 Billy Regale mit Akten unterbringen können. Das ging natürlich nicht.
Das muss man sich mal vorstellen: Der Generalbundesanwalt sagt, es ist nicht nötig, dass die Angeklagten sich ordnungsgemäß auf ihre Verteidigung vorbereiten. Und wenn die Anwälte etwas besprechen wollen, dann sollen sie hunderte Aktenordner mitbringen. Das ist eine völlig absurde Vorstellung.
Ein Anwalt eines anderen Angeklagten ist dann unter anderem wegen dieser Sache zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Diese Klage ist zwar nicht angenommen worden, aber unmittelbar nachdem die Klage beim Verfassungsgericht eingetroffen war, bekamen die Angeklagten plötzlich den damals aktuellen Ermittlungsstand.
Dasselbe Spiel hat sich vor dem Prozessbeginn wiederholt. Auch da hat man den Angeklagten teilweise erst jetzt den aktuellen Ermittlungsstand gegeben, also während die Verhandlungen bereits liefen.
Sie mussten in die Verhandlung mit dem Ermittlungsstand von Oktober 2023 reingehen. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit überhaupt nichts mehr zu tun.
Für den Prozess wurde Frau Malsack-Winkemann diesen Mai nach Frankfurt am Main verlegt, wo gegen neun der 26 Angeklagten verhandelt wird. Das Verfahren wird an drei Standorten geführt. Kennen Sie den Grund dafür?
Der Generalbundesanwalt hat angeblich wegen der Anzahl der Beteiligten das Verfahren auf drei Standorte aufgeteilt. Was, um es mal sehr freundlich zu formulieren, juristisches Neuland ist. Nach der Meinung aller beteiligten Anwälte und selbst von Juristen, die der ganzen Sache politisch nicht nahestehen, ist das sehr kritisch zu sehen, denn das Gesetz sagt, dass man vor seinen gesetzlichen Richter kommen muss. Nun haben wir aber das Problem, dass es 26 Angeklagte gibt – einer ist nach einem Jahr Haft gestorben – gegen die an drei Orten verhandelt wird. Aber es handelt sich um ein einziges Verfahren.
Da muss man sich natürlich fragen, wer jetzt der zuständige, also der gesetzliche, Richter ist? Wie ist das mit Aussagen und Feststellungen, die in Frankfurt getroffen werden, aber Auswirkungen auf München und Stuttgart haben beziehungsweise umgekehrt? Wie wird das kommuniziert? Es ist jetzt schon zu beobachten, dass der Informationsfluss aus den jeweils beiden anderen Verfahren an den jeweiligen Verhandlungsort sehr schwach ist.
In Stuttgart ist es so, dass der Generalbundesanwalt tatsächlich regelmäßig am Ende eines Prozesstages einen kurzen Bericht darüber abgibt, was in München und was in Frankfurt passiert. Während sich der Generalbundesanwalt in Frankfurt komplett weigert, irgendwelche Informationen aus den anderen Verfahren in das Frankfurter Verfahren einzuspeisen. Wir hatten jetzt auch schon die Situation, dass eine Beamtin des Landeskriminalamts, die das Interview des in Frankfurt angeklagten Maximilian Eder mit dem Magazin Stern überwacht hat, in München ausgesagt hat – wie das zusammenhängt, das bleibt das Geheimnis von Richterin Dagmar Illini.
Wenn man in Frankfurt eine Halle hinstellen kann, um gegen neun Leute zu verhandeln, dann kann man auch eine größere Halle hinstellen. Diese Aufteilung ist offensichtlich völlig willkürlich.
Angeblich geht es in Stuttgart gegen einen «militärischen Arm». Da sitzen aber in Frankfurt mindestens drei Personen, die als die führenden Köpfe des sogenannten «militärischen Arms» – laut der Lesart des Generalbundesanwalts – zu identifizieren wären, da sie alle ehemalige Militärs sind.
Dann gibt es einen Prozess in München, wo völlig unklar ist, gegen welchen «Arm» da verhandelt wird – gegen das Fußvolk? Und es soll eine ganze Reihe von kleineren Fischen geben, bei denen die Generalbundesanwaltschaft die Verfahren an die zuständigen Landesstaatsanwaltschaften abgegeben hat, diese Verhandlungen finden wohl vor dem Landgericht statt. Das sollen mittlerweile 47 Verfahren sein, überall im Land verteilt. Es handelt sich insgesamt um 80 Beschuldigte. Und wie gesagt, in München, Stuttgart und Frankfurt sind es 26.
Wie wird mit den Gefangenen umgegangen?
In Frankfurt war es vom 21. Mai bis 18. Juni übliche Praxis, dass sich die Angeklagten beim Verlassen und beim Betreten der Justizvollzugsanstalt vollständig entkleiden mussten, also zweimal an jedem Verhandlungstag. Und sie mussten in nacktem Zustand von vermummten Personen eine Leibesvisitation erdulden, inklusive Inspektion aller Körperöffnungen – angeblich aus Sicherheitsgründen.
So etwas hat eigentlich durch den medizinischen Dienst zu geschehen, was offenkundig nicht der Fall ist. Die drei Frauen können aufgrund der Vermummung oft nicht einmal erkennen, ob ihnen eine Frau oder nicht doch ein Mann gegenübersteht. Gegenwärtig ist in Frankfurt nur die Inspektion der Körperöffnungen weggefallen.
Dafür konnte man jetzt aus München vernehmen, dass dort seit August mindestens Hildegard Leiding und eine weitere Angeklagte diese besonders entwürdigende Prozedur der invasiven Leibesvisitationen über sich ergehen lassen müssen. Und laut der oppositionellen Stattzeitung wurde Johanna Findeisen, Politikerin der Partei Die Basis, bei ihrer Überführung von Schwäbisch-Gmünd nach Frankfurt «mehrfach gefesselt» und konnte sich daher während des mit hoher Fahrtgeschwindigkeit durchgeführten Transports kaum festhalten. Michael Fritsch war in der Haftanstalt über sieben Monate vollständig isoliert worden und durfte nicht einmal an der Beerdigung seines Bruders teilnehmen.
Das sind alles Mosaiksteinchen, die für mich ein erschreckendes Bild ergeben: Die Behörden bewegen sich hier ganz bewusst in einer Grauzone im Übergangsbereich zur Folter. Offenbar möchte man die Angeklagten psychisch brechen. Was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dazu zu sagen hätte, ist für mich klar. Nur bis das alles dort landet, vergeht eben viel Zeit, und bis dahin können die machen, was sie wollen.
Diese vielen Verfahren an unterschiedlichen Orten scheinen den Prozess undurchsichtig zu machen ...
Wir haben es hier mit einer Situation zu tun, in der die Regierung sehr schwach dasteht und offensichtlich bemüht ist, alle politischen Strömungen, alle Strukturen, die ihr nicht genehm sind, kleinzuhalten, um nicht zu sagen, zu zerschlagen. Ich will das jetzt nicht noch schärfer formulieren. Es ist ein übliches Verfahren, das lässt sich historisch belegen: Wenn Regierungen ein neues System etablieren oder ihre Macht stabilisieren wollen, bedienen sie sich gerne politischer Schauprozesse.
Es sieht danach aus, dass die politisch weisungsgebundene Generalbundesanwaltschaft einen Schauprozess zu inszenieren versucht, um alles, was in diesem Land oppositionell zuckt, einzuschüchtern, zu diskreditieren, zu delegitimieren.
Es wird immer vom «Reichsbürgerprozess» geredet. Das ist natürlich Framing. Die wenigsten, die da sitzen, haben irgendwelche Bezüge zur Reichsbürgerideologie. Es ist aus meiner Sicht eine Art Reichstagsbrandprozess ohne Reichstagsbrand. Im Kern geht es um den Vorwurf, man habe einen Sturm auf den Reichstag geplant. Das ist eine völlig absurde Idee.
Im Übrigen ergibt es sich wohl aus den Ermittlungsakten, die 425.000 Seiten umfassen, dass niemand in der Gruppe irgendetwas hatte, was auch nur in die Nähe eines ernsthaften Plans für einen Angriffs auf den Reichstag kommt. Was es geben soll, ist besoffenes Gequatsche, das mitgeschnitten wurde, wo einer nach dem siebten Bier, dem neunten Glas Wein oder der zweiten Flasche Whisky dummes Zeug erzählt hat. Da können Sie zehn Stammtische hier in Deutschland anhören und werden mindestens bei drei davon ähnliche Äußerungen hören.
Was wird Frau Malsack-Winkemann konkret vorgeworfen?
Es gibt zwei abstrakte Tatvorwürfe: «Bildung einer terroristischen Vereinigung» und «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens». Im Konkreten wird ihr vorgeworfen, sie habe eine Führung durch die Räumlichkeiten des Bundestages gemacht und zwar mit Maximilian Eder und zwei weiteren Männern, die ebenfalls angeklagt sind. Möglicherweise wurde das durch die Astrologin Hildegard Leiding vermittelt, die von Birgit, als sie Bundestagsabgeordnete war, auch eine Zeit lang beschäftigt wurde.
Jeder Bundestagsabgeordnete kann jederzeit mit einer kleinen Gruppe – ich glaube, mit bis zu sechs Personen – ohne das vorher anzumelden, eine Führung durch den Bundestag machen. Man muss nur hinkommen, die Leute geben ihre Ausweise an der Pforte ab, bekommen einen Besucherausweis und dann kann man innerhalb des gesamten Komplexes herumlaufen.
Es gibt sogar Fotos von dieser Reichstagsbesichtigung, die einer der Besucher mit seinem Handy gemacht und laut der Ermittlungsakte dann nie wieder angeschaut hat – erst die Beamten vom Bundeskriminalamt griffen das erste Mal darauf zu, als sie das Handy an sich genommen und die Bilder runtergeladen haben. Diese Fotos aus der Ermittlungsakte hat die Zeitschrift Stern veröffentlicht.
Es ist unstreitig, dass diese Besichtigung stattgefunden hat. Aber das ist überhaupt kein ungewöhnlicher Vorgang. Birgit hat vor einigen Tagen ausgesagt, dass sie in den vier Jahren ihrer Bundestagstätigkeit hunderte von Besuchern durch die Gebäude geführt hat, da das einfach auch zu den Pflichten eines Abgeordneten gehört.
Der zweite Punkt ist: Man wirft ihr vor, sie habe durch ihren ehemaligen Status einem imaginären Sturmtrupp die Tür öffnen sollen.
Jeder, der schon mal den Reichstag besucht hat, weiß, dass es da Sicherheitsschleusen gibt. Sieht das bei ehemaligen Bundestagsabgeordneten anders aus?
Auch als ehemalige Bundestagsabgeordnete hätte sie das komplette Sicherheitsprotokoll durchlaufen müssen. Ich frage mich, woher der Generalbundesanwalt seine Vorstellung nimmt, sie hätte sozusagen als Türöffner einen bewaffneten Trupp in den Bundestag hineinbringen können. Das ist technisch nicht möglich. Offensichtlich hat niemand beim Generalbundesanwalt jemals den Bundestag von innen gesehen, anders ist das, was in der Anklageschrift steht, nicht zu erklären.
Wenn Sie in den Bundestag wollen, dann kommen Sie zuerst an eine Pforte. Das ist ein kleiner Raum mit Panzerglas. Sie sagen Ihren Namen und bei wem Sie einen Termin haben. Dann müssen Sie warten, bis Sie abgeholt werden. Inzwischen gibt man den Ausweis ab und bekommt einen Besucherausweis. Danach geht eine Tür auf und man kommt in einen zweiten Raum, der nach allen Seiten durch Panzerglas abgesichert ist. In dem befindet sich die Sicherheitsschleuse, wie im Flughafen, da wird der Rucksack kontrolliert und die Besucher müssen durch einen Scanner.
Das ist eine Sicherheitsschleuse, die komplett abgeschottet ist. Sie bekommen da keine Waffen durch. Völliger Irrsinn. Selbst wenn jemand so wahnsinnig wäre, das zu tun, dann schießt der maximal drei Wachleute in der Sicherheitsschleuse tot. Das bekommt jeder mit und dann wird höchstwahrscheinlich Alarm ausgelöst. Die Bundestagspolizei riegelt den Bereich ab und der Eindringling sitzt in der Sicherheitsschleuse fest. Diese Vorstellung des Generalbundesanwalts ist völlig absurd und, wie gesagt, nur durch vollständige Unkenntnis der Gegebenheiten vor Ort oder bewusste Böswilligkeit zu erklären.
Drittens wird ihr vorgeworfen, sie hätte die Leute mit Informationen versorgt, zum Beispiel mit dem Sitzungskalender. Aber diese Informationen sind frei zugänglich. Sie können jederzeit ins Internet reingehen und sich den aktuellen Sitzungskalender für das Jahr 2024 herunterladen. Sie können genau sehen, wann der Bundestag tagt. Das sind Informationen, die jeder Mensch mit einem Rechner, einem Internetanschluss und einem IQ oberhalb der eigenen Schuhgröße in Sekunden runterladen kann.
Außerdem wird ihr vorgeworfen, sie hätte in einem Chat oder einem Telefonat gesagt, dass die Bundesregierung mit Blick aufs Rednerpult links sitzt. Das sieht jeder Mensch jeden Abend in der Tagesschau. Was ist denn daran geheim?
Heißt das, Frau Malsack-Winkemann wurde abgehört, als sie Bundestagsabgeordnete war?
Wahrscheinlich. Also ich habe selbst ein Schreiben vom Generalbundesanwalt bekommen, dass ich Drittbetroffener einer Abhörmaßnahme bin, die vom September bis Dezember 2022 lief. Es soll sich aber aus der Ermittlungsakte ergeben, dass Frau Dr. Malsack-Winkemann wohl tatsächlich bereits ab dem Tag abgehört wurde, als sie für den Deutschen Bundestag kandidierte. Und das deutet darauf hin, dass sämtliche Abgeordneten der AfD flächendeckend abgehört werden.
Das hatte also nichts mit ihrer Tätigkeit als Richterin zu tun?
Spätestens ab dem Zeitpunkt, als sie im Bundestag saß, soll sie abgehört worden sein. Und zwar nicht vom Bundeskriminalamt, sondern von, wie man in der DDR sagte, Horch und Guck, also aktuell dem Verfassungsschutz.
Sie sitzt derzeit seit einem Jahr und acht Monaten in Untersuchungshaft. Womit wird denn diese lange Untersuchungshaft begründet?
Mit drei Dingen: Erstens mit ihrer angeblichen Gefährlichkeit, zweitens mit der möglichen Straferwartung und drittens mit der Fluchtgefahr. Jetzt kommen wir zu dem Thema Framing und warum das in der Presse «Reichsbürgerprozess» genannt wird: Das ergibt sich nämlich aus den veröffentlichten Haftverlängerungsbeschlüssen vom Juli 2023.
Da steht als Grund «Fluchtgefahr» drin, die Personen könnten in einem «Milieu von Corona-Leugnern, Querdenkern, Q-Anon-Anhängern, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Neonazis abtauchen». Hier wird also erzählt, es gäbe ein riesiges unterirdisches Netzwerk aus den genannten Gruppierungen, das anscheinend Tag und Nacht nichts anderes macht, als am Sturz dieser Republik zu arbeiten. Und die wären nur die Spitze dieses Eisbergs. Das ist im Grunde genommen die Erzählung – das Framing – das hier bedient wird.
Seit der Veröffentlichung der RKI-Protokolle wissen wir, dass die meisten Verschwörungstheorien wahr sind. Hier wird einfach mit Begriffen hantiert, die in die Welt gesetzt und bewusst nicht definiert werden. Und wenn Sie das Manifest von Querdenken lesen, geht es Querdenkern um die Wiederherstellung der Grundrechte. Was das mit Neonazis zu tun haben soll, erschließt sich mir überhaupt nicht. Weiter auseinander kann man doch gar nicht liegen. Da werden bestimmte Vorstellungen mit Absicht projiziert und bewusst ein politisches Framing gesetzt. Es wird ein Schauprozess geführt.
Wie wird denn der Zusammenhang zur Reichsbürger-Szene, falls es die überhaupt gibt, hergestellt?
Was das ganze mit Reichsbürgerei zu tun haben soll, ist wirklich sehr fragwürdig. Offensichtlich hat folgendes stattgefunden: Es gab diese Katastrophe im Ahrtal, wo zwei der heute Angeklagten, Peter W. und Maximilian Eder, vor Ort waren und mithalfen. Und es gab Kontakt zu Hildegard Leiding. Man saß also zusammen, sah die Katastrophe im Ahrtal und befürchtete, dass eine Impfpflicht eingeführt würde.
Jedenfalls ist dann wohl folgendes passiert: Maximilian Eder, als ehemaliger Oberst, soll an aktive hohe Offiziere der Bundeswehr, also mindestens in einem Fall, herangetreten sein und gesagt haben, dass es so nicht weitergehen kann. Das Gespräch ist natürlich ergebnislos geblieben. Und dieser hohe Offizier hat sich dann beim MAD, dem Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr, gemeldet. So war die Gruppe schon ab Beginn unter Beobachtung des MAD, also schon im Juli 2021. Kurz danach gab es diese Reichstagsbesichtigung.
Später sind diese ehemaligen Militärs rund um Herrn Eder an Heinrich XIII. Prinz Reuß gekommen. Dieser bemüht sich um die Restitution von enteignetem Vermögen seiner Familie und hat im Laufe von Jahrzehnten etliche Prozesse gegen die Bundesrepublik geführt – mit überschaubarem Ergebnis. Insoweit ist auch hier der Vorwurf, Herr Reuß sei Reichsbürger, völlig absurd: Wenn er ein Reichsbürger wäre, hätte er nicht immer wieder die Justiz bemüht.
Auch eine «Allianz» soll eine Rolle spielen?
Man hat sich offensichtlich folgendes einreden lassen – von wem, wird man sicherlich im Rahmen dieses Prozesses noch untersuchen müssen: Erstens, es gäbe unterirdische Verliese, in denen Kinder gefoltert würden, um irgendeine Substanz zu gewinnen, mit der bestimmte Personen sich ein längeres Leben verschaffen wollten. Also suchte man tatsächlich aktiv diese unterirdischen Verliese.
Und es gäbe eine «Allianz», an der wären Donald Trump, Wladimir Putin, Xi Jinping und irgendwelche Geheimdienste und möglicherweise auch Außerirdische beteiligt. Diese «Allianz» würde Gruppierungen, die diese unterirdischen Verliese unterhalten, bekämpfen. Und diese «Allianz» würde irgendwann intervenieren.
Einer der in Stuttgart Angeklagten, hat erzählt, er wäre ein Vertreter dieser «Allianz», hätte auch schon Kinder aus diesen Verliesen befreit. Sie haben sich das also einreden lassen. In Erwartung der Intervention dieser «Allianz» ist dann wohl so etwas wie ein «Rat» für die Zeit danach gebildet worden, und Hildegard Leiding hat Birgit dafür rekrutiert.
Man hat zusammengesessen, gut gegessen, gut getrunken und hat vor sich hin gesponnen. Es ist nie von irgendwelchen aktiven Handlungen gesprochen worden. Maximal davon, was sein könnte, falls diese «Allianz» mal wirklich eingreift. An dem Tag sollten die Akteure abgeholt und zu ihrer eigenen Sicherheit erst einmal im Land herumgefahren werden.
Ja, das ist Spinnerei, aber wo ist das aktive Eingreifen dieser Gruppe? Mehrere Zeitpunkte hätten angeblich als Signal dienen sollen, wie der Tod von Queen Elisabeth II., und immer ist genau nichts passiert. So haben sich ab Mitte 2022 mehrere Leute, unter anderem auch Birgit, gefragt, was das soll, wo denn mal konkret Vertreter der «Allianz» seien, mit denen man sprechen könne. Und an dieser Frage ist die ganze Gruppe zerbrochen.
Die Gruppe hatte sich also, zu dem Zeitpunkt als die Verhaftungen stattfanden, bereits aufgelöst?
Ja, das ganze Thema war eigentlich längst erledigt. Und in dem Moment schlug die Staatsgewalt zu.
Haben Sie privat auch über diese Themen gesprochen?
Nein, Birgit war damals mit ihrem Richterdienstverfahren beschäftigt. Sie ist ja im Oktober 2021 aus dem Bundestag ausgeschieden. Die Bundestagswahl fand im September statt und ihr Mandat endete im Oktober. Dann hat sie erstmal eine Übergangszeit gehabt und im März 2022 wollte sie in den Richterdienst zurückkehren. Sie ist ja Zivilrechtlerin, zuständig für Baurecht. Und dann stellte sich plötzlich die Berliner Justizsenatorin hin und befand, dass man eine solche Person nicht im Staatsdienst, nicht als Richterin dulden könne.
Was war die Begründung dafür, dass man Frau Malsack-Winkemann den Weg zurück ins Richteramt versperren wollte?
Wegen irgendwelcher Reden im Bundestag. Wobei das vom Abgeordnetengesetz und von der Verfassung geschützt ist, denn gerade als Abgeordneter soll man auch mal etwas scharf und pointiert formulieren können, ohne dass dies Konsequenzen hat. Es waren vielleicht vier oder fünf Zitate, die ihr tatsächlich vorgehalten wurden. Das war aber nur ein Aufhänger:
Man wollte viel eher zeigen, dass man Menschen, die sich für die AfD entscheiden, fertig machen kann. AfD-Mitglieder sollen vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden. Und das sollte mit Birgit exemplarisch vorgeführt werden.
Sie hat sich natürlich dagegen gewehrt und im Oktober 2022 auch Recht bekommen. Der Antrag der Justizsenatorin, Dr. Birgit Malsack-Winkemann aus dem Richterdienst zu entfernen, ist komplett abgeschmettert worden. Es gab eine Berufungsfrist und die endete einige Tage nach ihrer Verhaftung.
Auch da frage ich mich, ob dieser zeitliche Zusammenhang Zufall ist. Zumal die damalige Berliner Justizsenatorin, Lena Kreck, den Haftbefehl zu ihrer Berufung gepackt hat – allerdings ist der Haftbefehl Teil der Ermittlungsakte und hätte ihr gar nicht vorliegen dürfen.
Wie lange war Frau Malsack-Winkemann eigentlich Richterin, bevor sie Bundestagsabgeordnete wurde?
Seit Ende der 1990er Jahre. Sie hat den Beruf sehr lange und gerne ausgeübt. Dass sie am Landgericht gelandet ist und man ihr solche Prozesse wie zum Beispiel die Rigaer Straße übertragen hat, spricht ja auch für sie.
Worum ging es bei diesem Prozess «Rigaer Straße»?
Um ein besetztes Haus in Berlin, in dem sich die Kaderschmiede der sogenannten «Antifa» befindet. Die angeblichen Eigentümer des Gebäudes wollten eine Räumung erwirken. Die Frage war, ob die Anwälte ordnungsgemäß beauftragt waren und wer eigentlich der Eigentümer ist. Und beides konnten die Anwälte, die dort im Prozess aufgetreten sind, nicht sauber nachweisen. Daraufhin hat Birgit die Klage abgewiesen.
Selbst als Mitglied der AfD hat sie zugunsten der Hausbesetzer, zugunsten der «Antifa» entschieden, weil es juristisch korrekt war. Das hat sie jetzt auch im Prozess ausgesagt: Für sie ist völlig klar, dass es zwischen Justiz und Politik eine Trennung geben muss. Und das hat sie auch immer gelebt.
Da Sie eben die «Antifa» erwähnt haben: Es gibt ein Flugblatt, auf dem die vollen Namen der 27 Menschen, die am 7. Dezember 2022 verhaftet wurden, veröffentlicht sind. Von wann und von wem stammt das?
Das stammt vom Mittwoch, dem 7. Dezember 2022. Und in diesem Dokument führt die «Antifa Freiburg» alle betroffenen Personen mit Klarnamen auf, teilweise auch, in welchem Zusammenhang sie zueinander stehen und so weiter. Da fragt man sich natürlich, wie die «Antifa Freiburg» wenige Stunden nach Beginn dieser Aktion das wissen kann. Aber der Bezug zwischen der deutschen Innenministerin Nancy Faeser und der «Antifa» ist ja bekannt.
Aber es ist nicht nur die vermeintliche «Antifa», der man Informationen gesteckt hat. Sie haben zum Interview einen dicken Ordner nur mit Zeitungsartikeln mitgebracht ...
Es ist ein Trauerspiel und gehört zu dem ganzen Framing, das da stattfindet: Medien werden systematisch mit Informationen versorgt. Das fängt damit an, dass die Presse am Tag der Verhaftungen bei Prinz Reuß und bei Birgit mit einem großen Aufgebot vor Ort war. Nachbarn haben mir erzählt, dass die Pressevertreter schon um 4:30 Uhr vor Ort waren und in aller Gemütsruhe ihr Equipment aufbauten. Die Polizei hatte Mühe, sich durch die Journalisten durchzukämpfen.
Laut der Bundestagsabgeordneten Martina Renner von der Linksfraktion hat die Presse teilweise 14 Tage vorher Bescheid gewusst, Renner selbst eine Woche vorher. Da fragt man sich, wie das sein kann, dass die Presse über die Verhaftung von Personen Bescheid weiß, noch bevor es Haftbefehle gibt?
Und dieses Bild setzt sich kontinuierlich fort. Ich habe mir eine Aufstellung gemacht: Es hat von Dezember 2022 bis April 2024, bis zur Eröffnung des Verfahrens, ungefähr 30 Pressekampagnen gegeben, von denen einige sich auch nur auf die Person Malsack-Winkemann konzentriert haben. Und daran ist zu sehen, dass immer wieder gezielt Informationen an die Presse durchgestochen worden sind, und zwar reihum: Mal hat die Süddeutsche Zeitung was gekriegt und häufig Die Zeit.
Die Zeit konnte im Mai 2023 ein riesiges Dossier veröffentlichen, wo Inhalte von abgehörten Gesprächen wiedergegeben wurden. Die Süddeutsche hat da schon angefangen, Fotos aus der Ermittlungsakte zu veröffentlichen. Dann war mal der Focus dran, der Spiegel und zum Schluss der Stern.
Und im Stern war zu lesen, sie hätten 400.000 Dokumente einsehen können. Die gesamte Ermittlungsakte hat 425.000 Seiten. Das heißt, der Stern hat anscheinend die komplette Ermittlungsakte vorliegen. Bei der Hausdurchsuchung haben Polizeibeamte Fotos gemacht. Diese Fotos, die zur Ermittlungsakte gehören, wurden vom Stern veröffentlicht. Das ist eine Verletzung der Privatsphäre, aber die Staatsanwaltschaft in Karlsruhe scheint das nicht zu tangieren.
Der Stern hat sogar einen Bericht gebracht, welche drei Bundestagsabgeordneten Dr. Birgit Malsack-Winkemann im Gefängnis besucht haben. Obwohl für Abgeordnete Sonderregelungen gelten: Sie werden nicht auf das normale Besuchskontingent angerechnet, sondern werden wie Anwälte behandelt. Das heißt, sie können als Abgeordnete auch ohne Aufpasser mit Gefangenen sprechen. Drei Bundestagsabgeordnete haben Birgit besucht und der Stern hat die Namen veröffentlicht und wann sie jeweils die Besuchsgenehmigung erhalten hatten. Diese Information kann nur der Generalbundesanwalt haben, weil er die Besuchsgenehmigung erteilt. Das ist nicht Teil der Ermittlungsakte.
Es scheint jemanden in der Generalbundesanwaltschaft zu geben, der die Pressekampagne generalstabsmäßig lenkt. Aber die zuständige Staatsanwaltschaft Karlsruhe meint, sie können die undichte Stelle nicht ermitteln, weil so viele Beamte mit dem Fall beschäftigt seien.
All diese Medienberichte sollen dafür sorgen, dass das Urteil so ausfällt, wie man es sich wünscht. Es wird damit sowohl auf die Ermittlungsbehörden als auch auf das Gericht ein politischer und medialer Druck erzeugt, um zu bestimmten Ergebnissen zu kommen.
Es wird also versucht, Bundestagsabgeordnete einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, ihre ehemalige Kollegin im Gefängnis zu besuchen. Sie haben im Vorgespräch auch erwähnt, dass die Verhaftung von Frau Malsack-Winkemann nicht nur darauf abziele, sie als Richterin zu verhindern, sondern dass das auch mit ihrem Einsatz gegen die Impfpflicht zusammenhängen könne?
Unter den Angeklagten sind etliche Personen, die in der Demoszene aktiv sind oder im Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen waren. Und auch Birgit war vom ersten Tag an, als der ganze Pandemie-Unsinn anfing, davon überzeugt, dass das alles Quatsch ist.
Dass es sich also um keine Pandemie handelt?
Genau, dass es keine Pandemie gibt. Sie hat das buchstäblich vom ersten Tag an gesagt, als selbst in der Fraktion viele Leute Angst hatten. Und sie hat mit einer Beharrlichkeit und Konsequenz gegen die Maßnahmen gekämpft – mit einer Vehemenz, die wirklich beachtlich ist.
Am Ende hat sie die gesamte Fraktion gegen die Impfpflicht auf Linie gebracht. Bei der Abstimmung im April 2022 waren es ja die Stimmen der AfD, die dafür ausschlaggebend waren, dass wir keine Impfpflicht haben.
Das ist zusammen mit einigen anderen die persönliche Leistung von Birgit Malsack-Winkemann. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das der Hauptgrund ist, weswegen sie da ist, wo sie jetzt ist. Das ist die Rache des Systems dafür, dass sie die Pharmaindustrie um ein Milliardengeschäft gebracht hat.
Und es soll natürlich grundsätzlich ein Zeichen gesetzt werden: Wer gegen uns ist, den machen wir richtig fertig. Selbst wenn bei einer Verurteilung die Strafe mit der U-Haft abgesessen sein sollte, führt das dazu, dass die Angeklagten die Kosten des Verfahrens tragen müssen. Also die Pflichtverteidigung und die notwendigen Auslagen. Dazu gehören zum Beispiel die Abhörmaßnahmen, die Transporte, die Ermittlungen und so weiter. Da reden wir über mehrere Millionen Euro, allein über 24 Millionen Euro Personalkosten. 3000 Leute, die Türen eintreten und Wohnungen auf den Kopf stellen, teilweise zwei Tage lang. Da kommt richtig Geld zusammen.
Oder zum Beispiel die Halle, die man in Frankfurt für über eine Million Euro extra für den Prozess errichtet hat. Wir reden hier über Prozesskosten jenseits der 50 Millionen, wahrscheinlich inzwischen annähernd 100 Millionen Euro, die der Steuerzahler für diesen Unsinn bisher ausgegeben hat.
Wenn es zu Verurteilungen kommt, tragen die Verurteilten die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch. Das heißt, der Staat kann sich, bei denen das Geld holen, die etwas haben: also bei Birgit und bei Prinz Reuß. Die machen die Leute wirtschaftlich fertig.
Worauf zielt Ihrer Meinung nach dieses gesamte Verfahren ab?
Es ist ein Missbrauch des Rechtsstaats, der hier stattfindet. Und es ist offensichtlich ein Verfahren, das dazu dient, die gesamte Opposition in diesem Land einzuschüchtern. Deswegen auch dieser Bezug zu Reichsbürgern, Querdenkern und so weiter. Alles, was der jetzigen Regierung nicht passt, wird kriminalisiert.
Für mich ist das eine politische Inszenierung. Der Tatvorwurf lautete ursprünglich auf «Bildung einer terroristischen Vereinigung» und wurde dann erweitert auf «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens». Die letzten und einzigen Verfahren wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens in der Bundesrepublik Deutschland hat es in den 1950er Jahren gegeben und zwar im unmittelbaren zeitlichen und personellen Zusammenhang mit dem KPD-Verbot. Und dann weiß man, wo die Reise hingehen soll.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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