Zwei Ereignisse anfangs der 1980er Jahre haben dazu geführt, dass der öffentliche Verkehr in der Schweiz zu dem geworden ist, was er heute ist. Ein leicht einzuprägender Taktfahrplan, der auch das hinterste Bergtal umfasst, mit mindestens einem Stundentakt und einem Halbtaxabonnement für hundert Franken.
Das war die Antwort auf das damals als Gefahr wahrgenommene «Waldsterben»: der öffentliche Verkehr wurde schnell, bequem, zuverlässig und engmaschig. Bis heute wird stetig in diese Infrastruktur investiert und an den Erfolgsfaktoren wir nicht gerüttelt.
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern ist es in der Schweiz auch so, dass Fahrscheine nicht an einen bestimmten Zug oder Bus gebunden sind. Mehrfahrtenkarten und Verkehrsverbundorganisationen führen dazu, dass man selbst Fernverkehrszüge praktisch so flexibel nutzen kann wie ein Tram. Praktisch alle ÖV-Betreiber sind in dieses System eingebunden – auch zum Beispiel Privatbahnen.
Allerdings zirkulieren schon länger Bedenken in Bezug auf den Datenschutz, denn die Abonnemente werden natürlich seit einigen Jahren nicht mehr auf Papier ausgedruckt, sondern auf dem sogenannten SwissPass abgespeichert.
Es handelt sich dabei um eine rote Plastikkarte im Kreditkartenformat. Sie enthält zwei RFID-Chips. Der eine Chip wird für die Kontrolle der Berechtigung zum Bezug von ÖV-Leistungen verwendet, sprich: darauf sind die Abonnements gespeichert, der andere für Partnerleistungen. Auf den Chips werden Name, Vorname, Geburtsdatum und Geschlecht gespeichert. Das Bild ist auf dem SwissPass selber aufgedruckt.
Der Datenschützer hat sich schon vor einigen Jahren mit diesem System befasst. Er bemängelte, dass auch bei Fahrscheinkontrollen Daten gesammelt werden (die allerdings nach 90 Tagen gelöscht werden).
Es werden nun neue Angebote entwickelt, die wiederum Fragen in Bezug auf den Datenschutz aufwerfen. Das neue «Halbtaxplus»-Abo soll Menschen, die aufgrund von «Corona» aus dem ÖV ausgestiegen sind, wieder zurückholen. Es handelt sich dabei um ein System, das nur über das Mobiltelefon funktioniert. Wer vom Angebot profitieren will, muss seine Tickets digital lösen.
Das «Halbtaxplus» ist aber nur der Anfang, quasi die Einstiegsdroge: Die Verkehrsunternehmen treiben den digitalen Umbau voran und wollen dafür ein eigenes Ortungssystem entwickeln. Das wurde zwar per Fahrplanwechsel im Dezember 2023 bekanntgegeben, hat aber in den Medien bis heute kaum Wellen geschlagen.
Ab 2035 sollen praktisch nur noch digitale Tickets verkauft werden. Die Branchenorganisation «Alliance Swisspass» erwägt unter dem Namen «myride» gar einen fundamentalen Umbau des Systems: Die Reisen der Passagiere sollen per Mobiltelefon aufgezeichnet und abgerechnet werden. Im Frühling soll ein Test zeigen, wie die Kundschaft darauf reagiert. Erste Elemente würden dann frühestens zwei Jahre später angeboten.
Das wäre aber nur der Beginn zu einer Tarifrevolution. Alliance Swisspass denkt nämlich darüber nach, kein bestehendes System für den längerfristigen digitalen Umbau einzukaufen. Es soll eine Eigenentwicklung sein, was im Schweizer ÖV eine lange Tradition hat.
Das bedeutet auch, dass viele Dinge noch nicht entschieden sind und der ÖV-Benutzer durch sein Verhalten auf die Entwicklung Einfluss nehmen kann. Eine Frage, die zum Beispiel im Raum steht ist: Wie kann die automatische Reiseerfassung Anonymität garantieren?
Die Technik wird in einigen Jahren auch ermöglichen, dass eine Kombination von Standortdaten und Fahrplan erkennen kann, ob eine bestimmte Person im Zug sitzt oder nicht. Bei einem solchen Modell müssten Passagiere dann am Beginn der Reise nicht einmal mehr die App starten – das Handy erkennt automatisch, wo sie ein- und aussteigen.
Klar ist, dass der Datenschutz bei jedem dieser Entwicklungsschritte ein riesiges Thema sein wird. Denn Alliance Swisspass hat ein grosses Interesse daran, den SwissPass (oder seine Version auf dem Mobiltelefon) zu einer Datenkrake auszubauen.
Wenn möglichst viele Verkehrsdaten erhoben werden, kann es möglich werden, durch künstliche Intelligenz Betrügereien, die auch in der digitalen Welt möglich sind, auf die Schliche zu kommen, die zum Beispiel durch Manipulation der Ortungsdaten oder das Abschalten des Handys geschehen.
Und was ist mit Personen, die kein Mobiltelefon besitzen oder ihr Ticket in bar bezahlen möchten? Hier denkt die Branche tatsächlich darüber nach, eine alternative Lösung zu etablieren.
Die Digitalisierung hat also für die ÖV-Branche in der Schweiz erhebliche Vorteile. Aber die Fahrgäste haben es in der Hand, ob sie die Datenkrake akzeptieren oder nicht. Die Branchenorganisation Alliance Swisspass betont, jeder Schritt erfolge «ergebnisoffen und ohne Vorentscheide». Man sollte sie beim Wort nehmen.
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