Vor bald einem Jahr ging es mit der Pandemie und den Lockdowns in Europa so richtig los. Zwei Länder wählten einen anderen Weg: Schweden und Grossbritannien entschieden sich, nicht in Panik zu verfallen, sondern die Kapazitäten des Gesundheitswesens zu erweitern, die Auswirkungen der Pandemie abzuschwächen und vor allem die Herdenimmunität aufzubauen.
Dann veröffentlichte Neil Ferguson, Professor am Imperial College und Mitglied der britischen «Scientific Advisory Group on Emergencies (SAGE) eine Studie, in der er bis zu einer halben Millionen Tote voraussagte. Die Medien griffen die Studie auf und eine Woche später machte Premierminister Boris Johnson eine Kehrtwende und setzte das Land unter Hausarrest. Die Regierung bezeichnete das hinter der Studie stehende Modell, das vielen Ländern als Muster diente, als «Goldstandard».
Weil die Studie eine derart überragende Wirkung hatte, häuften sich die Fragen nach ihrer Validität – die Veröffentlichung des Codes wurde verlangt, was sich jedoch verzögerte. Ein hochrangiges Mitglied des Teams wird mit den Worten zitiert:
«In Anbetracht der zunehmend politisierten Natur der Debatte um die Wissenschaft von Covid-19 haben wir beschlossen, diese Forschung vorrangig zur Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift mit Peer-Review einzureichen und werden sie zu diesem Zeitpunkt veröffentlichen.»
Financial Times 23. Mai 2020
Aber: Die Forschung wurde nicht von externen Fachleuten überprüft. Niemand ausserhalb des kleinen Forscherteams hatte sie überprüft.
Wie es sich später herausstellte, enthielt der Computercode substantielle Fehler (wir berichteten). Nicht einmal die Saisonalität von Grippewellen wurde berücksichtigt.
Über welche Abschlüsse verfügt der Hauptautor Neil Ferguson? Wikipedia:
Er erhielt seinen Bachelor in Physik 1990 von Lady Margaret Hall, Oxford und seinen Doktor der Philosophie in theoretischer Physik 1994 am Linacre College, Oxford.
In einem Interview in der BBC-Sendung Life Scientific (6m 15s) räumte Professor Ferguson ein, nicht einmal ein Abitur in Biologie zu haben. Soweit öffentlich zugängliche Informationen zutreffend sind, scheint Professor Ferguson auch keine formelle Ausbildung in Computermodellierung, Medizin oder Epidemiologie zu haben.
Nun kann man auch ohne formelle Ausbildung kompetente Arbeit leisten.
Wie sieht die Erfolgsquote früherer Hochrechnungen des Teams von Neil Ferguson aus?
Maul- und Klauenseuche
Viele werden sich an die Schlachtung von 6,5 Millionen Rindern, Schafen und Schweinen im Jahr 2001 erinnern, um einen Ausbruch der Maul- und Klauenseuche einzudämmen, der die Landwirtschaft verwüstete. Diese drastische Massnahme basierte auf Modellrechnungen von Professor Neil Ferguson.
Viele in der Landwirtschaft waren der Meinung, die Massnahme stehe in keinem Verhältnis zur Bedrohung. Professor Michael Thrusfield von der Universität Edinburgh bezeichnete das Modell als «nicht zweckmässig» und «stark fehlerhaft».
BSE (Rinderwahnsinn
«Das Team vom Imperial College, dessen Arbeit auf der Website der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht ist, sagt voraus, dass die Zahl der Todesfälle durch Creutzfeldt-Jakob-Krankheit aufgrund von BSE im Rindfleisch wahrscheinlich zwischen 50 und 50’000 liegen wird.» Daily Mail
Gemäss dem Epidemiologen Neil Ferguson seien diese Schätzungen «ungerechtfertigt optimistisch». Die Zahl der Creutzfeldt-Jakob-Todesfälle könnte in den kommenden Jahrzehnten 136’000 erreichen. New York Times 31. Oktober 2001
Realität:
Insgesamt sind in den letzten 30 Jahren 2826 Menschen an Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben - National CJD Research and Surveillance Unit, The University of Edinburgh
Vogelgrippe (H7N9)
«Letzten Monat sagte Neil Ferguson, ein Professor für mathematische Biologie am Imperial College London, gegenüber Guardian Unlimited, dass bis zu 200 Millionen Menschen getötet werden könnten.» - The Guardian 30. September 2005
Realität:
«Seit 2013 gab es weltweit 1’568 menschliche Fälle von Vogelgrippe und 616 Todesfälle durch den H7N9-Stamm.» The Express 7. Dez. 2020
Schweinegrippe (H1N1)
«Im Jahr 2009 sagten Ferguson und sein Imperial-Team voraus, dass die Schweinegrippe eine Sterblichkeitsrate von 0,3 bis 1,5 Prozent hat. Seine wahrscheinlichste Schätzung war, dass die Sterblichkeitsrate 0,4 Prozent betrug. Nach einer Schätzung der Regierung auf der Grundlage von Fergusons Berechnungen wird die Krankheit in einem ‹vernünftigen Worst-Case-Szenario› zu 65’000 Todesfällen in Grossbritannien führen.» Spectator 16. April 2020
Realität:
«457 Menschen sind bekanntlich während der Pandemie in Grossbritannien gestorben (Stand: 18. März 2010)» - Independent review of the UK response to the 2009 influenza pandemic - gov.uk 1st July 2010
Vorhersagen für Covid-19
Das Imperial Model sagte «bis zu» 500’000 Todesfälle in Grossbritannien voraus. Vor kurzem wurde die Marke von 100’000 Covid-19-Todesfällen überschritten – die Vorhersage liegt um 400 Prozent daneben. Die Zahl der Todesopfer hätte ohne Lockdown höher sein können, eine Aussage, die sich nicht falsifizieren lässt, da alle Länder Europas das öffentliche Leben zum Stillstand brachten, ausser Schweden. Aber:
Ein Team schwedischer Forscher wendete das Modell des Imperial College auf ihr eigenes Land an und prognostizierte ein überlastetes Gesundheitswesen und 96’000 Todesfälle.
Schweden hat bis heute 12’569 Todesfälle zu verzeichnen. Die Projektionen lagen um 700 Prozent daneben.
(Dieser Text basiert auf einem Artikel von Derek Winton «The Imperial Model and its Role in the UK’s Pandemic Response», der hier frei übersetzt und gekürzt wiedergegeben ist. Derek Winton verfügt über einen Master in Philosophie und Mathematik und einen Master in Computerwissenschaft. Er entwickelt seit zehn Jahren Software, auch für akademische Einrichtungen, und er wirkt am offiziellen Online-Software-Repository des Imperial College mit.)
Nachtrag: Die Panik um die britischen Mutanten gehen massgeblich auf ein britisches Komitee namens «New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group» (NERVTAG) zurück. Die Warnungen, die neuen Mutanten seien gefährlicher und breiteten sich schneller aus, basieren auf drei Studien mit theoretischen Hochrechnungen; bei zwei von ihnen war Neil Ferguson der Hauptautor. (Details hier)