Der britische Guardian publizierte Ende letzter Woche einen längeren Text zur Geschichte des Briten, der sich gegen Hitlers Informationsmaschine gestellt hatte. Diese bildet Anschauungsunterricht, wie man Autoritarismus und Manipulation kontert. Der Anlass für den Beitrag des Guardian ist die Publikation des Buches How to Win an Information War: The Propagandist Who Outwitted Hitler.
Wir sind nicht die erste Generation, die sich der Herausforderung autoritärer Propaganda gegenübersieht. Bei der Suche nach vergangenen Erfahrungen kann eine britische Medienoperation aus dem Zweiten Weltkrieg hilfreich sein, die es schaffte, grosse Teile des Nazi-Anhängerkreises zu erreichen und ihren Glauben an Hitlers Regime zu untergraben.
Wenn wir denken, dass es heute schwierig ist, Menschen in ihren Bubbles zu erreichen, sollten wir darüber nachdenken, wie schwer es war, die Deutschen davon zu überzeugen, den Menschen zu vertrauen, die buchstäblich versuchten, sie zu töten. So argumentiert der Autor des Guardian-Artikels, Peter Pomerantsev, der auch das obengenannte Buch geschrieben hat.
Kopf besagter Medienoperation war Sefton Delmer, der als Leiter der Sonderoperationen des Political Warfare Executive Dutzende Radiosender, Zeitungen und Flugblätter schuf und Gerüchte in Umlauf setzte – alles mit dem Ziel, den Bann von Hitlers Propaganda durch faire oder auch unlautere Mittel zu brechen. Er setzte Stars aus der deutschen Kabarettszene, Soldaten, surrealistische Künstler, Psychiater, Fälscher, Spione und Dissidenten aus ganz Europa ein. Ian Fleming und Muriel Spark steuerten zum Beispiel ihre Talente zu Delmers Operationen bei.
Nach jüngst freigegebenen britischen Akten, die vom Historiker und Archivar Lee Richards ausgewertet wurden, schalteten rund 40 Prozent der deutschen Soldaten Delmers Sender ein. Der SS-Obergruppenführer von München beschwerte sich, dass Delmers Sender zu den drei besten der Stadt gehörten und für völliges Chaos sorgten. Goebbels war darüber entsetzt, wie effektiv sie waren.
Delmers Interesse ging jedoch über den einzigartig bösartigen Bereich des Nationalsozialismus hinaus. Er sah die gleichen Muster in ganz Deutschland im 20. Jahrhundert sowie in Grossbritannien während des Ersten Weltkriegs. Und seine Arbeit hält viele Lehren für uns bereit.
Als Sohn eines australischen Literaturprofessors an der Berliner Universität wuchs Delmer in Deutschland auf und sprach die Sprache perfekt. Australien war zu dieser Zeit eine Dominion des Britischen Reichs, und Delmer wurde als Brite betrachtet und wollte sich auch selbst so sehen.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war er 10 Jahre alt und wurde in der Schule schikaniert, weil er britisch war. Als er 1917 nach England kam, wurde er dafür schikaniert, zu deutsch zu wirken, eine Folge dessen, was er als «unsere britische Art, gegen Ende des Krieges auf ein echtes Crescendo des Hasses und der Wut hinzuarbeiten», beschrieb. Er lernte dann, den perfekten englischen Schuljungen zu spielen. Aber beim Lesen seiner Memoiren hatte Buchautor Richards das Gefühl, dass diese binationale Kindheit ihm das Gefühl gab, dass alle sozialen Rollen genau das sind: Rollen, die es zu spielen gilt.
Propaganda – so folgerte Delmer – ist erfolgreich, wenn sie den Menschen eine befriedigende Rolle gibt: jemand zu sein, jemanden zu lieben oder zu hassen. Er entwickelte aus dieser Erfahrung auch das Bewusstsein, wie tief wir alle das Bedürfnis haben, zu einer Gruppe zu gehören. Für Delmer war es sehr schmerzhaft zu erleben, ein Aussenseiter zu sein, der als nicht richtig britisch betrachtet wurde. Bis zu seinem Lebensende blieb er ein imperialer Nostalgiker.
Es war der performative Aspekt der Propaganda und gleichzeitig das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, das ihm auffiel, als er Hitlers Erfolg beobachtete. In den 1920er Jahren wurde Delmer Starreporter des Daily Express in Berlin. Er erhielt privilegierten Zugang zu Hitlers Wahlkampfauftritten, bei denen bewundernde Menschenmassen den Führer grüssten. Hitler gab den Menschen das Gefühl, Teil einer riesigen Masse zu sein, eines Volkes, was nach den verwirrenden Veränderungen des frühen 20. Jahrhunderts, als die alte Gesellschaftsordnung aus den Angeln gehoben worden war, für viele ansprechend war.
Er gab den Menschen auch Rollen, wenn die alten verschwunden waren: Inmitten des verwirrenden Kabaretts des Weimar-Deutschlands, in dem Identitäten im Fluss waren, wussten die Anhänger der Hitlers nun, wer sie waren.
Mindestens so bemerkenswert wie das Buch selbst und der Artikel des Guardian ist dessen Autor, Peter Pomerantsev. Er wurde in Kiew geboren, lebte in Österreich, Deutschland, Grossbritannien und Russland. Er verfasst kritische Hintergrundberichte, Kommentare und Analysen zur kulturellen und politischen Entwicklung Russlands. Um Wladimir Putins Regierungssystem zu charakterisieren, prägte er den Begriff «postmoderne Diktatur».
Er hält ausserdem politische Seminare bei der NATO, der EU, dem britischen Aussenministerium, dem deutschen Auswärtigen Amt und dem US-Aussenministerium. Zurzeit ist er Senior Fellow am Stavros Niarchos Foundation Agora Institute an der Johns Hopkins University. Er verfasste ausserdem als Co-Autor von Edward Lucas ein Arbeitspapier zu Gegenstrategien der russischen Propaganda in Mittel- und Osteuropa.
Gemäss Pomerantsev würde die Realität durch Propaganda verzerrt, wenn in den USA Millionen behaupten, dass die Präsidentschaftswahlen manipuliert wurden (mehr dazu hier) und dass der sogenannte «Deep State» Einwanderer importieren möchte, um gegen «echte Amerikaner» zu stimmen. Es sei ein Resultat von russischer Propaganda, wenn dort eine Mehrheit glaubt, dass der Kreml unschuldig am Krieg in der Ukraine sei.
Es würde sich dann die Frage stellen, wie wir diesem Phänomen begegnen können. Ebenso erweise sich seriöser Journalismus, der die Tugenden der Demokratie predige, oft als machtlos angesichts des gezielten Misstrauens, das über Jahrzehnte gesät wurde und behaupte, dass die Medien eigentlich «Feinde des Volkes» seien.
Kommentar Transition News:
Angesichts von Pomerantsevs Werdegang drängt sich die Frage auf, ob er in seinen Seminaren bei der NATO, der EU und diversen Aussenministerien diesen Institutionen empfiehlt, ähnlich wie Delmer vorzugehen und ob die gegenwärtige Spaltung der Gesellschaft – gerade in Bezug auf den Krieg in der Ukraine und in Bezug auf die «Coronazeit» – zum Teil etwas damit zu tun hat.
Kommentare