Wer hat sich nicht schon beim Gang zum Briefkasten geärgert? Gerade im Herbst und vor der Weihnachtszeit ist dieser voll mit Broschüren, Werbung und dicken Katalogen, die kaum jemand liest, geschweige denn braucht. Sicherzustellen, dass bei der Herstellung dieser Druckprodukte kein Raubbau an der Umwelt getrieben wird, ist also an sich löblich.
Hierfür will die EU mit ihrer Verordnung 2023/1115, besser bekannt als «Entwaldungsfreie Lieferketten» (EUDR), Unternehmen dazu verpflichten, die Herkunft aller Produkte, die mit Rohstoffen wie Holz in Verbindung stehen, präzise nachzuweisen. Dieses neue Gesetz soll ab dem 30. Dezember 2024 in Kraft treten, zunächst für größere Unternehmen gelten und schließlich auf kleinere Firmen ausgeweitet werden.
Was verlangt nun die neue EU-Verordnung konkret? Es muss zum Beispiel für jedes einzelne gedruckte Buch der exakte Ursprungsort des Holzes belegt werden. Dies schließt Geokoordinaten der Holzgewinnung, detaillierte Lieferanteninformationen und eine Zertifizierung zur «Entwaldungsfreiheit» mit ein.
Vor allem für kleinere Verlage und unabhängige Autoren, die diese Nachweise finanziell kaum stemmen können, stellt die Verordnung eine potenziell existenzgefährdende Belastung dar. Verlagsvertreter befürchten eine drastische Marktveränderung zugunsten großer Medienhäuser, die solche Kosten durch ihre Branchenverbindungen leichter abfedern können.
Das bedeutet auch, dass wohl große Verlage, die zum Beispiel Werbebroschüren in Großauflagen drucken, die neuen Regeln eher stemmen können als kleine Buchverlage. Auf der anderen Seite kann es sein, dass innovative Branchenvertreter für die entsprechenden Regulierungen Branchenlösungen entwickeln, über die die neue EU-Verordnung auch für kleinere Marktteilnehmer machbar ist. Kulturvertreter wie der Deutsche Kulturrat warnen allerdings bereits vor den kulturellen Auswirkungen der Verordnung. Der Vorsitzende erklärte:
«Die Gesetzgebung untergräbt die Meinungs- und Publikationsfreiheit und schadet der kulturellen Vielfalt. Was mit der Bekämpfung von Entwaldung beginnt, könnte sich schnell zu einem generellen Eingriff in die Verlagsfreiheit entwickeln.»
Parallel zur EUDR sorgt ein weiterer Gesetzesentwurf für Unruhe unter Autoren und Verlagen: Die Verwertungsgesellschaft Wort plant die Einführung digitaler Verbreitungsrechte, die es ermöglichen, Inhalte ohne Einhaltung des Copyrights zu verbreiten. Autoren haben nur noch bis Ende November Zeit, dieser Regelung zu widersprechen – eine Verweigerung könnte jedoch den Ausschluss von Tantièmen bedeuten. Die Gesetzesänderung stieß bereits auf breiten Widerstand in der Branche, da sie eine Ausweitung der digitalen Publikation ohne Einverständnis der Urheber ermöglicht.
Für viele ist dieser Schritt ein gezielter Angriff auf das geistige Eigentum. Die Verwertungsgesellschaft argumentiert hingegen, dass die neuen Regeln der Verbreitung von Informationen dienen sollen. Autoren, die weiterhin Kontrolle über ihre Werke wünschen, müssen sich jedoch aktiv gegen diese Veränderung aussprechen.
In anderen Branchen, wie der Textil- und Schuhindustrie, steht die EUDR-Verordnung ebenfalls unter Kritik, da auch sie weitreichende Dokumentationspflichten verlangt, die für viele kleinere Unternehmen kaum realisierbar erscheinen. Die betroffenen Branchen fordern unter Federführung des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) und des Handelsverbandes Deutschland (HDE) eine einjährige Verschiebung des Inkrafttretens und «praxisnahe Anpassungen.»
Das Thema hat längst eine politische Dimension erreicht. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die zuständige Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) prüfen alternative Maßnahmen, um den von der Verordnung betroffenen Sektoren Hilfestellung zu leisten.
Auch andere europäische Länder wie die Schweiz, beobachten die Entwicklung. Eine Anpassung des Schweizer Rechts an den neuen EU-Standard steht gegenwärtig nicht zur Diskussion, da unklar ist, ob die EU die Schweizer Regulierung als gleichwertig anerkennen würde. Das bedeutet, dass sich für die Schweiz nur dann etwas ändert, wenn sie für den Export in die EU produziert, und auch nur dann, wenn die EU die Schweiz als Standort einstuft, bei dem ein hohes Risiko besteht, dass die neuen Vorschriften umgangen werden.
Das könnte nur dann der Fall sein, wenn die Schweiz zur Drehscheibe in der Verarbeitung von nicht nachhaltig geschlagenem Holz wird. In Bezug auf die Erhaltung von Wald verfügt die Schweiz seit über 100 Jahren über eine vorbildliche Regelung, die sicherstellt, dass, wenn irgendwo gerodet wird, dieselbe Fläche wieder aufgeforstet wird.
Mit der neuen EU-Verordnung steht die Buchwelt vor einem Umbruch, sollte es der EU-Kommission gelingen, die Regulierung wie geplant umzusetzen. Viele Branchenkenner sind überzeugt, dass die Verordnung in ihrer aktuellen Form die Macht der großen Verlagshäuser festigt, während unabhängige Verlage und Autoren vor einem unüberwindbaren Bürokratieberg stehen. Der Buchmarkt droht dadurch ausgedünnt und die Vielfalt des Angebots gefährdet zu werden.
In den kommenden Wochen wird die Verlagswelt aufmerksam verfolgen, wie die EU auf die wachsende Kritik aus der Wirtschaft und der Kulturszene reagiert und ob es Anpassungen geben wird. Bis dahin bleibt die Frage, ob sich die gedruckte Kultur in Europa künftig nur noch wenigen finanzstarken Akteuren vorbehalten wird und unabhängige Stimmen in der Flut der bürokratischen Anforderungen verstummen. Unsere Briefkästen werden aber wohl auch künftig mit Werbebroschüren gefüllt.
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