Die Summe der Milliardenvermögen in Deutschland könnte statt der bisher geschätzten rund 900 Milliarden Euro mindestens 1,4 Billionen Euro betragen, möglicherweise sogar deutlich mehr. Das entspricht fast der Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts.
Das berichtet der Informationsdienst Böckler Impuls der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung in seiner aktuellen Ausgabe. Er beruft sich auf eine Studie von Julia Jirmann und Christoph Trautvetter von der Nichtregierungsorganisation Netzwerk Steuergerechtigkeit, gefördert von der Stiftung.
Danach gibt es in Deutschland mehr Milliardenvermögen als bisher angenommen. Zudem seien die bereits bekannten Supervermögen in bisherigen Analysen teilweise unterschätzt worden. Das sei der Fall, weil Gewinnausschüttungen nicht vollständig erfasst wurden oder der Wert von Unternehmensanteilen oder Immobilien zu niedrig veranschlagt wurde.
Der Wert aller Milliardenvermögen in Deutschland beläuft sich der Studie zufolge auf insgesamt mindestens 1,4 Billionen Euro. Doch er dürfte aus Sicht der Forscher weit über zwei Billionen Euro liegen, die dazu auf Schätzungen für Vermögen in Offshore-Zentren verwiesen.
Die Datenlage zu sehr grossen Vermögen wird als lückenhaft bezeichnet. Als Grund wird angegeben, dass die Finanzbehörden keinen systematischen Überblick mehr haben, seit die Vermögenssteuer in den 1990er Jahren ausgesetzt wurde. Auch andere Quellen seien nur unzureichend.
Die Autoren der Studie haben deshalb die jährlich erscheinenden «Milliardärslisten» der Wirtschaftsmagazine Forbes und Manager Magazin ausgewertet. Zusätzlich seien Informationen aus zahlreichen weiteren öffentlich zugänglichen Quellen wie Unternehmensdatenbanken einbezogen worden. Im Ergebnis seien elf zusätzliche, bisher unbekannte Milliardenvermögen identifiziert worden.
Private Vermögen, insbesondere wenn sie aus am Kapitalmarkt reinvestierten Gewinnausschüttungen gespeist werden, sind den Angaben nach untererfasst. Auch die Beteiligungen an Unternehmen, die einen erheblichen Teil der Milliardenvermögen ausmachen, werden als «teilweise unterbewertet» bezeichnet.
Die Analyse hat eine Liste von 212 Milliardenvermögen ergeben, die sich auf rund 4300 sehr reiche Haushalte bezieht. Es wird auf eine «erhebliche Streuung» hingewiesen:
«Rund 2700 dieser Haushalte sind an elf grossen Vermögen beteiligt, während sich 114 weitere Milliardenvermögen auf jeweils drei bis maximal neun Haushalte und weitere 33 sogar auf jeweils weniger als drei Haushalte verteilen.»
Nur ein kleiner Teil aller Haushalte, die an Milliardenvermögen beteiligt sind, habe ein individuelles Eigentum von einer Milliarde Euro oder mehr. Sie gehören den Angaben nach zu den vermögendsten 0,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland.
Die hohen Vermögen würden ihren Besitzern nicht nur ermöglichen, von den Erträgen zu leben. Sie können laut den Studienautoren ausserdem der «generationenübergreifenden Sicherung von Status und Macht» dienen.
Intensive Lobbyarbeit habe dafür gesorgt, dass in Deutschland Superreichtum häufig mit Unternehmertum gleichgesetzt wird. Dagegen zeigt die Studie, dass 38 der 212 Milliardenvermögen «nicht oder nicht mehr» auf einem mit der Familie verbundenen Unternehmen beruhen. «Grund dafür ist vor allem der Verkauf der Unternehmen und die Reinvestition der Erlöse am Finanzmarkt», wird erklärt.
Von den verbleibenden 174 «Familienunternehmen» werden den Angaben nach nur noch 95 aktiv von Familienmitgliedern geführt. Bei der anderen Hälfte beschränke sich die Rolle der Familie auf eine Mitgliedschaft in den Kontrollgremien oder eine stille Teilhaberschaft.
Von «Unternehmertum» als direkter Quelle des Reichtums könne bei sehr vielen Milliardenvermögen nicht die Rede sein, schlussfolgern die Autoren der Studie. «Ebenfalls bemerkenswert: Nur in neun der familiengeführten Unternehmen hat eine Frau die Hauptrolle beziehungsweise den grössten Anteil.»
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