Transition News: Laut Medienberichten waren 3000 Polizeibeamte an diesem besagten 7. Dezember 2022 im Einsatz, um Menschen zu verhaften, die, so die Anklage, einen «Sturm auf den Reichstag» geplant hätten. Manche nennen es auch den «Rollator-Putsch», da viele der mutmaßlichen «Terroristen» zur älteren Generation gehören. Wie haben Sie damals davon erfahren und was waren Ihre ersten Gedanken?
Christian Moser: Es ist nicht das erste Mal, dass wir in einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung plötzlich zu hören bekommen, dass ein Terroranschlag vereitelt worden wäre. Bei mir stellt sich dann immer der unterschwellige Verdacht ein, dass das für diejenigen, die sich einer Opposition zu erwehren haben, gerade zur rechten Zeit gekommen ist.
Bei diesem «Rollator-Putsch» hatte ich immer eine gesunde Skepsis. Und an meine Gedanken damals kann ich mich noch gut erinnern – denn im Dezember 2022 waren wir dabei, eine Aufarbeitung zu fordern. Die Maßnahmen gingen langsam zu Ende, und es war an der Zeit, das «Corona» auf den Prüfstand zu stellen. Die Politik hätte dadurch deutliche Verantwortung übernehmen müssen.
Da kam es natürlich gelegen, dass aus dem Dunstkreis der Friedens- und Freiheitsbewegung Menschen verhaftet wurden und die Regierung so vermeintlich zeigen konnte, dass das alles Terroristen wären. Statt einer Corona-Aufarbeitung bekamen wir also eine weitere Kriminalisierung der außerparlamentarischen Opposition, mit dem Ziel, dass man uns nicht mehr zuhört. In anderen Worten: Die eigentlich Kriminellen schützen sich vor der Verantwortung.
Björn Lars Oberndorf: Ich habe am 7. Dezember 2022 durch die Medien von den Verhaftungen erfahren und war sehr überrascht: nicht nur aufgrund des Kräfteansatzes – mit über 3000 Einsatzkräften –, sondern weil viele polizeiliche Spezialeinheiten eingesetzt worden sind. Und das hat mich insbesondere überrascht, da sich Pressevertreter vor der Polizei an den zu durchsuchenden Objekten eingefunden hatten. Und wenn man auf der einen Seite argumentiert, man bräuchte eine polizeiliche Spezialeinheit, weil von den potenziellen Tätern angeblich eine Gefahr ausgeht, dann aber die Presse vor der Polizei vor Ort ist, dann gefährdet das – wenn man dem offiziellen Narrativ folgen will – die Pressevertreter und natürlich auch die Einsatzkräfte. Das war einer meiner ersten Gedanken.
Das heißt, ich habe den Einsatz aus polizeilicher Sicht nicht rund bekommen. Alles wirkte wie eine große PR-Schau und stand in ganz vielen Punkten im klaren Widerspruch zum Tatvorwurf und dem Vorwurf einen «Sturm auf dem Reichstag» aus dem «Reichsbürgermilieu» geplant zu haben. Ich hatte eher den Eindruck, dass da doch der Wunsch Vater des Gedanken war. Auch weil Innenministerin Nancy Faeser meinte, wir hätten in terroristische Abgründe geguckt, als ob man gerade noch die Demokratie gerettet hätte.
Fotos und Videos zeigten, wie der damals 71-jährige Prinz Reuß an den Händen gefesselt ins Polizeiauto verfrachtet wurde. Danach wurde in den Medien oft vom «Reichsbürgerprozess» gesprochen. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Polizei?
Björn Lars Oberndorf: Die einzelnen Puzzlestücke passen nicht wirklich zusammen. Soweit ich die Arbeit der Polizei beurteilen kann, gerade was den Zugriff angeht, habe ich mir viele Gedanken zur Einsatztaktik gemacht. Eine polizeiliche Spezialeinheit wird ja primär zu Hilfe gerufen, wenn man davon ausgeht, dass es eine Widerstandshandlung unter Einsatz von Schusswaffen und ähnlichem gibt. Diese Spezialeinheit ist dafür ausgebildet, Widerstand zu brechen. Und das passte nicht zusammen, weil man die Einsatzkräfte selbst in Gefahr gebracht hat.
Auf der anderen Seite kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass von der Polizei, gerade vom Bundeskriminalamt (BKA), die aus polizeilicher Sicht federführend verantwortlich sind, in eine bestimmte Richtung ermittelt wird – dass zum Beispiel entlastende Beweise nicht berücksichtigt werden. Man muss gerade bei der Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses, beziehungsweise grundsätzlich bei einer polizeilichen Ermittlung, erst mal ergebnisoffen in alle Richtungen ermitteln – das gilt auch für die Staatsanwältin oder den Staatsanwalt während des Ermittlungsverfahrens.
Ich habe das Gefühl, es wird nach ganz bestimmten Dingen gesucht, die ein bestimmtes Narrativ unterstützen.
Und ich kann dafür ein ganz konkretes Beispiel nennen: Bei mir wurde 2023 ein rechtswidriger Durchsuchungsbeschluss vollstreckt, da ich aufgrund eines ursprünglich privaten Treffens in einem anderen Kontext, wo angeblich Informationen übergeben wurden, bei diesen Verfahren als Zeuge gelte. Bei der Zusammenkunft wurde mir ein Buch übergeben. Dieses Treffen war der offizielle Grund für die Hausdurchsuchung. Doch das Buch will bis heute niemand haben. Ich habe den BKA-Beamten das Buch gezeigt, das mir damals übergeben wurde. Ich habe auch gesagt, mit welchen Worten es mir übergeben wurde. Auch während meiner freiwilligen achtstündigen Aussage gegenüber dem BKA wurde das Buch erwähnt. Das alles scheint das BKA und die Bundesanwaltschaft bisher nicht wirklich zu interessieren.
Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, je nachdem, was bei den drei momentan laufenden Verfahren rauskommt und was es für Beweismittel gibt, bezüglich der Gefährlichkeit dieser Gruppierung und auch der Tatvorwürfe, wie zum Beispiel «Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens» und so weiter.
Welchen Einfluss hat die Medienberichterstattung auf die Ermittlungsarbeit?
Björn Lars Oberndorf: Streng genommen darf das natürlich nicht sein, aber sind wir doch ehrlich: Natürlich beeinflusst eine Berichterstattung im Vorfeld und begleitend die Wahrnehmung der Polizeibeamten und damit auch die Ermittlungsrichtung. Und so kam es wohl auch dazu, dass man schon im Vorhinein Informationen an die Medien durchsickern ließ, was natürlich verboten ist.
Seit zwei Jahren sitzen also 26 Menschen in Untersuchungshaft – einer der Verdächtigen verstarb nach einem Jahr Gefängnis. Manche Bürger denken, da wird schon etwas dran sein an der Sache. Was sagen Sie dazu?
Björn Lars Oberndorf: Die Beschuldigten sitzen seit 7. Dezember 2022 in Untersuchungshaft. Und die Informationen, die wir über die Haft-Bedingungen oder das Vorführen vor Gericht bekommen, werfen sehr viele Fragen auf: Fixierung, körperliche Untersuchungen, Durchsuchungen, teilweise Isolationshaft und so weiter. Gründe für die Untersuchungshaft sind zum Beispiel Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr. Letztere kann es aufgrund der massiven Ermittlungen der vergangenen zwei Jahre eigentlich nicht mehr geben.
Und wenn nur noch die Fluchtgefahr als Haftgrund bleibt, muss man eigentlich genau prüfen, ob es nicht vielleicht andere Möglichkeiten gibt, die nicht so massiv in die Grundrechte eingreifen: wie zum Beispiel Meldeauflagen oder ähnliches. Wenn man positiv denkt, kann man sagen: Na gut, das Verfahren ist für das BKA und die anderen beteiligten Behörden sehr umfangreich. Die brauchen einfach Zeit.
Man könnte aber auch zu der Meinung gelangen, dass das alles nicht verhältnismäßig, aber das ganze Verfahren mittlerweile too big to fail ist. Angefangen bei der Razzia am 7. Dezember 2022 und der Vorführung und Fixierung von Herrn Reuß mit Handfesseln bis zu den Bedingungen und der Länge der Untersuchungshaft soll ein gewisses Bild aufgebaut werden, damit der normale Bürger nachher denkt, da muss ja irgendetwas dran sein und dass die Staatsmacht nicht diese Energie aufbringen würde, wenn die Vorwürfe nicht stimmten.
Kurz gesagt: Die Dauer der Untersuchungshaft und die Bedingungen der Untersuchungshaft werfen sehr viele rechtliche Fragen auf und irritieren.
Christian Moser: Ich möchte nochmal bekräftigen, dass ich ebenfalls den Eindruck habe, dass die ganze Verfahrensweise, angefangen bei der Durchsuchung bis zu den Haftbedingungen, so überzogen wirkt, dass man sich schon einige Fragen stellen muss: Steht es in Relation zur üblichen Praxis, also bei Deliktsformen, Gewaltkriminalität und so weiter. Wie wird denn da sonst verfahren? Und wie ist es hier?
Offensichtlich handelt es sich um ein Politikum. Es soll sich um einen angeblichen Umsturzversuch handeln – und dabei würde es dem Staat an den Kragen gehen, wenn das denn stimmen würde. Die Frage ist nur, wie gerechtfertigt kann dieses Vorgehen sein? Es grenzt an Folter, wenn ich höre, dass die Gefangenen ständig diesen Leibesvisitationen ausgesetzt werden und das vollkommen nackt.
Aber welchen Sinn und Zweck kann das haben, wenn sie schon im Gefängnis sitzen? Erstens soll es Oppositionelle abschrecken, sich miteinander zu vernetzen: Es könnte ja sein, dass man dann in Terrorismusverdacht gerät. Und zweitens soll dieses Vorgehen gleichzeitig das Narrativ stützen. Wenn man plötzlich merkt, es war doch nicht so schlimm, würde das aus dem Rahmen fallen. Und dafür hat man zu hoch angesetzt.
Nach rund einem Jahr erfolgte die Anklage. Wie verfolgen Sie die Verfahren, die inzwischen in Stuttgart, München und Frankfurt, also an drei verschiedenen Gerichtsstandorten, stattfinden?
Christian Moser: Das macht es nicht einfach. Ich würde mich schon schwertun, an einem Ort ständig zu sein, weil es immer wieder neue Verhandlungstage gibt. Aber dass das Verfahren auf drei verschiedene Standorte aufgeteilt wurde, ist natürlich für die Aufarbeitung des Falles vor Gericht hinderlich.
Denn normalerweise muss eine Sache, die zusammenhängt, auch wenn es mehrere Tatbeteiligte sind, gemeinsam verhandelt werden. Das ist nicht nur gängige juristische Praxis, sondern auch eine Notwendigkeit, weil alles, was vor Gericht verhandelt wird, alle direkt oder mittelbar betrifft. Und wenn das eine Thema in München, das andere in Stuttgart oder sonst wo verhandelt wird, dann bekommen die anderen gar nicht mit, was dort ausgesagt und vorgelegt wurde, wie der aktuelle Erkenntnis- oder Ermittlungsstand ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Diese Aufteilung ist rechtsstaatlich fragwürdig, und sie deutet sehr darauf hin, dass es gar nicht darum geht, hier ein faires Verfahren zu führen. Die Motivation, die ich dahinter sehe, ist, eine Aufarbeitung der Rechtsüberschreitungen staatlicher Gewalt seit 2020 zu verhindern. Das Narrativ, das dabei aufgebaut wird: Diese Menschen, die hier vor drei Gerichten stehen, sollen im weitesten Sinne aus dem Corona-kritischen Milieu kommen. Und aus der Corona-kritischen Bewegung soll sich eine Terrorgruppe gebildet haben, die so dermaßen den Staat ablehnen würde, dass sie ihn in dieser angeblich demokratischen Form, am liebsten beseitigen möchte und dazu auch angesetzt haben soll.
Das hieße, dass generell die Corona-Kritik sowie die Kritik an diesen Regierungshandlungen, am Überschreiten staatlicher Kompetenzen und dem massiven Eingriff in die Grundrechte, dass also diese Haltung tendenziell terroristisch sein könnte, dass sie einen Radikalismus, einen Extremismus in sich trage.
Damit soll die gesamte Corona-kritische Bewegung in Verruf gebracht werden. Dabei ist das Gegenteil richtig: Wir sind doch für die Grundrechte und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung auf die Straße gegangen. Und wir pochen jetzt darauf, dass diese wiederhergestellt wird.
Aber genau das soll verhindert werden. Das ist auch leicht nachvollziehbar, denn die Herrschaften, die ihre Kompetenzen überschritten haben, haben, wenn sie wirklich zur Verantwortung gezogen werden, bei der Schwere der Vergehen, einiges zu befürchten.
Und das hat nicht nur eine politische Dimension: Wir haben vor einigen Tagen hier in Berlin den Film «Nur ein Piks» von Mario Nieswandt gesehen, der eindrucksvoll schildert, was für Impfschäden passiert sind. Wenn man sich diese Dimension mal vor Augen führt, dann kann jeder seine Schlüsse daraus ziehen, was ermittelt und worüber gegebenenfalls verhandelt werden müsste, wollte man sich an die wirklichen Übeltäter wenden. Und das darf natürlich nicht sein, und da diese Übeltäter an den Schalthebeln sitzen, nutzen sie diese natürlich, um eine solche Aufarbeitung zu verhindern.
Herr Oberndorf, wie folgen Sie den Verfahren und sollte auch eine Staatsanwaltschaft ergebnisoffen ermitteln?
Björn Lars Oberndorf: Ich kann an den Verfahren leider nicht als Prozessbeobachter teilnehmen, weil ich immer noch darauf warte, als Zeuge geladen zu werden. Und wenn ich schon als Zeuge geladen werden soll, dann möchte ich vor Gericht noch viele Fragen zum Vorgehen des BKA und der Bundesanwaltschaft aufwerfen. Daher verfolge ich die Prozesse über die Medien, sowohl die alternativen Medien als auch die sogenannten Leitmedien. Und es gibt natürlich auch Leute im Bekanntenkreis, die mit manchen Angeklagten in Kontakt stehen, und mich auf dem Laufenden halten.
Mir fällt dabei immer der Spruch ein: «mit Kanonen auf Spatzen schießen». Wenn es da wirklich strafrechtlich relevantes Verhalten gegeben haben sollte, was mir nicht bekannt ist, dann muss das natürlich im Rahmen eines fairen und ergebnisoffenen Verfahrens vor Gericht aufgeklärt werden. Aber ich denke – auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen –, dass die Bundesanwaltschaft in eine ganz bestimmte Richtung ermittelt. Das sieht man auch in der Anklageschrift.
Können Sie darüber sprechen, welche Fragen Sie vor Gericht stellen werden?
Björn Lars Oberndorf: Das kann ich machen, das ist kein Geheimnis. Zum einen möchte ich ganz gerne wissen, warum bei einem Zeugen in der Art und Weise, wie bei mir, der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt wurde, und bis heute Beweismittel, die der Zeuge sogar benennt, nicht in das Verfahren eingeflossen sind. Das wirft eine weitere Frage auf: Sind das Verfahren und die Ermittlung wirklich ergebnisoffen?
Dazu kommt aber auch, dass ich mich mit mehreren, die ich jetzt noch nicht näher benennen kann, ausgetauscht habe, und bei denjenigen sind auch sehr viele Fragen zum polizeilichen Vorgehen und zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit aufgetaucht. Und wenn ich dann als Zeuge zu bestimmten Themen befragt werde, was hoffentlich bald der Fall sein wird, werde ich natürlich im Rahmen meiner Antwort auch auf diese Ungereimtheiten hinweisen, damit das gegebenenfalls noch in das Verfahren einfließen kann.
Handelt es sich dabei um Zersetzungsmethoden?
Björn Lars Oberndorf: Ich versuche ja immer sehr sachlich und ruhig zu argumentieren. Allerdings haben wir seit spätestens März 2020 eine massive Zunahme an Durchsuchungsbeschlüssen, unter anderem aufgrund von vermeintlichen Beleidigungen. «Schwachkopf» oder «Dampfnudel» sind Meinungsdelikte, wo man früher nie einen Durchsuchungsbeschluss beantragt, geschweige denn durch das Gericht angeordnet hätte. Wir reden von Hunderten oder Tausenden von Fällen, daher kann man mittlerweile davon ausgehen, dass es sich entweder um sehr hochmotivierte Staatsanwaltschaften und Gerichte handelt, – was ich aber aufgrund anderer Faktoren nicht glaube – oder dass es um Ausforschungsdurchsuchungen und um das Thema Einschüchterung geht.
Außerdem wird aufgrund der Entmenschlichung von Kritikern der Regierungsmaßnahmen anscheinend mit doppeltem Maß gerechnet. Das sehen wir immer dann, wenn es zu Anzeigen, die wir zu wirklich schlimmsten Volksverhetzungen oder Beleidigungen erstatten, keine Ermittlungen gibt. Aber wegen «Schwachkopf» gibt es bei einem 63-jährigen Rentner, Vater eines Kindes mit Trisomie 21, eine Hausdurchsuchung. Bei diesen extremen Doppelstandards, muss die Frage erlaubt sein, ob das nicht wirklich schon Zersetzungs- und Einschüchterungsmethoden sind.
Welche Rolle spielt dabei der Verfassungsschutz?
Björn Lars Oberndorf: Da der Verfassungsschutz keine eigene Exekutivbefugnisse hat, werden angebliche Erkenntnisse genutzt, um polizeiliche Maßnahmen zu begründen. Und das Problem ist, dass der Verfassungsschutz seit April 2021 nicht nur über den neuen Phänomenbereich «verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» die Möglichkeit hat, fast alle kritischen Bürger entweder als Verdachtsfall, Prüffall oder gegebenenfalls als gesichert extremistisch zu klassifizieren. Das kann Menschen betreffen, die irgendetwas gegen die sogenannten Schutzmaßnahmen gesagt oder sich kritisch geäußert haben oder die Legitimität staatlicher Institutionen hinterfragt haben, wie zum Beispiel der Bund-Länder-Konferenz während Corona – für die es keine verfassungsrechtliche Grundlage gibt.
Und das Problem ist auch, dass viele Menschen und Institutionen mittlerweile mit fadenscheinigen Begründungen in den Verfassungsschutzberichten auftauchen. Auch hier entsteht der Eindruck, dass der Verfassungsschutz, sowohl auf Landes- als auf Bundesebene, gegen die außerparlamentarische Opposition und gegen bestimmte Parteien in Stellung gebracht wird, und nicht wirklich unser Grundgesetz im Verfassungsrang, sondern das Regierungshandeln schützt. Die Landesämter und das Bundesamt sowie die Abteilungen bei den Innenministerien der Länder sind in die ganz normalen Verwaltungsstrukturen eingegliedert und unterstehen nun mal dem Bundesminister und den Landesministern. Insofern besteht der Verdacht, dass der Verfassungsschutz instrumentalisiert wird – nicht jeder einzelne Mitarbeiter, aber die Institutionen als solche.
Christian Moser: Die entscheidende Bedeutung, die diese Maßnahmenzeit hat, liegt gar nicht unbedingt in dem Phänomen «Corona» oder dass die Politik übergriffig geworden ist. Das eigentliche Problem liegt aus meiner Perspektive in der Justiz und in der Frage, wie sie sich verhalten hat und weiter verhält.
Es hat sich gezeigt, dass die Justiz – solange sie eingebunden ist in die Exekutive und die Richter dadurch nicht wirklich frei sind – gar nicht in der Lage ist, den Rechtsstaat aufrechtzuerhalten und die Demokratie, vor allem die Bürger, zu schützen. Denn die Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat, also gegen die Macht.
Im Volk kann man alles Mögliche denken und sagen, und das darf man nach der Meinungsfreiheit auch, sogar das Grundgesetz kritisieren. Aber man kann gar nichts ausrichten, solange man nicht an die Schalthebel der Macht kommt – da spielt die Musik. Und wir sehen, dass die Verfassungsschutzämter, was die Kontrolle der Macht anbelangt, überhaupt nichts tun, und stattdessen das Volk überwachen und die Kritik an der Regierung eindämmen. Und die Justiz, die tut letztendlich dasselbe, indem sie sich zurückzieht, nicht selber ermittelt und einfach nur abnickt, was von oben vorgegeben wird. Das ist das große Problem.
Wir sehen auch bei anderen Themen, wie Frieden oder Gaza, diese Tendenz, dass eine emotions- oder ideologiegeleitete Politik über das Recht gestellt wird.
Björn Lars Oberndorf: Noch mal zur Rolle des sogenannten Verfassungsschutzes. Wenn wir uns die vielen Beispiele angucken, welche Menschen aus der Friedens- und Freiheitsbewegung offiziell als «Delegitimierer des Staates» klassifiziert wurden und wie das begründet wird, können sich einem Demokraten nur die Haare aufstellen. Das erinnert an zutiefst totalitäre Systeme, um es mal deutlich zu sagen.
Es geht fast immer um Kontaktschuld, um Behauptungen und Unterstellungen. Es wird nicht sauber ermittelt, es wird nicht sauber gearbeitet. Es geht darum, diese Menschen aus der Gesellschaft, aus dem Dialog auszuschließen, nach dem Motto «Spiel nicht mit den Schmuddelkindern». Das hat natürlich dramatische Konsequenzen für diese Personen.
Man darf auch nicht vergessen: Wir haben bis heute, wenn Menschen oder Institutionen in den Verfassungsschutzberichten erwähnt werden, kein Anhörungsverfahren. Es gibt keinen Richtervorbehalt. Das heißt: Die Exekutive, das Landesamt für Verfassungsschutz oder das Bundesamt entscheiden selbstständig, wen sie im Bericht erwähnen. Da auch noch die Begriffe «radikal» und «extremistisch» vermischt werden, haben wir so eine Unschärfe, dass man das Gefühl bekommt, es geht nicht um den Schutz der Verfassung, sondern um den Schutz der Regierung.
Und das ist letztendlich ein Thema, was in den Medien, auch in den alternativen, noch viel zu wenig bearbeitet wird: Der Verfassungsschutz wird als Institution massiv instrumentalisiert.
Mathias Brodkorb, Gründer des Projekts «Endstation Rechts», ehemaliger Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern und ehemaliger Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur von Mecklenburg-Vorpommern, kommt in seinem neuen Buch «Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik. Sechs Fallstudien» zu dem Ergebnis, dass der Verfassungsschutz in der jetzigen Form nicht mehr reformierbar ist.
Es gibt kaum andere Länder, die einen Verfassungsschutz haben, der Meinungen und Verhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze sanktioniert und als Grundlage seiner Arbeit Hypothesen und Verschwörungstheorien nutzt.
Das ist eine riesige Herausforderung für unsere Demokratie und für unseren Rechtsstaat. Und das ist ja nur der Verfassungsschutz – dabei haben wir noch nicht über den Staatsschutz oder über verdeckte Ermittler geredet, die eingeschleust wurden und die Menschen zu strafrechtlich relevanten Verhalten verleitet haben. Das heißt, wir haben noch sehr dicke Bretter zu bohren.
Christian Moser: Was die Aufgabenabgrenzung des Verfassungsschutzes anbelangt: Es gibt ja schon eine Institution, die dafür zuständig ist, zu schauen, dass es keine Straftaten, keine Gesetzesübertretungen gibt: nämlich den polizeilichen Staatsschutz. Der ist dafür zuständig, zu ermitteln, ob irgendwelche Strafnormen verletzt werden.
Die Strafnormen nach dem Grundgesetz sind die Grenze. Darüber hinaus besteht aber die komplette Freiheit der Meinungsäußerung. Aber der Verfassungsschutz rangiert auf einem vorgelagerten Feld, indem er Gedanken verfolgt und schnüffelt, was denn die Menschen denken, worüber sie sich unterhalten, und zieht dann daraus Schlussfolgerungen.
All das hat nichts mit irgendwelchen Gesetzesverstößen zu tun, nichts mit dem, was vor Gerichten entsprechend abgeurteilt werden könnte, sondern das ist eine reine Informationsbeschaffung, die dann mittelbar von Behörden als Grundlage benutzt wird, um Nachteile durchzusetzen.
Das ist also diese Schieflage, dass man unter Umgehung des politischen Strafrechtes mit einer Schnüffelbehörde einen Arm geschaffen hat, der es der Verwaltung ermöglicht, Maßnahmen gegen die Opposition durchzuführen.
Außerdem ist der Verfassungsschutz auch ziemlich einmalig in der Welt. Es gibt nirgendwo anders – zumindest nicht in demokratischen Staaten der westlichen Welt – eine Behörde, die ein Inlandsgeheimdienst ist und deren Aufgabe darin besteht, die Bürger zu bespitzeln, ob sie irgendwie eine Opposition bilden. So etwas hat in einer Demokratie keinen Platz. Der polizeiliche Staatsschutz reicht völlig aus.
Welche Forderungen haben Sie in Bezug auf die Verfahren rund um Prinz Reuß?
Christian Moser: Erstens: Man muss natürlich die Verfahren vereinen, damit man überhaupt ein rechtsstaatliches Verfahren durchführen kann. Zweitens muss wenigstens vor Gericht in alle Richtungen ermittelt werden – zu belastenden Tatsachen und aber auch zu den Motivationen.
Wenn denn schon Menschen im Gefängnis sitzen, dann sollte es auf jeden Fall zu einer wirklichen Aufarbeitung kommen, und dazu gehören die Hintergründe: Dann sollte auch hinterfragt werden, wie denn die Behörden gehandelt haben, warum sie so gehandelt haben, wie die Politik dahinter agiert hat, die ja mit ihrem Handeln massiven Einfluss auf dieses Verfahren und auf alle Ebenen ausgeübt hat.
Es sollte natürlich auch die Bedeutung nicht vergessen werden, die dieses Verfahren generell für das gesellschaftliche Klima heute hat. Stichworte: Aufarbeitung der Vergangenheit, Aufarbeitung der Jahre, die wir seit 2020 erlebt haben, und des übergriffigen Staates. Das gehört alles auch zur Motivationslage. Nicht alles davon ist immer originär Gegenstand des Strafverfahrens, aber es würde ja schon reichen, wenn das Gericht sich unvoreingenommen allen Gesichtspunkten widmet.
Ich bin allerdings sehr skeptisch, aufgrund der Erfahrungen, die wir bisher machen konnten, ob die Gerichte sich all dem wirklich frei widmen werden. Ich denke zum Beispiel an das Verfahren des Arztes Heinrich Habig, bei dem die Gerichte ganz dezidiert die Propaganda der Regierung verinnerlicht hatten und sich dann entsprechend in möglichst kurzen Verfahren gegen den Angeklagten gewandt haben. Das ist nicht im Sinne des Rechtsstaates.
Ich möchte auch noch etwas zum Thema Verfassungsschutz und dem Phänomenbereich «verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» ergänzen. Denn daran lässt sich festmachen, in welche Richtung es mit dem Verfassungsschutz, aber auch generell mit der Politik in Bezug auf die Opposition gehen soll. Wir kennen ja die sogenannte Brandmauer: das Abgrenzen von der Opposition, das Kriminalisieren und das Ausgrenzen der Opposition bis hin zum AfD-Verbotsverfahren.
Dieser Phänomenbereich ist nichts anderes als ein katalogisierender Begriff für die interne Arbeit des Verfassungsschutzes, es handelt sich um keinen Rechtsbegriff. Er steht in keinem Gesetz und schon gar nicht im Grundgesetz. Das ist auch kein Tatbestandsmerkmal, mit dem man prüfen könnte und woran sich dann gesetzmäßig normierte Folgen knüpfen. Es ist lediglich eine Schublade sozusagen im Schreibtisch des Verfassungsschutzes. Der Begriff «Delegitimierung des Staates» wird aber in der Öffentlichkeit so verwendet, dass der Eindruck entsteht, wenn jemand in diese Schublade gesteckt wird, dann muss er Dreck am Stecken haben. Dann ist das, als ob er schon Straftäter wäre, obwohl er nie eine Strafordnung verletzt hat.
Es geht noch weiter, das erlebe ich auch in der Praxis: Diese Klassifizierungen werden an andere Behörden weitergereicht, seien es Strafermittlungs- oder andere Verwaltungsbehörden. Zum Beispiel erlebe ich das als Steuerrechtler bei Finanzverfahren, wenn die Gemeinnützigkeit mit der Begründung entzogen wird, dass der Verein oder Mitglieder des Vereins angeblich einen verfassungsschutzrelevanten delegitimierenden Status hätten. Solche Berichte – das können auch interne Berichte an Innenministerien, Innenausschüsse oder ähnliches sein – werden an die entsprechenden Ämter weitergegeben, hier also Finanzamt, und dann wird das einfach in einen Bescheid übernommen und auch nicht mehr hinterfragt. Es wird so getan, als ob eine Kritik an der Regierung eine Delegitimierung des Staates sei. Das klingt gruselig, aber tatsächlich ist es ganz genau so.
Dabei ist es umgekehrt: Eine Regierung setzt sich über die Grundrechte hinweg. Wir beobachten ein Aushöhlen des Staates und der demokratischen Verfasstheit durch die Regierungshandelnden. Und das ist eigentlich das, was der Verfassungsschutz im Auge haben müsste: wenn eben die Macht, die demokratisch verliehen wurde, missbraucht wird.
Björn Lars Oberndorf: Wir dürfen eines nicht vergessen. Dieser Phänomenbereich «verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates», wurde zusätzlich eingeführt – zu politisch motivierter Kriminalität rechts, links, Ausländerextremismus und Islamismus –, weil man eben viele Menschen aus der Friedens- und Freiheitsbewegung in diese vorhandenen Phänomenbereiche nicht einordnen konnte. Und das aus guten Gründen: Weil es eben im Großen und Ganzen auch kein Verhalten gab, das überhaupt für die Verfassungsschutzämter in irgendeiner Form relevant gewesen wäre.
Es gilt noch mal zu überlegen, mit welcher Intention also die «verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» überhaupt eingeführt wurde. Allein schon die Bezeichnung des Phänomenbereichs sagt sehr viel über die Gedankenwelt eines Thomas Haldenwang oder einer Nancy Faeser aus. Denn wir haben in unserer verfassungsmäßigen Ordnung keine Verpflichtung zur Wertetreue. Wir können auch die komplette Regierung ablehnen – also nicht nur kritisieren. Es gibt nur eine Gesetzestreue, keine Wertetreue.
Hier wird die Staatsmacht, von der die Regierung ein Teil ist, mit dem Staat gleichgesetzt. Das ist ein absolutistisches Denken, wie beim Sonnenkönig Louis XIV.
Und es gibt noch eine Theorie in der Politikwissenschaft, die sogenannte Slippery-Hill-Theorie, also der rutschige Hügel: Ab einem gewissen Punkt sind Entwicklungen nicht mehr aufhaltbar. Zum Beispiel, wenn es um die Entmenschlichung des politischen Gegners und um gruppendynamische Prozesse geht.
Herr Oberndorf, was sind Ihre Wünsche für das Verfahren?
Björn Lars Oberndorf: Wenn es wirklich strafrechtlich relevante Vorgänge gab, dann müssen die Beklagten dazu rechtsstaatlich zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist klar. Aber – ein ganz großes Aber: Ich wünsche mir auch, dass das Ganze im Kontext der damaligen Zeit gesehen wird, also in der Kontextualisierung, warum vielleicht manche Menschen bestimmte Gedankengänge hatten. Wir dürfen nicht vergessen, das war die Zeit einer sehr übergriffigen Staatsmacht. Es war die Zeit, als wir über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert haben. Es war die Zeit, als wir im Ausland Internierungslager für positiv Getestete hatten und als wir gegenüber Menschen, die sich nicht mit mRNA injizieren ließen, einen Sprachgebrauch hatten, der an finsterste Zeiten erinnert.
In diesem Kontext hat sich diese Gruppierung gebildet – ob es dabei verschiedene Strömungen gibt, kann ich nicht beurteilen. Aber die Menschen, mit denen ich Kontakt hatte und die dann vielleicht sehr obskure Theorien aufgeworfen haben, die aber strafrechtlich eben nicht relevant sind, haben das nicht im luftleeren Raum gemacht, sondern weil sie versucht haben, bestimmte Muster des Regierungshandelns zu erklären, weil sie Angst hatten, weil sie politisch verfolgt und mit Maßnahmen überzogen wurden.
Bei den «Vereinten Patrioten» sehen wir mittlerweile sehr deutlich, dass es zumindest zwei verdeckte Ermittler gab, die die Menschen zu strafrechtlich relevantem Verhalten angestiftet haben. Das ist durchaus kritisch zu würdigen. Und ich bin mir sehr sicher, ohne das jetzt beweisen zu können, dass es auch in dem Verfahren rund um Herrn Reuß verdeckte Ermittler gibt oder gegebenenfalls Vertrauenspersonen. So wie damals beim NPD-Verbotsverfahren oder beim NSU, wo die Rolle der Dienste bis heute nicht aufgeklärt ist.
Das heißt, die Gerichte müssen sehr kritisch hinterfragen, welche Rolle die Dienste, die Vertrauensleute oder auch die verdeckten Ermittler gespielt haben. Welche Rolle der militärische Abschirmdienst gespielt hat – weil es ja auch um aktive Soldaten ging. Und so weiter und so fort. Denn nur dann kann man wirklich ein rechtsstaatliches und faires Verfahren, ohne Vorverurteilung garantieren.
Als erster Vorsitzender des Vereins «Polizisten für Aufklärung» möchte ich außerdem klarstellen, dass die Personen, mit denen wir Kontakt hatten, nicht ein einziges Mal irgendetwas erwähnt haben, was nur ansatzweise strafrechtlich relevant gewesen wäre – ganz zu schweigen von einem angeblichen «Sturm auf den Reichstag». Bei solchen Vorhaben wäre ich persönlich eingeschritten. Die gab es aber nicht.
Und das sind meine Hauptwünsche: dass man den Kontext und die Zeit miteinbezieht, dass man ergebnisoffen ermittelt und sich auch ansieht, welche Rolle die Dienste gespielt haben. Damit man zu einem Urteilsspruch kommt, der sich nicht an einem Framing oder einer Vorverurteilung, sondern wirklich an der Rechtsordnung orientiert.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.
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