«Die Gesundheit von Teenagern steckt in der Krise – und unsere Kultur ist schuld», schreibt die Psychotherapeutin Stella O’Malley in einem Beitrag für das Magazin Unherd. Und dies komme für viele nicht einmal überraschend. O’Malley:
«Diejenigen unter uns, die in den vielen Bereichen der psychischen Gesundheitsversorgung arbeiten, haben es seit Jahren kommen sehen. Nun hat The Lancet es bestätigt: Die heutigen Teenager befinden sich in einer umfassenden Gesundheitskrise. Bis 2030 werden voraussichtlich fast eine halbe Milliarde Jugendliche weltweit übergewichtig oder fettleibig sein – sie sind nicht nur gefährdet, sondern leben bereits in ihren verletzlichsten und prägendsten Jahren mit den Folgen von starkem Übergewicht.
Parallel zu dieser Fettleibigkeitsepidemie gibt es einen Anstieg psychischer Diagnosen wie Depressionen, Angstzuständen, ADHS und Autismus. Die größten Gesundheitsrisiken für junge Menschen sind heute nicht mehr Zigaretten und Alkohol, sondern Gewichtszunahme und psychische Probleme.»
In dem Bericht heißt es zudem, dass das für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Jugendlichen zur Verfügung stehende Geld nicht in dem Ausmaß bereitgestellt würde, das notwendig wäre, und nicht gezielt in die Bereiche mit dem größten Bedarf fließe. Im Übrigen mache «die spezifische Finanzierung der Jugendgesundheit nur 2,4 Prozent der gesamten Entwicklungshilfe für Gesundheit im Zeitraum 2016 bis 2021 aus, obwohl Jugendliche 25,2 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen».
O’Malley stellt auch folgende bemerkenswerte Frage:
«Die instinktive Reaktion von Fachleuten ist immer, mehr zu fordern: mehr Diagnosen, mehr Medikamente, mehr Interventionen. Doch was, wenn die Antwort nicht mehr, sondern weniger ist? Weniger Medikalisierung, weniger Bildschirmzeit, weniger verarbeitete Lebensmittel und weniger Verleugnung der Gesellschaft, in der wir unsere Kinder großziehen.
Wenn wir einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten, wird uns schmerzlich bewusst, dass wir unsere Kinder in einer zutiefst ungesunden Umgebung großziehen. Bildschirmbasiertes, sitzendes Leben geht mit kalorienreichen, nährstoffarmen Snacks einher. Wir leben im Zeitalter der digitalen Überlastung, der körperlichen Trägheit und des ständigen Konsums.»
Wir hätten eine «obesogene», also eine die Fettleibigkeit pushende Kultur geschaffen – eine Welt, die ungesunde Entscheidungen zur Selbstverständlichkeit macht. Apotheken verkauften Chips und Schokolade an der Kasse. Leckereien seien fast immer hochverarbeitet. Und wenn die körperlichen und seelischen Folgen unweigerlich eintreten, bieten wir sofort Therapien, Diagnosen und Medikamente an.
Stella O’Malley weiter:
«Die Teenager, mit denen ich arbeite, beschreiben oft, wie ängstlich, isoliert und überfordert sie sind. Vielen fällt es schwer, soziale Kontakte zu knüpfen – nicht nur, weil ihre Freundschaften hauptsächlich online bestehen, sondern weil sie keine Chance hatten, echte soziale Kompetenzen zu entwickeln. Manche suchen Trost im Essen und suchen Erklärungen in der psychischen Gesundheit.
Medikamente können das Problem verschlimmern und Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Gefühlslosigkeit und verminderte Libido hervorrufen. Jugendliche verlassen ihr Zimmer noch seltener, da ihnen Motivation und sexuelle Energie fehlen. Die Nutzung des Bildschirms wird zum Weg des geringsten Widerstands. Dies führt jedoch zu einem einsameren, weniger aufregenden und ungebundeneren Leben.»
Wenn wir Teenagern wirklich helfen wollen, müssten wir ihnen zunächst ehrlich sagen, was ihnen wehtut, ist O’Malley überzeugt. Wir alle würden wissen, dass gute psychische Gesundheit auf folgenden Grundlagen beruht: regelmäßiger Schlaf, selbstgekochte Mahlzeiten, Zeit im Freien, echte Freundschaften und ein Gefühl für Sinnhaftigkeit. «Nichts davon ist neu, aber all das wird immer seltener», gibt O’Malley zu bedenken.
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