Die letzten Tage habe ich mich der von dem Schweizer Willi Maurer entwickelten Gefühls- und Körperarbeit gewidmet. Ich begleite damit seit vielen Jahren Selbsterfahrung und die Ausbildung von Einzelpersonen und Gruppen. Dabei geht es darum, persönlichen Konflikten oder wiederkehrenden Leid erzeugenden Dynamiken mithilfe des Ausdrucks angerührter Gefühle oder Impulse auf den Grund zu gehen.
Immer wieder zeigt sich dabei, dass der Großteil dieser im Alltag aufkommenden Themen und Verhaltensweisen in der frühkindlichen Erfahrungswelt begründet sind. Schmerz und Leid entstehen als Reaktion auf nicht erfüllte existentielle Bedürfnisse. Dazu gehören mangelnde Zugehörigkeit, Anerkennung, Liebe, Zuwendung oder Sicherheit.
Dazugehörige Gefühle wie Trauer, Hass, Wut, Verzweiflung, Ohnmacht und andere werden meist abgespalten und sind dem erwachsenen Menschen nicht mehr zugänglich. Sie blitzen vereinzelt im Alltag auf und zeigen sich in Übersprungshandlungen oder «Ausbrüchen». Der berühmte Sänger und Liedermacher John Lennon, der sich mithilfe von Primärtherapie nach Arthur Janov genau diesem Schmerz zuwandte schrieb:
«Ich denke, jeder ist blockiert. Ich habe niemanden getroffen, der durch den Schmerz seiner Kindheit nicht komplett blockiert gewesen wäre. Von Geburt an. Es ist so, als ob wir irgendwann ausgeschaltet wurden, so dass wir Dinge nicht fühlen.»
Nur sehr, sehr wenige Menschen nehmen sich die Zeit, um diesen verdrängten, eigenen Anteilen auf die Spur zu kommen. Der Prozess der Integration durch das Anerkennen der eigenen, teilweise sehr schmerzhaften, Vergangenheit dauert Jahre und erfolgt in kleinen Schritten.
Doch eigentlich ist die Aufarbeitung der eigenen Historie und vor allem der verdrängten, weil zu schmerzhaften, Kindheitserfahrungen die solideste Grundlage für ein friedliches Miteinander und schlussendlich auch für ein freiheitlich-demokratisches Zusammenleben.
Egal welche Partei, Bewegung oder Initiative, meist werden sich in solchen Bewegungen die inneren Anteile der Teilnehmer zwanghaft reinszenieren und das entstehen lassen, was die Beteiligten früh im Leben erlebt haben. Sie werden beim Scheitern des gemeinschaftlichen Vorhabens dann vor allem im Außen nach Schuldigen suchen, um bloß nicht zu erkennen, dass sie die Situation (mit)erschaffen, unter der sie leiden.
Sie sind Schöpfer der eigenen leidvollen Situationen, ohne das bewusst zu erkennen. Der Pionier der pränatalen Psychologie in Deutschland Dr. Ludwig Janus beschreibt diese Vorgänge auf die Politik bezogen als das «Unbewußte in der Politik und die Politik des Unbewußten».
Die Schuldigen sind dann wahlweise andere Parteien, die Politiker, die Rechten, die Linken, die Klimaaktivisten oder die SUV-Fahrer, die Geimpften oder Ungeimpften. In den engeren Beziehungen ist es der Partner oder die Partnerin, die Kinder, etc.
Warum ist nur eine fast nicht zählbare Minderheit an der Erforschung der eigenen Psyche interessiert? Auf der einen Seite ist es teilweise immer noch verpönt, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen. Es wäre schön, wenn das Aufsuchen eines Therapeuten genauso normal wäre, wie der Anruf beim Schreiner, Installateur oder Elektriker. Aber psychische Probleme gelten weiterhin als Tabuthema, welche alleine gelöst werden müssen.
Auf der anderen Seite jedoch ist die Rückverbindung zu primären Prägungen und Traumata sehr schmerzhaft, da sie das eigene Selbstverständnis radikal in Frage stellt. Fast alle Menschen tragen Traumata in sich, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist. Wer bin ich, wenn ich nicht aus meiner frühkindlichen Verletztheit handle? Suche ich in all meine Bemühungen eigentlich nur die Anerkennung meiner Eltern, die ich nie bekam? Habe ich von Kind an verlernt, zu wissen, was ich will und das auch zu äußern, weil ich erfahren habe, dass es nichts bringt? Kommen daher meine Gefühle der Ohnmacht?
Das sind nur einige der Fragen, die aufkommen können, wenn Menschen sich auf den Weg machen, um durch Selbsterfahrung «ganz (erwachsen) zu werden».
Am Ende des Weges wartet jedoch ein Zustand, in dem nicht mehr permanent kompensatorisch gehandelt und konsumiert werden muss, Energie frei wird, weil verdrängte Gefühle ausgedrückt wurden und nicht mehr unterdrückt werden müssen, bewusste Entscheidungen getroffen werden können und Menschen sich selbst und ihren Bedürfnissen trauen und diese zum Ausdruck bringen. Ein mündiger Bürger sozusagen.
Solche Menschen sind außerdem viel schwerer zu manipulieren, weil sie aufgeräumter sind und sich nicht mittels Nudging, Angsterzeugung und Empörungsmanagement leiten lassen.
Selbsterfahrung und die Integration der eigene frühkindlichen Erlebnisse sind also Grundbestandteile eines bewussten und demokratischen Miteinanders.
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