Die voraussichtliche nächste deutsche Regierungskoalition aus Union und SPD plant laut Politico, eine härtere Gangart gegenüber EU-Mitgliedsstaaten einzuschlagen, die «demokratische Normen» und die «Rechtsstaatlichkeit» verletzen. Einem Entwurf der Koalitionsvereinbarung zufolge, den das Portal einsehen konnte, will die neue Regierung auf Mechanismen innerhalb der EU drängen, die finanzielle Strafen und sogar den Ausschluss des Stimmrechts für Länder ermöglichen, die sich angeblich nicht an die europäischen Grundwerte halten.
Zwar wird Ungarn in dem Abkommen nicht ausdrücklich erwähnt, doch Politico zufolge zielt der Entwurf «eindeutig» auf die Regierung von Premierminister Viktor Orbán ab. Die Vereinbarung, die EU zu drängen, gegen Länder wie Ungarn vorzugehen, sei Teil einer Reihe von vorläufigen Abkommen, die so unterschiedliche Themen wie Migrationspolitik, Kohleausstieg und Sozialausgaben betreffen würden. Die Unterhändler von Friedrich Merz’ konservativem Block und der SPD schreiben demnach in dem Entwurf:
«Bestehende Schutzinstrumente, vom Vertragsverletzungsverfahren über die Einbehaltung von EU-Geldern bis hin zur Aussetzung von Mitgliedsrechten wie dem Stimmrecht im Rat der EU, müssen viel konsequenter als bisher angewandt werden.»
Das Europäische Parlament habe 2018 die erste Phase des Artikel-7-Verfahrens – auch bekannt als «nukleare Option» – gegen Ungarn wegen mutmaßlicher «schwerwiegender Verstöße» gegen die Grundwerte und Grundrechte der EU eingeleitet. Das Verfahren, das zur Aussetzung der Stimmrechte Ungarns führen könnte, sei jedoch aufgrund politischer Differenzen zwischen den Mitgliedsländern ins Stocken geraten.
Im Jahr 2022 habe die Europäische Kommission rund 22 Milliarden Euro an EU-Geldern blockiert, die für Ungarn bestimmt waren, weil sie Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte und der Unabhängigkeit der Justiz gehabt hätte. Letztes Jahr habe sie schließlich mehr als 10 Milliarden freigegeben.
Ein weiteres großes Problem zwischen der EU und Ungarn sind Orbáns enge Beziehungen zu Moskau, da Ungarn wiederholt Sanktionen gegen russische Oligarchen und Militärs abgelehnt hat. Um Ungarns Blockade zu umgehen, will die neue deutsche Regierung laut Politico die qualifizierte Mehrheitsentscheidung im EU-Rat ausweiten, insbesondere in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Diese Änderung würde es der EU ermöglichen, Sanktionen zu verhängen, ohne dass eine einstimmige Zustimmung erforderlich ist. Dadurch würde Ungarns Fähigkeit, solche Entscheidungen zu blockieren, effektiv aufgehoben. Die Online-Zeitung weiter:
«Die Verhandlungsführer der Koalition versprachen, eine aktivere Rolle auf der europäischen Bühne zu übernehmen, indem sie das Weimarer Dreieck – ein loses Bündnis aus Frankreich, Deutschland und Polen – als Vehikel für die Gestaltung der EU-Politik nutzen. Unter der vorherigen Koalitionsregierung unter Olaf Scholz (SPD) verschlechterten sich die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und Polen.
‹Im Weimarer Dreieck werden wir eine enge Abstimmung in allen relevanten europapolitischen Fragen anstreben, um geschlossener im Dienste der EU als Ganzes zu handeln›, heißt es in dem Vereinbarungsentwurf. Darin werden frühere Äußerungen des neuen Bundeskanzlers Merz aufgegriffen, der angekündigt hat, an seinem ersten Tag im Amt sowohl nach Paris als auch nach Warschau zu reisen.»
Die Konservativen versprachen gemäß Politico auch, eine in den europäischen Hauptstädten häufig zu hörende Beschwerde über Deutschland anzusprechen: Deutschlands Stimmenthaltung bei Abstimmungen über wichtige EU-Fragen, die ironischerweise als «deutsche Stimme» bezeichnet werde. Dies geschehe, wenn deutsche Ministerien sich über die EU-Politik nicht einig sind, was zu einer automatischen Stimmenthaltung führe. Merz habe versprochen, diese Praxis zu beenden, um sicherzustellen, dass Deutschland bei wichtigen EU-Entscheidungen einen klaren Standpunkt vertritt. Die Union und die SPD seien sich jedoch uneinig darüber, wie dies erreicht werden soll.
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