Am Anfang stand ein Artikel in der Schweizer Boulevardzeitung Blick. Darin wird über einen Gerichtsentscheid berichtet, bei dem eine Mutter der Kindsentführung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Der Beitrag zeichnet das Bild einer Mutter, die ihr Kind in den Ferien nicht zum Vater zurückbringt, der die elterliche Obhut innehat, sondern nach Deutschland entführt, wo sie in einem heruntergekommenen Umfeld bei einem «Verschwörungstheoretiker» und «Reichsbürger-Guru» unterkommt.
Die Hintergründe des Falles werden allerdings nicht ausgeleuchtet. Die Mutter und die Verteidigung kommen in diesem einseitigen Artikel auch nicht zu Wort. Vieles an diesem Fall ist ungewöhnlich oder wirft zumindest Fragen auf. Warum zum Beispiel hat der Vater die elterliche Obhut?
In einem Beitrag von Tele M1, der drei Jahre online war, wurde das Kind abgebildet und auch sein Wohnort genannt. Der Beitrag wurde erst kürzlich auf Betreiben der Mutter vom Netz genommen. Im Beitrag wird die leere Spielecke gezeigt mit der suggestiven Frage; «Wie konnte man das diesem Vater antun?» Warum stellt denn Tele M1 nicht die Frage, wie man genau das – das Wegnehmen des Kindes – der Mutter antun konnte? Und: Tele M1 wusste noch vor der Mutter, dass dieser das Sorgerecht entzogen wurde, denn die Hauptbezugsperson war bis 2021 die Mutter.
Tele M1 wurde von der Mutter kontaktiert, war aber nicht an einer alternativen Darstellung interessiert. Zeit also für eine Recherche. Über verschlungene Pfade und Empfehlungen führt die Spur unter anderem zur Mutter. Hinter diesem Gerichtsfall steckt viel Leid, eine Scheidung und ein Sorgerechtsstreit.
Die Mutter, Sophia G., ist ein Kind der DDR. Dort ist sie aufgewachsen. Am Telefon spricht sie stockend und emotional berührt, aber doch ist sie in ihren Aussagen klar und deutlich. Was sie erlebt hat, kommt ihr vor wie ein operativer Vorgang der ostdeutschen Stasi mit dem Ziel der Zersetzung durch ausgeklügelten Psychoterror.
Der Fall von Sophia G. und ihrem heute achtjährigen Sohn zieht sich wie ein rotes Band durch den Konflikt zwischen Familienrecht, Kindesschutz und den gesellschaftlichen Herausforderungen während der «Corona-Zeit». Was als scheinbar alltäglicher Familienrechtsfall begann, entwickelte sich zu einem beispiellosen juristischen und emotionalen Krimi, der das Vertrauen in staatliche Institutionen auf die Probe stellte und stellt.
Bereits die Trennung im Jahr 2017 verlief nicht einvernehmlich. Allerdings verfügten die Behörden damals noch über Augenmaß: Die Hauptbezugsperson des Kindes war die Mutter – bis 2021. Das Coronajahr 2021 war folgenschwer – es brachte den Bruch zwischen den Behörden und Sophia G.
Als im Kindergarten des Sohnes von Sophia G. die Kindergärtnerinnen Masken tragen mussten, nahm die Mutter ihren Sohn aus dem Kindergarten. Ein Attest, wonach der Sohn aus medizinischen Gründen den Kindergarten nicht besuchen könne, wurde nicht akzeptiert und die Mutter gebüßt.
Für den Sohn war die Mimik der Lehrperson wichtig, und weil diese durch die Maske ausgeschaltet war, konnte er sie kaum verstehen. Darauf erfolgte eine Gefährdungsmeldung der Schulleitung bei der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB).
In ihrem Plädoyer vor Gericht zeigte sich die Verteidigerin von Sophia G. überzeugt davon, dass die KESB schon seit Anfang 2021 vorhatte, ihr das Kind aufgrund ihres Widerstandes gegen die Corona-Maßnahmen wegzunehmen, während bei der Trennung 2017 noch eine ausgeglichene Lösung für das Sorgerecht möglich war.
Die Anwältin ist noch heute überzeugt, dass die alternierende Obhut eine gute Lösung gewesen wäre. Aber es kam anders. Gemäß Sophia G. gelang es 2021 dem sich geschickt verhaltenden Vater, die Behörden für sich einzunehmen.
Angetrieben durch die Behörden, drängte dieser auf eine Lösung bei der Frage des Kindergartenbesuches. Das Gericht setzte dann eine Einigungsverhandlung an, verschob diese aber dann. Und aufgrund der kurzen Frist gelang es Sophia G. nicht, eine Rechtsvertretung zu finden, worauf sie sich vor Gericht selber wehren musste – ein rechtsstaatliches Unding.
Im Juli 2021 entzog das Gericht der Mutter in einem unfairen Schnellverfahren die Obhut und im Oktober 2021 hinter ihrem Rücken das Sorgerecht. Im Sommer 2021 sah sie dann ihren Sohn volle sieben Wochen nicht mehr. Als sie ihn Ende August wiedersah, hatte sie aufgrund von Beobachtungen den Verdacht des sexuellen Missbrauchs. Aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit dem Schweizer Justizsystem gelangte die Mutter zur Überzeugung, dass nur eine vertiefte Abklärung in Deutschland Klarheit bringen könne. So kam der Kontakt zu Maximilan Eder zustande.
Die Mutter hatte gemäß ihren Angaben und gemäß der Verteidigungsschrift die Gewissheit, mit dem Resultat der Abklärung rechtzeitig wieder in der Schweiz zu sein und dann – je nach Ergebnis – rechtliche Schritte einzuleiten.
Es war zwar nie ihre Absicht, in Deutschland unterzutauchen, aber sie wollte ihren Weggang mit dem Sohn auch nicht an die große Glocke hängen, weil sie die Abklärungen nicht gefährden wollte und nicht genau wusste, wie lange der Aufenthalt dauern würde. Eder blieb aber untätig. Außerdem hatte die Beschuldigte auch keine Ahnung, dass Eder mit Reichsbürgern in Verbindung gebracht wird, von denen sich Sophia G. gegenüber dieser Redaktion auch ausdrücklich distanzierte. Am 16. November wurde der Mutter dann das Kind mit Hilfe der deutschen Polizei auf unzimperliche Art entzogen und dem Vater übergeben.
«Es gab keinerlei Gefahr für das Kind», so die Mutter gegenüber dieser Redaktion.
Ihrem Sohn habe es nie an etwas gefehlt, er sei nicht in Gefahr und das alleinige «Verbrechen» sei ihr Reisen mit ihm gewesen. Und einige Woche nicht den Kindergarten zu besuchen, stelle noch keine Kindswohlgefährdung dar. Der Kinderarzt habe nach Rückkehr auch keine Traumatisierung festgestellt.
Inmitten dieser Entwicklungen begannen sich die Konflikte zu verschärfen, als der Vater das Thema an die Medien herantrug, weil die Staatsanwaltschaft keine öffentliche Fahndung durchführen wollte und einen dramatischen Aufruf zur Suche nach seinem «vermissten» Sohn startete. Die Mutter wehrt sich vehement gegen diese Darstellung. Der Vater habe gewusst, dass der Bub bei ihr und in sicheren Händen sei.
Für sie war die Situation eine Form von Schutz des Kindes vor der als übergriffig empfundenen gesellschaftlichen Norm – vor allem in Zeiten von Corona und einer Behörde, die sie als Folge ihres Widerstandes gegen die Corona-Maßnahmen aus voreingenommen empfand und empfindet. Doch anstatt dies zu verstehen, betrachteten die Kindesschutzbehörde (KESB) und das Gericht das Handeln der Mutter als problematisch.
Im Hintergrund dieser Auseinandersetzungen stand die tiefe gesellschaftliche Spaltung aufgrund der Corona-Maßnahmen. Im Jahr 2020 weigerte sich die Mutter, ihren Sohn in den Kindergarten zu schicken, wenn dort Masken getragen wurden. Für sie war es eine Frage des Schutzes des Kindes vor einem übergriffigen System, das sie als Gefährdung für die Gesundheit und das Wohl ihres Sohnes ansah.
Doch für die Behörden war dies nicht nur eine Verweigerungshaltung, sondern ein unmissverständlicher Hinweis auf eine verzerrte Wahrnehmung der Mutter, die als Teil der sogenannten «Corona-Maßnahmen-Gegner» gesehen wurde. Die KESB stufte also die Mutter letztlich als gefährlich für ihr eigenes Kind ein.
Sophia G. wurde in der Presse sogar als Satanic-Panic-Anhängerin dargestellt – eine uralte Masche, denn seit der Antike werden solche Vorwürfe zur Diffamierung von Personengruppen, insbesondere von Frauen, verwendet. Sie wurden auch als Hexen bezeichnete.
Die Verhandlungen mit den Behörden und Gerichten stellten sich als nicht nur juristisch, sondern auch emotional äußerst belastend heraus. Die Mutter wollte lediglich ihrem Sohn ein normales Leben ermöglichen, fernab der Stigmatisierung und der überzogenen Reaktionen der Gesellschaft. Doch dies war eine Haltung, die die Behörden als potenziell gefährlich einstuften, und der Konflikt eskalierte weiter.
Während der Vater die Gelegenheit ergriff, die Behörden umzustimmen und erfolgreich Sorgerecht und Obhut einforderte, versuchte die Mutter, in einem sie zunehmend überfordernden System zu überleben. Die KESB war eine zentrale Akteurin in diesem Fall. Die Behörde stufte das Wohl des Kindes als gefährdet ein, ohne dabei die Mutter und deren Beweggründe zu verstehen oder zu würdigen.
Gleichzeitig zeigte sich eine Besorgnis über das wachsende Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, das auch auf die Beziehung zwischen Eltern und Behörden durchschlug.
Der Fall wurde zu einem Symbol für die Willkür, die oft von den Behörden ausgeht – ein Prozess, der vor allem in den Augen der Mutter das Kindswohl gefährdete.
Die KESB beschleunigte die Verfahren und setzte die Mutter weiter unter Druck. Die Ämter sprachen ohne Not eine sofortige Entziehung des Sorgerechts aus und führten die Maßnahmen mit einer bemerkenswerten Härte durch. Die Mutter musste sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen den Vater des Kindes durchsetzen, was nicht gelang.
Der Fall erregte öffentliche Aufmerksamkeit, insbesondere durch die mediale Berichterstattung des Vaters, der seine Sichtweise von der Entführung und dem angeblichen Verschwinden des Kindes darstellte. Aber für die Mutter war es eine Frage des Schutzes und der Wahrung des Rechts, als Mutter über das Wohlergehen ihres Kindes zu entscheiden – unabhängig von den staatlichen Interventionen. Sie fühlte sich immer mehr von der Gesellschaft und den Institutionen entmachtet.
Der Fall der Mutter und ihres Sohnes steht nicht nur für einen Streit ums Sorgerecht, sondern für eine tiefere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Recht der Eltern, die Entscheidungshoheit über das Leben ihrer Kinder zu behalten. Es zeigt die Widersprüche einer Gesellschaft, die in der Coronazeit nach Sicherheit strebte, aber auf der Strecke nicht nur Kinder, sondern auch Elternrechte und individuelle Freiheiten zu verlieren drohte.
Die Geschichte ist aber nicht zu Ende. Bei Noa G. wurde eine Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert. Es lag dann eine Behandlung mit einem Methylphenidad-Präparat in der Luft. Anstatt die Fragen der Mutter schriftlich zu beantworten, reichte der Kinderarzt (Name dieser Redaktion bekannt) bei der KESB anfangs November 2024 eine neue Gefährdungsmeldung ein. Dies erfolgte unmittelbar nach für Sophia G. aufreibenden Prozesstagen. Die Tatsache, dass der Kinderarzt die schriftliche Anfrage der Mutter nicht beantwortet, deutet diese als Verstoß gegen Art. 275 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB).
Die Folge der Gefährdungsmeldung war der (erneute) Sorgerechtsentzug in medizinischen Dingen für die Mutter ohne aufschiebenden Wirkung. Ist eine solche Ausgrenzung der Mitsprache der Mutter gerechtfertigt?
Es besteht also die Möglichkeit, dass Noa G. ohne Beizug der Mutter ein Medikament verabreicht wird, das wegen seinen Nebenwirkungen umstritten ist. Die Mutter äußerte gegenüber dieser Redaktion den Verdacht, dass die ADHS-Symptome von der Ohnmacht herrührt, sich nicht wehren zu können und dass die geplante Medikation den Zweck haben könnte, dass Noa G. wieder «mitmarschiert.» Der Kinderarzt wurde von dieser Redaktion mit einem kurzen Katalog von Fragen kontaktiert, antwortete aber bisher nicht.
«Das Trainieren auf Gehorsam schafft leicht lenkbare Menschen. In der Schweiz weniger mit Gewalt, aber mehr auf der psychischen Ebene. Die Machtinstrumente haben sich verfeinert,» sagt Sophia G.
Der juristische Kampf geht weiter, das Urteil gegen die Mutter ist nicht rechtskräftig – es gilt die Unschuldsvermutung für Sophia G. Und für viele ist er ein Symbol für den immer größer werdenden Konflikt zwischen staatlicher Kontrolle und elterlicher Verantwortung.