Transition News: Das Motto der Demonstration am 2. August in Berlin ist «Weltfrieden». Ist es denn überhaupt noch sinnvoll, weiterhin seine Meinung auf die Straße zu bringen?
Christiane Tan: Zu demonstrieren ist zum einen wichtig, um der Ohnmacht zu entkommen, um etwas zu tun, um seine Meinung auch für sich selbst auf die Straße zu bringen. Und andererseits ist es ganz heilsam und gut, sich mit anderen, die den gleichen Wunsch haben, zu verbinden. In einer Welt, die immer chaotischer und undurchschaubarer wird, gilt es, Kontakt zu sich selbst und Kontakt zu anderen herzustellen.
Auf der Straße kann ich mit Menschen zusammenkommen, die das Gleiche wollen. Es geht in diesen Zeiten tatsächlich um Kontakt, um Verbindung zwischen den einzelnen Seelen, aber auch zwischen den Völkern. Nur so können wir Weltfrieden realisieren. Denn Frieden ist die Grundvoraussetzung für eine Welt, in der sich jeder optimal entfalten kann.
Was meinen Sie mit «Kontakt»?
In dem Moment, wo wir wirklich in Kontakt sind – das gelingt mal mehr und mal weniger gut –, ist es gar nicht möglich, Waffen einzusetzen oder zu kämpfen, weder im Kleinen noch im Großen.
Wenn wir uns den Konflikt in Palästina und Israel ansehen, dann tendieren wir immer dazu, uns für eine Seite zu entscheiden oder eine Lösung zu projizieren. Aber es geht eigentlich darum, die Menschen vor Ort zu verstehen und sich zu fragen, was es bedeutet, wenn dir eine Bombe auf den Kopf fällt oder dein Haus und deine Familie zerstört. Wenn wir damit in Kontakt gehen, wird jedem klar, dass Krieg unerträglich ist. Und dass das in einer Welt, die so schön sein kann, keinen Platz hat.
In Griechenland, Frankreich und Italien streiken Hafenarbeiter und verladen keine Rüstungsgüter nach Israel. Andere verkaufen ihre Aktien und investieren nicht mehr in Unternehmen, die an Kriegen und Aufrüstung verdienen. Aber was können diejenigen unternehmen, die weder Firmenanteile besitzen noch irgendwie mit Kriegswaffen zu tun haben?
Was wirklich jeder machen kann: mit den Themen, die die Menschen in Kriegsgebieten bewegen, in Kontakt zu gehen, ohne das auf die politische Ebene zu projizieren. Das heißt, sich nicht mit den Regierungen, sondern mit den Betroffenen auseinandersetzen und sie zu fragen: Was braucht Ihr, damit eine Lösung stattfinden kann? Was sind Eure Bedürfnisse? Was sind die Schmerzen der Palästinenser, der Ukrainer, der Russen? Dann wird auch klar, dass wir Kommunikation und ein Miteinander brauchen. Dass wir jemanden brauchen, der den Schmerz und nicht immer nur die politischen Lösungen erkennt.
Was heißt Frieden für Sie?
Für mich persönlich bedeutet Frieden, dass jeder zuerst mal in sich selbst schaut. Wo tut es weh? Wo sind Triggerpunkte? Wo ist das, was im Unfrieden in einem selber ist? Und das dann auf die große Bühne zu projizieren. Denn es ist ja im Kleinen so wie im Großen. Wenn man sich mit seinen eigenen Gefühlen, Angehörigen und Ahnen im Konflikt befindet, dann wird auch klar, dass sich das auf der großen Weltenbühne widerspiegelt.
All diese Dinge, die so erdrückend sind und gegen jede Art von Frieden passieren – da braucht es von uns allen ein klares Nein.
Die Wehrpflicht soll in Deutschland durch die Hintertür wieder eingeführt werden. Sie haben selbst zwei Kinder. Was sagen die dazu?
Meine Kinder, die gerade schön heranwachsen, mein Mann und ich sind uns total einig, dass es auch da ein ganz klares Nein braucht – und das schon jetzt. Zum Beispiel kann jeder an sein Einwohnermeldeamt schreiben, damit es die Daten nicht an die Bundeswehr weiterleitet – so kann man wenigsten deren Werbeanschreiben an die Jugendlichen einen Riegel vorschieben.
Wie kam es eigentlich zur Gründung von «Wir sind Viele»?
Die meisten von uns waren schon im Frühling 2020 auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin bei den Spaziergängen zur Wahrung der Grundrechte dabei, die «Nicht-Ohne-Uns!» initiiert hatte. Und als dann die großen August-Demos stattfanden, fand auch Querdenken Berlin zusammen. Im Laufe dieses ersten «Corona»-Jahres wurden in Berlin sehr viele Initiativen gegründet, die sich – auch durch äußere Einflüsse – bald wieder in Auflösung befanden. Um alle in dasselbe Boot zu holen, haben wir «Wir sind Viele» gegründet, und Querdenken Berlin wurde ein Teil davon. Es ging darum, möglichst viele Berliner Initiativen zusammenzuführen.
«Wir sind Viele» organisiert inzwischen seit mehreren Jahren Demonstrationen zur Einhaltung der Grundrechte, für gesundheitliche Selbstbestimmung und für Frieden. Welche Bedeutung hat dieser Termin Anfang August für Sie?
Die Grundvoraussetzung für eine bessere Welt ist erst mal Frieden. Die Waffen müssen schweigen, damit wir überhaupt zur Ruhe kommen. Deshalb veranstalten wir hier in Berlin viele Friedensdemos, Friedensfeste und auch jeden Montag eine Mahnwache für Weltfrieden. Ich glaube, dass es sich bei den ganzen Sachen, die wir erleben, um Symptome derselben Ursache handelt.
Und inzwischen ist es zur Tradition geworden, dass sich die Bewegung am ersten Augustwochenende versammelt. Am 1. August 2020 hat Michael Ballweg eine Großdemo initiiert, die von seinem Team in Stuttgart, Querdenken 711, organisiert wurde. Im Jahr 2021 wurde die Augustdemonstration kurzfristig verboten, dennoch sind Hunderttausende gekommen und haben sich die Straßen Berlins sozusagen friedlich erobert. Durch die unrechtmäßige Verhaftung von Michael Ballweg und seinen absolut unrechten Gefängnisaufenthalt von neun Monaten, hat dann das Team von «Wir sind Viele» die Augustdemonstration in den Jahren 2022 und 2023 organisiert. 2024 gab es eine Kooperation von Querdenken Stuttgart und unserer Initiative. Und da Michael Ballweg jetzt im Juli mehrere Gerichtstermine hat, liegt in diesem Jahr die Organisation der Demonstration wieder komplett in den Händen von «Wir sind Viele».
Wie hängen Krieg und «Corona» denn zusammen?
Wie ich schon gesagt habe, für mich ist «Corona» ein Symptom dafür, dass gewisse Machtstrukturen einen Großteil der Menschheit beherrschen wollen und immer wieder in die Angst treiben, um uns von unserem Inneren, von einander und uns letztlich von unserer Kraft zu trennen – die Kraft der Menschheitsfamilie. Und Krieg ist ja nichts anderes, als uns immer wieder zu spalten.
Bei «Corona» wurden die Menschen voneinander getrennt, bis in die Familien hinein – es gibt, die einen, die nicht an diesem Experiment teilnehmen wollten, und die anderen, die teilgenommen haben. Derzeit hat jeder eine Meinung zum Gaza-Konflikt oder zum Ukraine-Krieg, und das Übergeordnete ist kaum vorhanden, also zu sagen: Es gibt gar keine richtige Position, sondern wir sind alle eins. Und jeder hat das Recht, in Frieden so zu leben, wie er möchte, wenn er dabei niemanden einschränkt.
Die Verbindung zwischen Krieg und «Corona» ist, dass diese Themen uns immer wieder spalten und uns Menschen, Familien, Völker durch Angstmache auseinandertreiben.
«Wir sind Viele» nimmt als Initiative auch an Friedensmärschen teil, die von anderen Gruppen organisiert werden. Wie sind denn die Erfahrungen mit der «alten» Friedensbewegung?
Es gibt immer wieder Annäherungen und auch immer wieder die alten Muster der Angst – Angst, das Falsche zu tun oder sich mit dem Falschen zu verbünden. Das ist ein großer Prozess, mal triften wir ein bisschen mehr auseinander, aber dann kommen wir doch wieder zusammen.
Welche Befürchtungen kommen dabei zum Vorschein?
Im konkreten Fall geht es um die Angst, mit den Falschen gesehen zu werden. Unser Framing als «Nazis» wirkt. Die Fragen, die sich dabei stellen: Wie geht man mit Rechts und Links um? Sind Menschen rechts oder links, die der Friedensbewegung angehören? Ist das alles korrekt? Da gibt es große Bedenken auf Seiten der «alten» Friedensbewegung, die ja zuerst durch «Corona» und dann durch jedes neue Thema – Ukraine, Gaza, Israel – erneut gespalten wurde. Und diese Spaltungen führen immer wieder zu Angst, Unsicherheit und Misstrauen.
Wenn wir dann zusammenkommen und das Thema Frieden auf den Punkt bringen, kommen sofort Angst und Befürchtungen hoch: Hat der vielleicht eine rechtsradikale Vergangenheit? Wer darf wirklich mit wem? Wo sind die Grenzen?
Die «alte» Friedensbewegung hat ihren Ursprung ganz klar in linken Kreisen. Wenn wir in diesen alten Begriffen «links» und «rechts» denken, dann sind wir alle links. Wir, als Teil der neuen Friedens- und Demokratiebewegung, wurden aber als «rechts» geframed. Dazu kommt, dass sich die AfD vermehrt unserer Themen angenommen hat. Und so besteht bei einigen große Angst und Unsicherheit, mit den Falschen das Richtige zu tun.
Aber die Fragen, die wir uns alle stellen müssen: Kann man mit den Falschen das Richtige tun? Und wie viel Vertrauen dürfen wir wieder zueinander haben? Und wo sind unsere eigenen roten Linien? Gibt es diese Kategorien «rechts» und «links» noch? Gibt es überhaupt solche Einteilungen? Gibt es falsche Menschen?
Pazifisten werden schon sehr lange diffamiert, denken wir nur an Begriffe wie «Peacemonger» oder «Peacenik». Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, da hat jeder seine eigenen Strategien. Ich begegne Verleumdungen inzwischen nicht mit Angst, sondern eher mit Humor. Letztlich zeigen solche Diffamierungen ja, dass das System Angst vor Menschen wie uns hat. Und ich glaube, Humor ist ein ganz guter Weg, damit umzugehen.
Aber das ist natürlich ein schmerzhafter Prozess gewesen. Auch ich habe durch diese Diffamierungen und Unterstellungen viele Menschen verloren. Mittlerweile amüsieren mich solche Verleumdungen und prallen komplett ab.
Wie sieht das Programm für die Augustdemonstration 2025 aus?
Im Vordergrund steht auf jeden Fall ein großer Umzug, der die Verbindung, die Freude und den Frieden in die Stadt hineinträgt, so wie es die letzten Jahre sehr gut gelungen ist. Eingerahmt wird die Demonstration durch eine Auftakt- und Schlusskundgebung mit Musik- und Redebeiträgen. Aber das Programm auf der Bühne soll immer mehr in den Hintergrund treten, weil es nicht die Zeit der großen Redner oder Retter ist, sondern es geht wirklich um die Kraft der Menschen und um die Kraft der Verbindung. Das soll am 2. August in Berlin absolut im Vordergrund stehen.
Wer ist bei dieser Demo für Weltfrieden willkommen?
Es ist jeder willkommen, der für bedingungslosen Frieden steht. Und bedingungslos heißt für uns tatsächlich, dass es bei Gaza oder der Ukraine nicht darum geht, eine Meinung zu vertreten oder auf der einen Seite zu stehen. Sondern es geht darum, dass in den Kriegsgebieten erst mal Frieden herrscht und dass keine Menschen mehr getötet werden. Einfach Frieden – ohne zu wissen, wie die Lösung aussieht.
Das Interview führte Sophia-Maria Antonulas.