Eine der lebhaftesten Kindheitserinnerungen der israelischen Journalistin Shany Littman ist die an die letzte Szene von Ram Loevys Drama «Bread» («Brot») aus dem Jahr 1986, das auf dem einzigen israelischen TV-Sender ausgestrahlt wurde. Wie die Autorin in Haaretz berichtet, liegt in dieser eindringlichen Szene der Protagonist Shlomo, der, nachdem er seinen Job in einer Bäckerei verlor, im Hungerstreik ist, leblos auf seinem Bett. Währenddessen teilt seine Frau ihm mit, dass die Bäckerei wieder eröffnet wurde und ihn zurückhaben möchte.
Ram Loevy, ein Filmemacher, der sich den soziopolitischen Themen verschrieben hat, nutzt laut Littman seine Arbeit konsequent, um schmerzhafte öffentliche Probleme anzusprechen. Er sei dabei getrieben von einem Gefühl der Notwendigkeit und einem klaren Blick auf die Ungerechtigkeiten der Welt. Im Laufe seiner Karriere habe sich Loevy auf Themen wie Protest und Selbstreflexion konzentriert, die die turbulente politische Landschaft Israels widerspiegeln.
Im Jahr 2002, auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada, bei der Palästinenser auch mit Gewalt gegen Israels Vorgehen protestierten, drehte Loevy «Seger» («Sperre», englischer Titel: «Close, Closed, Closure»), einen Film über Gaza. Dies war, bevor der Gazastreifen unter die Kontrolle der Hamas geriet, die darin lebenden Menschen aber bereits unter einer israelischen Blockade litten. Der Film wurde unter anderem in Frankreich, Belgien, Kanada und der Schweiz im Fernsehen gezeigt.
«Israels glorreicher Sieg im Sechstagekrieg wird letztlich zum Ende des jüdischen Staates führen», sagt Loevy zu Beginn des Films. Damit zitiert er die erschreckende Prophezeiung des polnisch-jüdischen Historikers Isaac Deutscher, die nur wenige Tage nach dem Ende des Konflikts im Juni 1967 ausgesprochen wurde. Littman erläutert:
«Der Gazastreifen war schon lange vor der bekannten Blockade von 2006 abgeriegelt, da Israel Mitte der 1990er Jahre einen Zaun um den Gazastreifen errichtete hatte und kontrollierte, wer hinein- und wer hinausging. Damals gab es im Gazastreifen noch israelische Siedlungen (der Block Gush Katif). Und die Bewohner des Gazastreifens waren in Bezug auf ihren Lebensunterhalt und ihre Bewegungsfreiheit von der israelischen Regierung und ihren Launen abhängig.»
Loevys Film, der in Zusammenarbeit mit der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem entstand, dokumentiert seine Besuche in Gaza und fängt die Verzweiflung der Bewohner ein. Die Journalistin erklärt:
«Seine (Loevys) Schilderungen begleiten den Film, mit Eindrücken von beiden Seiten der Sperre und einem umfassenden Verständnis für die Saat der Katastrophe, die in dem größten Gefängnis der Welt – das Israel mit seinen eigenen Händen geschaffen hat – gepflanzt wurde und die noch immer blüht.»
«Seger» folgt der Familie Sultan – Mutter Najwa, Vater Fadl und ihrem 9-jährigen Sohn Mohammed, dem aufgrund einer unbehandelten Krankheit beide Beine amputiert wurden:
«Als seine Eltern ihn mit dem Krankenwagen nach Israel bringen wollten, stellte sich heraus, dass beiden die Einreise untersagt war – der Mutter, weil sie in der Vergangenheit wegen des Werfens eines Molotow-Cocktails inhaftiert worden war, und dem Vater, weil Israel Männern seines Alters keine Einreisevisa erteilte», so Littman.
Die Kämpfe der Familie verdeutlichen die Absurdität ihrer Existenz unter der Blockade. Dazu gehören Najwas Wut und die Versuche von Fadl und Mohammed, trotz der schlimmen Umstände optimistisch zu bleiben. Niemand wisse, was mit der Familie Sultan seit dem 7. Oktober 2023 geschehen ist, konstatiert Littman.
Loevy dokumentiert auch die Bemühungen linker Aktivisten wie Chaim Peri, die gegen die Besetzung und die Siedlungen in Gusch Katif protestierten. Peri, ein leidenschaftlicher Verfechter des Friedens, wurde später 2023 von der Hamas als Geisel genommen und starb in Gefangenschaft. Damit fanden seine lebenslangen Bemühungen, Blutvergießen zu verhindern, ein tragisches Ende.
Loevys Arbeit ist gemäß Littman ein wichtiger Teil des kulturellen Gedächtnisses Israels und hält die harten Realitäten der Vergangenheit und Gegenwart fest. Seine Filme wie «Bread» und der kontroverse «Khirbet Khizeh», der 1978 ausgestrahlt wurde und sich mit der Vertreibung der Palästinenser im Jahr 1948 beschäftigte, hätten bedeutende öffentliche Debatten und Reflexionen ausgelöst. Trotz anfänglichen Widerstands, solche provokativen Inhalte auszustrahlen, seien Loevys Filme zu wichtigen soziopolitischen Kommentaren geworden.
Littman zufolge übertrug Loevy kürzlich sein Archiv an das Israeli Center for the Documentation of the Performing Arts (Israelisches Zentrum für die Dokumentation der Darstellenden Künste) an der Universität Tel Aviv. Damit sollte sichergestellt werden, dass zukünftige Generationen Zugang zu seiner Arbeit haben und daraus lernen können.
Der Dekan der Kunstfakultät, Prof. Eran Neuman, der sich ebenfalls an die Wirkung von «Bread» erinnert, lobt Loevy als einen sehr ethischen Künstler mit einem bedeutenden sozialen Gewissen. Neuman unterstreicht die Bedeutung von Loevys Arbeit bei der Gestaltung des israelischen Kinos und Fernsehens im Umgang mit politischen und sozialen Themen.
Letzten Mittwoch fand in der Tel Aviv Cinematheque eine Sondervorführung des Films «Seger» statt. Sie war ausverkauft und bei ihr gab es im Anschluss eine Diskussionsveranstaltung zum Gedenken an den in Hamas-Gefangenschaft verstorbenen Peri.
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