Im Frühjahr 2020 erlebte die Welt einen dramatischen Wendepunkt. Die Corona-«Pandemie» wurde in Szene gesetzt, und mit ihr kamen weitreichende Maßnahmen, die das öffentliche Leben nahezu weltweit zum Erliegen brachten. Lockdowns, Maskenpflicht, Schulschließungen und der Aufbau eines neuen «Normalzustands» wurden als vermeintlich notwendige Schritte zur Bekämpfung der «Pandemie» dargestellt. Doch mit den Maßnahmen, die verordnet wurden, entstand auch ein neues, tief verwurzeltes Unrecht – ein Unrecht, das nicht auf den Maßnahmen an sich beruht, sondern auf der epistemischen Struktur, die diese rechtfertigte.
Jörg Benedict ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an der Universität Rostock. In seinem Essay auf Cicero verweist er auf den Begriff des «epistemischen Unrechts», um die Art und Weise zu beschreiben, wie juristische und politische Entscheidungen auf falschen Annahmen beruhten, die als Wahrheit präsentiert wurden.
Epistemisches Unrecht, so Benedict, ist das Unrecht, das entsteht, wenn eine falsche Wahrheit zum Gesetz erklärt wird. Der Prozess der Wahrheitsfindung wird nicht ernst genommen, und es wird nicht nach der tatsächlichen, verifizierbaren Wahrheit gesucht – stattdessen wird eine politische, populistische oder ideologisch gefärbte «Wahrheit» propagiert, die dann als Grundlage für gesetzliche und gesellschaftliche Maßnahmen dient.
Benedict: «Das Unrecht ist epistemisch, weil das Recht auf (ἐπι-, epi-) einer Wahrheit zu stehen (ἵστημι, hístēmi) vorgibt, die tatsächlich eine Lüge ist. Das altgriechische Wort Istor für Richter und die römische historia verweisen nicht zufällig auf diesen Begriff (ἐπιστήμη, epistḗmē), weil alles Wissen nur nach einer gründlichen Erforschung der Wahrheit Bestand haben kann. Und dieses Wissen ist kein anderes als historisches Wissen, es ist cognitio ex datis: Wissen aus Fakten.»
Benedict erklärt das mit historischen Beispielen, zum Beispiel aus dem römischen Reich. Ein markantes Beispiel aus der Corona-Zeit ist die explizite Verknüpfung von wissenschaftlicher Expertise und politischer Entscheidungsmacht. «Wir hören auf die Wissenschaft», wurde nicht nur in Deutschland immer wieder betont. Doch welche Wissenschaft wurde gehört, und welche Perspektiven blieben unbeachtet?
In vielen Fällen wurden nur jene Wissenschaftler und Experten gehört, die die offizielle Linie unterstützten. Kritische Stimmen wurden unterdrückt, als wären sie nicht Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Dies führt zu einer gefährlichen Verzerrung der Realität, die in der Rechtsordnung nicht hinterfragt wurde.
Die juristische Aufarbeitung der «Pandemie» hat diese epistemischen Dimensionen des Unrechts nahezu gänzlich ignoriert. Laut dem Rechtsphilosophen Immanuel Kant besteht ein grundlegendes Problem der Jurisprudenz darin, dass Juristen oft die epistemischen Grundlagen ihres eigenen Handelns nicht hinterfragen. Sie handeln in der «reinen Rechtslehre», die die Annahme voraussetzt, dass Recht und Wahrheit voneinander getrennt sind – und dass juristische Entscheidungen ohne Rückgriff auf die Wahrheit auskommen können. Diese Haltung führt dazu, dass juristische Institutionen der Corona-Zeit nicht in der Lage waren, die grundlegenden Annahmen hinter den Maßnahmen zu hinterfragen.
Ein weiteres prägnantes Beispiel für dieses epistemische Unrecht ist die Haltung der Gerichte, insbesondere der deutschen. Das Vertrauen in die wissenschaftlich begründeten Maßnahmen führte dazu, dass Gerichtsurteile fast immer die offiziell verordnete «Wahrheit» widerspiegelten. Anstatt die Maßnahmen und ihre wissenschaftlichen Grundlagen kritisch zu überprüfen, nahm man sie als gegeben hin und stützte die politische Entscheidungsfindung. Juristen, die sich in ihren Entscheidungen nicht an das aus der Praxis stammende «Wissen» der Zeit orientierten, wurden entweder missachtet oder verurteilt.
Ein herausragendes Beispiel für das Versagen der Justiz bei der Auseinandersetzung mit epistemischem Unrecht während der «Pandemie» ist der Fall von Richter Christian Dettmar. Im Jahr 2021 erließ er in Weimar eine einstweilige Anordnung, die die Maskenpflicht und andere Maßnahmen für Schüler aufhob. Dettmar berief sich auf Gutachten, die die gesundheitlichen und seelischen Schäden der Maßnahmen für Kinder belegen sollten. Der Richter stellte klar, dass diese Maßnahmen auf wissenschaftlich nicht fundierten Annahmen beruhten.
Doch statt eine breite Diskussion zu eröffnen, wurde Dettmar als «Querdenker» diffamiert, seine Entscheidung als ein gefährlicher Akt des Widerstands gegen den Rechtsstaat interpretiert. Der anschließende Strafprozess und die Verurteilung Dettmars zu einer erheblichen Strafe zeigen, wie sehr das Vertrauen in die juristische Unabhängigkeit während der «Pandemie» erschüttert wurde.
Dettmar hatte die grundlegenden Annahmen hinter den Maßnahmen hinterfragt, und dies wurde als schwerwiegender Verstoß gegen die «richterliche Unabhängigkeit» geahndet. Ein Urteil, das die wissenschaftliche Basis der Maßnahmen nicht prüfte, sondern auf der epistemischen Basis der politischen Entscheidung beruhte.
Ein weiterer Aspekt des epistemischen Unrechts war die Art und Weise, wie die Medien die Wahrheiten und Lügen über die «Pandemie» verbreiteten. Experten, die den offiziellen Narrativen widersprachen, wurden schnell als «Schwurbler» oder «Covidioten» stigmatisiert. Die Medien trugen dazu bei, diese Narrative weiter zu verbreiten, was die gesellschaftliche Spaltung verstärkte.
Besonders perfide war gemäß Benedict die Darstellung von Kindern als «Ratten» der Corona-Zeit – ein Zitat, das von einem prominenten Agitator verbreitet wurde und die Ungeimpften sowie die Kinder als Hauptverantwortliche für die Verbreitung des Virus darstellte. Solche Aussagen wurden nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch von politischen Entscheidungsträgern unkritisch übernommen.
Die Corona-Zeit hat die juristische und politische Landschaft auf eine harte Probe gestellt. Die Frage, wie Unrecht in einem «normalen» Rechtssystem behandelt werden sollte, hat sich als schwierig zu beantworten erwiesen. Die rechtliche Struktur, die auf den Prinzipien von Wahrheit und Gerechtigkeit basieren sollte, hat in vielen Fällen versagt, die epistemischen Lügen zu erkennen, die als Grundlage für politische und juristische Entscheidungen dienten. Die Corona-Zeit wird uns daher nicht nur als gesundheitliche Krise in Erinnerung bleiben, sondern auch als eine Zeit des epistemischen Unrechts, das sich tief in die Gesellschaft eingegraben hat.
Jörg Benedict gibt in seinem Essay, das gespickt ist von beunruhigenden historischen Beispielen, viele wertvolle Denkanstöße und eine sehr plausible Erklärung für das Versagen der Justiz in der Corona-Zeit.
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