Digitale Beweismittel spielen eine immer größere Rolle in der Strafverfolgung, da viele Straftaten heutzutage mit Hilfe von Kommunikationsmitteln im Internet begangen werden. Dazu gehören nicht nur Cyberkriminalität, sondern auch traditionelle Verbrechen, bei denen Täter digitale Mittel nutzen, um ihre Taten zu planen und durchzuführen.
Oftmals sitzen Dienstleister, wie Mail- oder Telekommunikationsanbieter, im europäischen Ausland. Bisher mussten zum Beispiel deutsche Ermittler bei Verdachtsfällen zunächst die zuständige Behörde des betreffenden Landes kontaktieren, um Zugang zu den notwendigen Beweismitteln zu erhalten. Dieser Prozess ist langwierig und ressourcenintensiv.
Um die Effizienz der Strafverfolgung zu steigern, hat die EU im Juli 2023 die sogenannte E-Evidence-Richtlinie sowie eine ergänzende Verordnung verabschiedet. Diese Regelungen ermöglichen es Ermittlern in den Mitgliedsstaaten, direkt auf Dienstleister in anderen EU-Ländern zuzugreifen. Somit können sie beispielsweise Meta, Google oder Amazon unmittelbar zur Herausgabe von Daten auffordern, die für laufende Ermittlungen relevant sind.
Deutschland, das sich lange gegen einen solchen direkten Zugriff gewehrt hatte, muss nun diese EU-Vorgaben umsetzen. Der aktuelle Entwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) für ein entsprechendes Gesetz befindet sich bereits in der Abstimmungsphase innerhalb der Regierung.
Das neue Gesetz, das auch als «E-Evidence-Gesetz» bezeichnet wird, soll zwei wesentliche Instrumente zur Verfügung stellen: die Herausgabeanordnung und die Sicherungsanordnung. Erstere ermöglicht es, direkt auf Daten wie Identitätsinformationen, Kommunikationsinhalte oder Metadaten zuzugreifen. Letztere dient dazu, Daten zu sichern, damit sie nicht gelöscht oder verändert werden, bevor eine richterliche Anordnung vorliegt.
Die Definition von elektronischen Beweismitteln ist weit gefasst und umfasst sämtliche digitalen Teilnehmer-, Verkehrs- und Inhaltsdaten.
Die neuen Regelungen in Deutschland sehen vor, dass die Verhältnismäßigkeit der Anordnungen geprüft werden muss. Nur bei ausreichend schweren Straftaten, die in Deutschland mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, oder bei spezifischen Delikten wie Cyberkriminalität oder Terrorismus, ist ein Zugriff auf die Daten zulässig. Zudem müssen die Daten, sofern es sich um sensible Informationen handelt, von einem Gericht freigegeben werden. Dies soll sicherstellen, dass die Rechte der Betroffenen gewahrt bleiben.
Dienstanbieter innerhalb der EU sind verpflichtet, Ansprechstellen zu benennen, die die Anordnungen entgegennehmen. Sollten sie diesen Anordnungen nicht nachkommen, drohen empfindliche Strafen, darunter Bußgelder bis zu 500.000 Euro oder bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Überwacht wird die Einhaltung der neuen Regelungen vom Bundesamt für Justiz.
Diese Neuerungen werden voraussichtlich ab 2026 in Kraft treten und könnten weitreichende Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit in der Strafverfolgung haben. Kritiker sehen die Gefahr, dass damit die Souveränität der Staaten untergraben wird und Bürgerrechte, insbesondere die Datenschutzrechte, nicht ausreichend geschützt werden. Befürworter hingegen argumentieren, dass dies ein notwendiger Schritt sei, um die zunehmende Cyberkriminalität und andere digitale Delikte effektiv zu bekämpfen.
Schweizer Strafverfolger, wie der Zürcher Staatsanwalt Bernhard Hecht, betonen die Dringlichkeit einer Teilnahme der Schweiz an diesem System, da sie befürchten, sonst wichtige Beweise nicht mehr rechtzeitig zu erhalten.
Aktuell müssen Daten über internationale Rechtshilfe ersucht werden, was oft zu Verzögerungen führt. Das neue EU-System würde es Ermittlern ermöglichen, direkt auf Daten in anderen EU-Staaten zuzugreifen, was Effizienz und Reaktionsschnelligkeit verbessern soll.
In der Schweiz wird diskutiert, wie auf diese Änderungen reagiert werden soll. Juristin Giulia Canova weist darauf hin, dass Schweizer Anbieter, die in der EU tätig sind, künftig verpflichtet sein könnten, EU-Ermittlern Zugang zu Daten zu gewähren. Dies könnte zu rechtlichen Konflikten führen, da Schweizer Unternehmen aktuell solche Daten nicht ohne Weiteres herausgeben dürfen.
Es gibt jedoch auch Widerstand gegen die Übernahme der EU-Regelungen in der Schweiz. Kritiker wie Martin Blatter, CEO der verschlüsselten Chat-App Threema, und die SVP-Politikerin Barbara Steinemann argumentieren, dass dies die Souveränität der Schweiz gefährden könnte. Befürworter einer Zusammenarbeit, wie FDP-Politiker Andrea Caroni und der Verband Swico, sehen hingegen in der Einbindung in das EU-System eine notwendige Anpassung an die digitale Realität.
Das Thema wird in der Schweiz nun weiter diskutiert, da eine Entscheidung über die Anpassung der nationalen Gesetzgebung an die neuen EU-Regeln bis 2026 getroffen werden muss.
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