Am Montag informierte ein Anwalt die Schaffhauser Staatsanwaltschaft, dass im Wald von Merishausen die Suizidkapsel Sarco eingesetzt worden sei (wir haben hier darüber berichtet). Einsatzkräfte sicherten die Kapsel und brachten die verstorbene Person zur Obduktion nach Zürich. Laut der Organisation «The Last Resort», die hinter der Kapsel steht, handelte es sich bei der Verstorbenen um eine 64-jährige Amerikanerin, die seit Jahren unter einer Immunschwäche litt. Die Kapsel soll der Frau einen medikamentenfreien Tod ermöglicht haben.
Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass ein Strafverfahren wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord gegen mehrere Personen eröffnet wurde. Peter Sticher, der erste Staatsanwalt des Kantons, äußerte sich zurückhaltend zu weiteren Details, darunter die Anzahl der Festgenommenen, betonte aber, er habe die Verantwortlichen schon im Juli gewarnt. Inoffiziell wurde bekannt, dass neben dem Co-Präsidenten von «The Last Resort», Florian Willet, zwei Anwälte und ein niederländischer Fotograf verhaftet wurden.
Während die meisten der Verdächtigen wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, bleibt eine Person auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft, wie gestern bekannt wurde. Es dürfte sich dabei um Willet handeln. Die zuständigen Richter haben nun 48 Stunden Zeit, um über den Antrag zu entscheiden.
Die Voraussetzungen für eine Untersuchungshaft sind in der Schweiz streng: Infrage kommt sie nur, wenn es um ein Verbrechen oder ein Vergehen geht. Zusätzlich muss von der in Untersuchungshaft zu nehmenden Person Fluchtgefahr, Kollusionsgefahr (Vernichtung von Beweismitteln) oder eine allgemeine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehen. Es wird für den weiteren Gang der Dinge wichtig sein, ob die Schaffhauser Staatsanwaltschaft mit diesem Antrag durchkommt. Untersuchungshaft wird in der Schweiz nicht leichtfertig verhängt, denn scheitert die Anklage, muss der Häftling entschädigt werden. Der Staatsanwalt versucht damit zu zeigen, dass die Justiz es ernst meint und nicht will, dass «The Last Resort» ihr auf der Nase herumtanzt.
Das Ereignis hat eine breite Debatte über die Sterbehilfe und die Legalität neuer Methoden wie Sarco ausgelöst. Die Suizidkapsel, entwickelt vom australischen Aktivisten Philip Nitschke, ermöglicht es Sterbewilligen, sich durch Stickstoff selbst zu töten. Die Methode stößt jedoch auf erhebliche Kritik. Zeitgleich mit dem Suizid in Merishausen erklärte die für das Gesundheitsressort zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider im Parlament, dass Sarco in der Schweiz nicht als rechtmäßig angesehen werde. Einige Parlamentarier fordern nun ein explizites Verbot der Suizidkapsel, was eine neue Diskussion über die Grenzen der Sterbehilfe in der Schweiz entfachen könnte. Der Fall in Merishausen könnte nun als Präzedenzfall für zukünftige Entwicklungen in der schweizerischen Sterbehilfepolitik dienen.
Die schweizweit bekannte Sterbehelferin Erika Preisig äußert scharfe Kritik an der Suizidkapsel Sarco. Preisig, die sich für die Vereinfachung der Freitodbegleitung einsetzt, hält die Sarco-Kapsel für eine unsichere Methode und bevorzugt das Natrium-Pentobarbital, das von anderen Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz eingesetzt wird. Sie betont die Bedeutung eines würdevollen Sterbens im Kreise der Familie und kritisiert, dass die Kontrolle bei Sarco fehle. Zudem fordert sie, dass der assistierte Suizid als ärztliche Tätigkeit anerkannt wird. Sie will aber nicht, dass Ärzte dazu gezwungen oder überredet werden.
Preisig befürchtet, dass die Kapsel die öffentliche Debatte über Sterbehilfe in der Schweiz in Richtung einer weniger liberalen Regelung beeinflussen könnte, insbesondere durch die Provokationen des Sarco-Erfinders Philip Nitschke. Ihrer Ansicht nach braucht es ein durchdachtes und professionelles Verfahren, um Missbrauch und voreilige Entscheidungen zu verhindern.
Markus Notter, ehemaliger Justizdirektor des Kantons Zürich, fordert nun ein nationales Gesetz zur Sterbehilfe. Notter warnt in diesem Zusammenhang vor einer unkontrollierten Ausbreitung der Suizidhilfe und einer möglichen «Suizidkultur», bei der Menschen, vor allem ältere, sich aus sozialen Zwängen für den Tod entscheiden könnten. Er plädiert für klare Regeln und Kriterien, um die Ernsthaftigkeit des Sterbewunsches und die Urteilsfähigkeit der Betroffenen sicherzustellen.
Notter sieht die Sarco-Kapsel als Teil einer Entwicklung, bei der immer wieder versucht wird, neue Methoden für den assistierten Suizid zu etablieren, was in der Vergangenheit bereits zu juristischen und ethischen Konflikten geführt hat. Er betont die grundrechtliche Freiheit der Selbstbestimmung, weist aber darauf hin, dass diese Freiheit nicht uneingeschränkt sein dürfe, da ein Suizid eine irreversible Entscheidung sei. Daher hält er es für richtig, dass die Gerichte letztlich über die Zulässigkeit der Suizidkapsel entscheiden.
Notter kritisiert zudem Baume-Schneider, die den Einsatz der Kapsel mithilfe von Gesetzen zur Chemikalien- und Produktsicherheit verhindern wollte. Dies hält er für den falschen Ansatz und fordert stattdessen eine spezielle Regelung zur Sterbehilfe, die der Komplexität des Themas gerecht wird. Ein Gesetz sollte seiner Meinung nach die Qualität der Sterbehilfeorganisationen sichern und sicherstellen, dass keine unsachgemäßen Motive, wie soziale Zwänge, hinter dem Sterbewunsch stehen.
Er verweist auf frühere Versuche, ein Sterbehilfegesetz einzuführen, die gescheitert sind, weil kein Konsens gefunden werden konnte. Doch nach einem aktuellen Bundesgerichtsentscheid hält er ein solches Gesetz für dringlich, da das bestehende Recht nicht mehr ausreiche, um die Sterbehilfe adäquat zu regulieren.
Notter ist überzeugt, dass die Suizidhilfe weiterhin einer gesetzlichen Kontrolle bedarf, um Missbrauch zu verhindern, gleichzeitig müsse aber das Grundrecht auf Selbstbestimmung gewahrt bleiben. Die gegenwärtige Situation, in der bei jedem begleiteten Suizid ein Strafverfahren eingeleitet werden könnte, hält er für unhaltbar und plädiert für klare, nationale Regeln, um langfristige Rechtsunsicherheiten zu vermeiden.
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