Die Pläne zur Einführung der sogenannten Chatkontrolle in der EU sorgen weiterhin für heftige Diskussionen und Kontroversen (wir haben hier darüber berichtet). Am Donnerstag sollten die EU-Justiz- und Innenminister eigentlich über den Verordnungsvorschlag zur automatisierten Überwachung privater Nachrichten beraten. Doch der umstrittene Entwurf wurde kurzerhand von der Tagesordnung gestrichen.
Stattdessen wird es lediglich einen Fortschrittsbericht geben, wie ein Sprecher des EU-Rats gegenüber netzpolitik.org bestätigte. Der Grund: Länder, die eine Sperrminorität bilden, blockieren nach wie vor die Entscheidung.
Zu den Ländern, die sich gegen die Einführung der Chatkontrolle positionieren, gehören Deutschland, die Niederlande, Österreich, Belgien, Tschechien und Polen. Gemeinsam repräsentieren sie mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung, was eine ausreichende Zahl darstellt, um den Vorschlag effektiv zu blockieren. Trotz intensiver Verhandlungen gibt es in diesem Punkt bisher keine Annäherung. Der aktuelle Kompromissvorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft bleibt in den Augen vieler Kritiker eine Bedrohung für die digitale Freiheit und Sicherheit.
Die Chatkontrolle, die von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, zielt offiziell darauf ab, sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz zu bekämpfen. Hierzu sollen Anbieter von Kommunikationsdiensten verpflichtet werden, alle Inhalte ihrer Nutzer auf mögliche Straftaten zu scannen und verdächtige Inhalte direkt an Behörden zu melden. Doch Datenschützer und Bürgerrechtler sind alarmiert. Sie warnen, dass diese Maßnahmen eine beispiellose Massenüberwachung nach sich ziehen könnten, da jede Nachricht, jeder Chat und jede Datei auf Online-Plattformen einer verdachtsunabhängigen Prüfung unterzogen würde.
Kritiker bemängeln, dass diese Eingriffe ohne konkreten Verdacht erfolgen könnten und so das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Privatsphäre gefährden würden. Die automatische Durchsuchung privater Nachrichten stellt zudem die derzeit weit verbreitete Ende-zu-Ende-Verschlüsselung infrage, welche den Schutz privater Kommunikation garantiert. Würde die Chatkontrolle umgesetzt, müssten Anbieter vor der Verschlüsselung der Nachrichten Inhalte überprüfen, was die Sicherheit der Daten gefährden könnte.
Nicht nur Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützer schlagen Alarm. Mehr als 300 Wissenschaftler aus aller Welt haben bereits ihre Bedenken geäußert. Auch Organisationen wie der Chaos Computer Club und die Gesellschaft für Informatik (GI) warnen vor den Folgen der geplanten Maßnahmen. Besonders kritisch sehen sie die Möglichkeit, dass eine solche Überwachungsinfrastruktur später auch auf andere Delikte ausgeweitet werden könnte – von Terrorismus bis hin zu Steuerhinterziehung.
Der Widerstand zieht sich quer durch Europa und gewinnt zunehmend an Gewicht. Länder wie die Niederlande oder Deutschland haben sich in der Vergangenheit bereits mehrfach gegen die Pläne ausgesprochen und blockieren nun gemeinsam mit anderen EU-Staaten das Geschäft.
Während die EU-Kommission auf den Schutz von Kindern vor Missbrauch verweist, bezweifeln Kritiker die Effektivität der geplanten Maßnahmen. Die tatsächliche Bekämpfung von Missbrauchsnetzwerken würde, so die Argumentation, nicht durch eine allgemeine Überwachung erreicht, da die Täter meist auf geschlossene Netzwerke und spezialisierte Plattformen ausweichen.
Die Entscheidung, die Chatkontrolle auf unbestimmte Zeit zu verschieben, kann als Erfolg für jene Länder gewertet werden, die den Datenschutz in der EU verteidigen wollen. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Diskussion über die Balance zwischen Sicherheit und Privatsphäre in Europa noch lange nicht abgeschlossen ist.
Ob und wann die Chatkontrolle erneut auf die Tagesordnung gesetzt wird, bleibt offen. Für viele bleibt die Gefahr eines tiefgreifenden Eingriffs in die digitale Freiheit weiterhin bestehen. Die Gegner fordern ein klares Nein zu jeglichen Maßnahmen, die die Privatsphäre der EU-Bürger gefährden könnten.