Die Europäische Staatsanwältin, die Rumänin Laura Kövesi, hat erneut die Haltung der Europäischen Union zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität politischer Persönlichkeiten im Fall der Zugkatastrophe von Tempi bekräftigt. Gleichzeitig erklärte sie, dass derzeit eine Untersuchung zu einer illegalen Fracht durchgeführt werde, die möglicherweise der Zug in der verhängnisvollen Nacht transportiert habe – ein Thema, das die griechischen Behörden bisher unter den Teppich kehren möchten, wie das griechische Portal Pronews diese Woche berichtete (wir haben letztmals hier darüber berichtet, weitere Links im Beitrag).
Stutzig macht in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Unglücksstelle bereits in der Unfallnacht planiert und betoniert wurde – angeblich, um einen Kran zu installieren, der dann die Eisenbahnwagen entkeilen kann –, was aber der Spurensicherung die Arbeit erschwerte.
Kövesi äußerte sich während einer Anhörung im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments auf eine Anfrage des griechischen Abgeordneten Kostas Arvanitis – dieser gehört der oppositionellen SYRIZA-Partei an. Dabei verdeutlichte sie, dass die EU die Situation ernst nehme und insbesondere die illegale, undeklarierte Fracht des verunglückten Güterzuges, die nie ordnungsgemäß dokumentiert worden sei, unter die Lupe nehme. Es gebe «starke Hinweise auf illegale grenzüberschreitende Frachttransporte», bei denen mehrere Länder möglicherweise beteiligt seien und für die keine entsprechenden Abgaben entrichtet wurden.
«Dieser Fall fällt eindeutig in die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft», betonte Kövesi.
Dies deutet darauf hin, dass die Ermittlungen weit über das Zugunglück hinausgehen. Dabei wies die Staatsanwältin auf die hohe Bedeutung der Klärung der Herkunft und des Verbleibs der illegalen Fracht hin.
«Wir sprechen hier von einem schwerwiegenden Verstoß gegen europäische Gesetze, und wir müssen herausfinden, wie es dazu gekommen ist», fügte sie hinzu.
Darüber hinaus stellte Arvanitis die Frage, warum die Europäische Union bisher nicht direkt das griechische Parlament aufgefordert habe, die Immunität von Ministern wie Kostas A. Karamanlis und Christos Spirtzis aufzuheben. Diese ehemaligen Transportminister sind im Zusammenhang mit dem Eisenbahnunfall im Tempi-Tal in den Fokus geraten, insbesondere im Zusammenhang mit der mangelhaften Wartung des griechischen Schienennetzes und dem kompletten Fehlen einer Zugsicherung auf der Haupttransversale von Athen nach Thessaloniki.
Kövesi antwortete, dass die Europäische Staatsanwaltschaft sich der Angelegenheit bewusst sei und bereits Vorermittlungen durchgeführt habe, insbesondere in Bezug auf mögliche illegale Absprachen und die Verwendung von EU-Mitteln. Im Dezember 2023 wurden bereits Anklagen gegen mehrere Personen erhoben, darunter acht Beamte, die mit dem Vertrag zur Installation eines Überwachungssystems im griechischen Eisenbahnnetz in Verbindung standen.
«Die Ermittlungen zu diesen Vorwürfen begannen vor dem Unglück, da es klare Anzeichen für Misswirtschaft im Umgang mit EU-Mitteln gab», sagte Kövesi.
Die Ermittlungen konzentrieren sich nicht direkt auf das Unglück selbst – der Hergang ist mittlerweile klar und wurde von der griechischen Unfallermittlungsstelle für den Eisenbahn- und Flugverkehr (ΕΟΔΑΣΑΑΜ) aufgearbeitet (hier in englischer Sprache) und vorgelegt. Dieser Bericht deckt haarsträubende Versäumnisse und Mängel im griechischen Bahnsystem auf, die zur Katastrophe führten. Der Bericht stellt klar, dass das Unglück «vermeidbar» gewesen wäre, wenn wie vertraglich abgemacht, Sicherheitssysteme installiert worden wären. Der Einbau dieser Systeme hätte bis 2016 abgeschlossen sein sollen und im fraglichen Zeitraum erfolgte auf der Strecke Athen-Thessaloniki Hochgeschwindigkeitsverkehr mit bis zu 200 km/h, aber ohne jegliche Zugsicherung.
Kövesi fragt also: Warum wurden die Systeme nicht installiert? Und wo ging das Geld hin, das dafür floss? Die europäische Staatsanwältin konzentriert sich also auf die missbräuchliche Verwendung von EU-Finanzmitteln im Zusammenhang mit dem griechischen Schienennetz. In diesem Zusammenhang gebe es auch Hinweise auf eine mögliche Beteiligung von Abgeordneten. Doch nach griechischem Recht sei die Aufhebung der Immunität notwendig, um gegen Politiker vorzugehen.
Kövesi betonte: «Gemäß der griechischen Verfassung sind wir verpflichtet, solche Angelegenheiten dem griechischen Parlament zu überlassen. Wir haben die Europäische Kommission über diese rechtlichen Hindernisse informiert, da sie eine Verletzung des europäischen Rechts darstellen.»
Ein zentrales Problem sei die Untätigkeit der griechischen Behörden, wenn es doch Hinweise auf kriminelles Verhalten gebe:
«Ohne die Aufhebung der Immunität können wir nicht handeln. Wie kann ich jemanden als Zeugen oder Angeklagten vorladen, wenn seine Immunität nicht aufgehoben wurde? Wir haben nicht die Befugnis, dies zu tun», erklärte die Europäische Staatsanwältin.
Diese Aussagen werfen ein Licht auf die politischen und rechtlichen Hürden, die in Griechenland bei jedem Rechtsfall auftauchen, in den Politiker involviert sind. Gemäß der griechischen Verfassung muss, sobald Parlamentarier involviert sind, jedes Gericht jeden Rechtsfall an das Parlament abgeben, wo er dann regelmäßig versandet.
Die griechischen Politiker fühlen sich deshalb sehr sicher und verlassen sich darauf, dass sie für ihr Tun nicht belangt werden.