Eine Übersicht über nicht-pharmazeutische Massnahmen zur «Bekämpfung» des Coronavirus hat eine britische Regierungsbehörde kürzlich veröffentlicht. Dabei handelt es sich konkret um eine Identifizierung und Kategorisierung von Studien, die die Wirksamkeit nicht-pharmazeutischer Interventionen (NPIs) zum Thema haben – also von Interventionen, die offiziell mit der Intention durchgeführt wurden, die Übertragung des Virus in Grossbritannien zu verringern.
Massnahmen wie Distanzierung, Masken, Tests, Schulschliessungen oder Lockdowns sind in diese Übersicht der britischen Gesundheitsbehörde, der UK Health Security Agency, kurz UKHSA, eingeflossen. Die Ergebnisse wurden auch als interaktive «Karte der Evidenzlücken» online zur Verfügung gestellt.
Die Wissenschaftler Carl Heneghan und Tom Jefferson haben begonnen, die Datenbasis der UKHSA-Zusammenstellung, dort «Modelle» genannt, zu überprüfen. Auf dem Medienportal The Daily Sceptic berichten sie über ihre bisherigen Erkenntnisse.
Heneghan ist Professor an der Uni Oxford und der Leiter des dortigen Centre for Evidence-Based Medicine (CEBM). Jefferson ist Epidemiologe und arbeitet mit Heneghan im Netzwerk der Cochrane Collaboration für die Förderung aktueller wissenschaftlicher Evidenz in Gesundheitsfragen.
Die UKHSA habe Belege für die Sinnhaftigkeit der Massnahmen weder extrahiert noch bewertet. Darauf weisen beide zu Beginn ihres Artikels hin. Dabei müsse es sich um einen sehr schlechten Scherz handeln, wenn man bedenke, dass diese «Beweise» laut UKHSA starke Beschränkungen für die Bevölkerung gerechtfertigt hätten.
Zu jeder der hundert untersuchten Studien stellen die Wissenschaftler vier Fragen:
- Worum genau handelt es sich bei der bewerteten Intervention (NPI)?
- Aus welcher Datenquelle stammt die Schätzung der Wirkung?
- Wie gross ist die Wirkung (z. B. Verringerung des Risikos einer Infektion)?
- Wie wurde ein «Fall» von Covid-19 definiert?
Die beunruhigendsten Antworten seien die auf die zweite Frage, die nach der Schätzung der Wirkung. Hier gehe also darum, wie die Ausbreitung gestoppt oder verlangsamt werden konnte sowie um Krankenhausaufenthalte, Todesfälle usw.
Bei einem klassischen Modell bräuchte man für eine «glaubwürdige» Modellierung des «Wie» Fakten darüber, was mit dem Modell erreicht werden solle (z. B. Distanzierung). Etwas, das wahrscheinlich das Infektionsrisiko um Z Prozent verringere, wenn es in diesem oder jenem Szenario eingeführt werde. Die numerische Schätzung für Z solle dann von wahrscheinlichen Grenzwerten umgeben sein, um die beobachtete Wirkung (Z) beurteilen zu können.
«Glaubwürdig» sei das entscheidende Wort, denn diese Modelle seien verwendet worden, um das Leben von Menschen zu verändern. Glaubwürdig sei eine Schätzung aus einer oder besser mehreren gut konzipierten Studien mit einem Protokoll und klaren Falldefinitionen.
Ein Beispiel für die Quellen der «Parameter», die in einem der Modelle verwendet würden:
"Von den 11 Annahmen, die dem Modell zugrunde liegen, sind acht nicht belegt; eine stammt aus einer systematischen Überprüfung ohne Definition von Infektionsfällen, eine aus einem Wirtschaftsmodell und eine aus einer Fall-Kontroll-Studie."
So etwas sei ungewöhnlich, es gebe jedoch durchaus grössere Probleme, mit denen sie konfrontiert seien. Die Untersuchung werde also Zeit brauchen, versichern Heneghan und Jefferson.
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