Mit einem «Friedensmarsch» demonstrierten am Samstag in Berlin knapp 1.000 Menschen gegen die westliche Eskalationspolitik im Krieg in der Ukraine. Dazu hatte das Bündnis «Wir sind viele – Bündnis für Frieden» aus Berlin aufgerufen.
In dem Aufruf hieß es unter anderem:
«Nie war es so wichtig, auf die Straße zu gehen! Der Westen eskaliert den Ukraine-Krieg immer weiter und hat kürzlich beschlossen, dass die Ukraine nun auch das russische Hinterland mit u.a. deutschen Waffen angreifen darf. Eine atomare Eskalation wird immer wahrscheinlicher.»
Es war eine Mischung aus «alter» und «neuer» Friedensbewegung, die da gemeinsam demonstrierte. Erstere hatte ihre Hochzeit in den 80er Jahren mit den Protesten gegen die damalige NATO-«Nachrüstung» mit atomaren Mittelstreckenwaffen. Die zweite entstand aus der kritischen Bewegung gegenüber der Corona-Politik ab 2020, weil viele der dort Aktiven den Zusammenhang zwischen der politisch ausgelösten «Corona-Krise» und der neuen politischen und medialen Kriegshysterie in Deutschland erkannten.
Christiane Reymann am 1. Juni in Berlin
Die Journalistin und Friedensaktivistin Christiane Reymann stammt aus der «alten» Friedensbewegung und war schon bei den Protesten in den 80er Jahren dabei. Sie widersprach in ihrer Rede zum Kundgebungsauftakt den politischen und medialen Beruhigungen, denen zufolge die westliche Waffenfreigabe an Kiew keine Folgen für die westlichen Staaten hätte.
«Ich kenne kaum einen Politiker, der so wie Putin vorher sagt, was er nachher tut. Und ich würde eher Putin vertrauen und ihm glauben in dem Zusammenhang, als denen, die uns weismachen wollen: Habt keine Angst. Wir haben Grund zur Angst.»
Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland wolle keinen Krieg mit Russland, so Reymann. Sie fügte hinzu:
«Aber sie sind ruhig. Sie sagen nichts. Sie halten still. Umso wichtiger ist, dass wir laut werden und sagen: Russland ist nicht unser Feind.»
Mit den Waffenlieferungen sei nun ganz offen klar: «Es ist eigentlich ein NATO-Krieg gegen Russland.» Die NATO sei «kein Verteidigungsbündnis von Gleichberechtigten». Die NATO habe einen Chef «und das sind die USA».
Reymann erinnerte daran, dass die USA seit 1945 230 militärische Interventionen in andere Länder durchführten. Dem US-Kurs zu folgen sei für Deutschland «lebensgefährlich». Ihre Schlussfolgerung:
«Wir müssen raus aus dieser mafiösen Verbrecherorganisation, raus aus der NATO.»
«Raus aus der NATO!» – das wurde immer wieder von den Demonstranten in Sprechchören gefordert. Die friedensbewegte Journalistin kritisierte auch die SPD, die in Sachen Frieden jedes Maß verloren habe. Führende Politiker dieser Partei hatten entgegen der einstigen Ost- und Entspannungspolitik ihrer Vorgänger bereits mehrfach erklärt, dass Frieden in Europa nur noch gegen Russland möglich sei. Reymann dazu:
«Wer Sicherheit gegen andere durchsetzen will, der sät Unsicherheit und legt den Keim des Krieges. Genauso, wer Wohlstand gegen andere durchsetzen will, der sät Ausbeutung und Imperialismus.»
Die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verrate das Erbe von Willy Brandt, Egon Bahr und anderen früheren SPD-Politikern – «und das führt geradewegs zum Krieg, wenn wir ihn nicht stoppen». Die Regierung behaupte, der jetzige Waffeneinsatz, den sie der Ukraine genehmige, folge strikt dem Völkerrecht. Doch was das bedeute, würden die deutschen Waffenlieferungen an Israel für dessen Feldzug gegen die Palästinenser zeigen.
Die bundesdeutsche Regierung benutze die Sprache der Gewalt und knüpfe «hemmungslos an an den Antirussismus und Antibolschewismus von damals, an den Antislawismus, den wir aus den dreißiger Jahren von der Hitler-Regierung kennen».
«Wer sonst käme auf die absurde Idee, ständig zu wiederholen: Wenn wir Russland nicht in der Ukraine stoppen, dann gehen sie immer weiter. Nein, wir müssen die Lorelei nicht vor den ‹russischen Untermenschen› schützen.»
Es gebe keine russischen Angriffspläne auf die NATO und die EU, betonte sie. Dagegen würden deutsche Militärs Angriffe auf russisches Territorium planen, wie die «Taurus»-Leaks gezeigt hätten.
Allein die Millionen sowjetischer Opfer des faschistischen Vernichtungskrieges von 1941 bis 1945 würden die Lieferung deutscher Waffen gegen Russland verbieten, sagte Reymann. Mit den Waffenlieferungen, vor allem den jüngsten, werde Deutschland zur Kriegspartei.
«Ob wir Kriegspartei sind oder nicht, entscheidet Russland. Darüber müssen wir uns klar sein.»
Die jüngsten ukrainischen Angriffe auf Radarsysteme des russischen strategischen Frühwarnwarnsystems gegen atomare Angriffe machten die Gefahr deutlich:
«Wenn sowas angegriffen wird, kaputt gemacht wird, dann greift die russische Atomstrategie. Die ist bekannt. Das heißt, wenn die Existenz des Staates Russland gefährdet ist, dann wird Russland Atomwaffen einsetzen.»
Die Friedensaktivistin forderte dazu auf, auszuschwärmen, «überallhin, als Mahnende, Aufklärende, als Mitfühlende. Aber auch, denke ich, als welche, die Hoffnung haben. Denn das Menschenrecht auf Leben muss einfach stärker sein und werden als der Tod.»
Nach dem Auftakt auf dem Alexanderplatz bewegten sich die knapp 1.000 Teilnehmer durch Berlins Zentrum bis zur «Neuen Wache» Unter den Linden. Dort erinnerte eine Veranstaltung an die seit Oktober 2023 rund 15.000 durch die israelische Armee getöteten palästinensischen Kinder im Gaza-Streifen.
Die Waffenlieferungen an Israel einzustellen, das gehörte ebenfalls zu den Forderungen der Demonstranten. Ebenso erinnerten sie an dem Internationalen Kindertag an die vielen Kinder, die weltweit Opfer von Konflikten und Kriegen werden. Sie riefen unter anderem dazu auf:
«Liebe Eltern, schützen Sie sich und Ihre Kinder! Wir wollen keine Opfer unvernünftiger Politik werden. Protestieren Sie! Gehen Sie auf die Straße. Zeigen Sie, dass Sie keinen Krieg wollen, bevor es zu spät ist.»
Während in der deutschen Hauptstadt verhältnismäßig wenige für Frieden demonstrierten, dafür auch immer wieder von Passanten beschimpft, hatten sich in der ungarischen Hauptstadt zur gleichen Zeit zigtausende Menschen zu einem «Friedensmarsch» versammelt. Dabei erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán unter anderem, die Befürworter des Krieges seien «nicht an der Zukunft eurer Kinder interessiert».
Er erklärte auch:
«Im Krieg haben wir nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren.»
Deshalb wolle Ungarn dem Kriegskurs von EU und NATO nicht folgen und fordere Waffenstillstand und Friedensverhandlungen für die Ukraine.
In Deutschland scheint eine solche Rede eines Regierungsmitgliedes oder gar des Bundeskanzlers derzeit (noch) undenkbar. Die Zeichen, dass Scholz eine «Zeitenwende» zum Frieden einläutet, sind nicht erkennbar.
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