Auf seinem Substack Global Delinquents geht der Journalist Kit Klarenberg auf die historischen Wurzeln des westlichen Engagements in der Ukraine ein und verbindet sie mit dem aktuellen Krieg. Zu Beginn weist er auf eine Umfrage von Gallup hin, die am 7. August veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse zeigen eine dramatische Kehrtwende in der öffentlichen Meinung der ukrainischen Bevölkerung. Während 2022 noch eine große Mehrheit dafür war, bis zum Sieg zu kämpfen, befürworteten Mitte 2025 fast 70 Prozent der Ukrainer eine Verhandlungslösung, und nur noch etwa ein Viertel wollte, dass der Krieg bis zur Niederlage Russlands fortgesetzt wird.
Eine naheliegende Erklärung für diesen Wandel sieht Klarenberg in der Unnachgiebigkeit von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der von seinen ausländischen Unterstützern – insbesondere Großbritannien – ermutigt werde. Londons Traum, Russland in leicht ausbeutbare Teile zu zerlegen, reiche Jahrhunderte zurück und sei nach dem Maidan-Putsch im Februar 2014 noch verstärkt worden.
Der Journalist weist dabei auf einen genauen Plan für den aktuellen Stellvertreterkrieg hin, den das Institute for Statecraft im Juli desselben Jahres veröffentlichte. Bei diesem Institut handle es sich um eine von dem erfahrenen britischen Militärgeheimdienstler Chris Donnelly gegründete NATO/MI6-Organisation.
Als Reaktion auf den Bürgerkrieg im Donbass befürwortete Statecraft demnach, Moskau mit einer Vielzahl von «antisubversiven Maßnahmen» zu bekämpfen. Dazu gehörten «Wirtschaftsboykott» und der «Abbruch der diplomatischen Beziehungen» sowie «Propaganda und Gegenpropaganda» und «Druck auf neutrale Staaten». Das Ziel war es, einen «bewaffneten Konflikt alter Art» mit Russland herbeizuführen, den «Großbritannien und der Westen gewinnen könnten». Klarenberg kommentiert:
«Während wir nun in Echtzeit das brutale Scheitern von Donnellys monströsem Plan miterleben, reichen die anglo-amerikanischen Pläne, die Ukraine als Brückenkopf für einen totalen Krieg gegen Moskau zu nutzen, wesentlich weiter zurück.»
So verweist der Journalist auf im Jahr 2014 freigegebene Dokumente aus dem Kalten Krieg. Im August 1957 entwarf die CIA heimlich einen Plan für eine verdeckte Invasion der Ukraine. Der Vorschlag sah vor, US-Spezialeinheiten in die Sowjetrepublik zu entsenden und lokale antikommunistische Gruppen als Hilfstruppen zu mobilisieren. Das Ziel war es, einen lokalen Aufstand zu fördern, um die Sowjetunion zu destabilisieren und letztendlich zum Zusammenbruch zu bringen.
Die CIA räumte jedoch ein, dass es erhebliche Hindernisse gab. So zeigte ein Großteil der ukrainischen Bevölkerung laut dem Geheimdienst wenig Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft und hatte starke kulturelle, sprachliche und historische Bindungen zu Russland, die bis ins Jahr 1654 zurückreichten. Viele Ukrainer hätten «die russische Lebensweise übernommen», und «einflussreiche Regierungspositionen» seien von Russen oder pro-sowjetischen Ukrainern bekleidet worden. Diese Faktoren führten offenbar dazu, dass es zwischen Ukrainern und Russen weniger Spannungen gab als in anderen Ländern des Warschauer Pakts, wo die CIA bereits mit unterschiedlichem Erfolg «Freiheitskämpfer» rekrutiert hatte. In dem Dokument heißt es weiter:
«Einige Ukrainer sind sich offenbar nur wenig der Unterschiede bewusst, die sie von den Russen unterscheiden, und empfinden kaum nationalen Antagonismus. Dennoch gibt es wichtige Missstände, und unter anderen Ukrainern gibt es Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft, der oft nationalistische Formen annimmt. Unter günstigen Bedingungen könnte man erwarten, dass diese Menschen die amerikanischen Spezialeinheiten im Kampf gegen das Regime unterstützen.»
Eine Karte der CIA unterteilte die Ukraine in zwölf separate Zonen, die nach ihrem «Widerstandspotenzial» und der «positiven Einstellung der Bevölkerung gegenüber dem sowjetischen Regime» eingestuft wurden. Die südlichen und östlichen Regionen, insbesondere die Krim und der Donbass, wurden schlecht bewertet. Ihre Bevölkerung wurde als «stark loyal» gegenüber Moskau eingeschätzt, da sie nie «nationalistische Gefühle gezeigt oder Feindseligkeit gegenüber dem Regime bekundet» habe, sondern sich selbst als «russische Insel im ukrainischen Meer» betrachte. Tatsächlich schufen die Deutschen, wie die Studie feststellte, während und nach dem Ersten Weltkrieg einen faschistischen Marionettenstaat in der Ukraine:
«Die Bewohner des Donbass leisteten den ukrainischen Nationalisten starken Widerstand und gründeten sogar eine eigene Republik, die vom Rest der Ukraine unabhängig war. In den folgenden Jahren verteidigten sie die sowjetische Herrschaft und die russischen Interessen und griffen die ukrainischen Nationalisten oft mit größerem Eifer an als die russischen Führer selbst. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gab es keinen einzigen dokumentierten Fall von Unterstützung für die ukrainischen Nationalisten oder die Deutschen.»
Dennoch betrachtete die CIA die Krim als strategisch wichtig und ideal für einen Guerillakrieg. Sie rechnete mit Unterstützung der lokalen tatarischen Bevölkerung. Die Westukraine mit ihrer Geschichte des nationalistischen Widerstands unter Stepan Bandera galt als besonders fruchtbarer Boden für antisowjetische Operationen, da die Partisanennetzwerke und Sympathien auch nach dem Krieg stark blieben. Kiew galt zudem als mäßig nationalistisch eingestellt, was Moskau einst dazu veranlasste, die Hauptstadt aus Vorsicht nach Charkiw zu verlegen.
Obwohl dieser Plan nie umgesetzt wurde, zeigt er laut Klarenberg, wie Washington jahrzehntelang mit der Idee gespielt hatte, die Ukraine zu destabilisieren, um Moskau zu schwächen. Angesichts der Ereignisse, die sich nach Februar 2014 in anderen Teilen der Ukraine abspielten, würden andere Abschnitte des CIA-Berichts einen «deutlich unheimlichen Charakter» annehmen.
So warnte der Geheimdienst beispielsweise trotz der strategisch günstigen Lage am Schwarzen Meer davor, in Odessa einen antisowjetischen Aufstand anzuzetteln. Die Stadt sei «die kosmopolitischste Region der Ukraine ist, mit einer heterogenen Bevölkerung, darunter eine bedeutende Anzahl von Griechen, Moldauern und Bulgaren sowie Russen und Juden». Und weiter:
«Odessa ... hat einen weniger nationalistischen Charakter entwickelt. Historisch gesehen wurde es eher als russisches denn als ukrainisches Territorium betrachtet. Während des Zweiten Weltkriegs gab es hier kaum Anzeichen für nationalistische oder antirussische Stimmung, und die Stadt ... wurde [während des Konflikts] tatsächlich von einer stark antinationalistischen lokalen Verwaltung kontrolliert.»
Klarenberg erinnert daran, dass Odessa zu einem wichtigen Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen Pro- und Anti-Maidan-Kräften wurde, seitdem im November 2013 die Proteste ausgebrochen waren. Im März des folgenden Jahres hatten russischsprachige Ukrainer den historischen Kulykove-Pole-Platz der Stadt besetzt und ein Referendum über die Gründung einer «Autonomen Republik Odessa» gefordert. Die Spannungen spitzten sich am 2. Mai zu, als faschistische Fußball-Ultras – die später das Asow-Bataillon gründeten – Odessa stürmten und Dutzende Anti-Maidan-Aktivisten in das Gewerkschaftshaus drängten, bevor sie es in Brand setzten.
Insgesamt wurden 42 Menschen getötet und Hunderte verletzt, während die Anti-Maidan-Bewegung in Odessa vollständig neutralisiert wurde. Klarenberg weist dabei auf das im März dieses Jahres gefällte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR ) gegen Kiew wegen des Massakers hin. Er kam zu dem Schluss, dass die örtliche Polizei und Feuerwehr «absichtlich» nicht angemessen auf das Inferno reagiert hatten und dass die Behörden die schuldigen Beamten und Täter trotz eindeutiger Beweise vor Strafverfolgung geschützt hatten. Die tödliche «Fahrlässigkeit» der Beamten an diesem Tag und auch danach ging demnach weit «über einen Fehler in der Beurteilung oder Nachlässigkeit» hinaus. Klarenberg schließt:
«Der EGMR war offenbar nicht bereit, die Verbrennung von Anti-Maidan-Aktivisten als vorsätzlichen und geplanten Massenmord zu betrachten, der von der von den USA eingesetzten faschistischen Regierung in Kiew geplant und geleitet wurde. Die Ergebnisse einer ukrainischen Parlamentskommission deuten jedoch unausweichlich auf diese Schlussfolgerung hin. Ob das Massaker von Odessa wiederum darauf abzielte, eine russische Intervention in der Ukraine auszulösen und damit einen ‹bewaffneten Konflikt alter Art› mit Moskau herbeizuführen, den ‹Großbritannien und der Westen gewinnen könnten›, ist Gegenstand von Spekulationen – obwohl das Institute for Statecraft zu diesem Zeitpunkt im Land präsent war.»