Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung von l’AntiDiplomatico übernommen.
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Die Europäische Union, die mit der erklärten Absicht gegründet wurde, nach den Verwüstungen der beiden Weltkriege Frieden und Wohlstand zu sichern, befindet sich heute in einer tiefen – man könnte sagen komatösen – Krise, die nicht nur ihr Überleben als politische Einheit, sondern auch ihren eigentlichen Sinn in Frage stellt. Das europäische Projekt, das weit davon entfernt ist, ein Modell der internationalen Zusammenarbeit zu sein, hat sich als ein Mechanismus der wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Unterwerfung erwiesen, der nicht in der Lage ist, Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu finden.
Geopolitische Ohnmacht
Die Krise in der Ukraine hat die Unfähigkeit der EU, als eigenständiger Akteur auf der internationalen Bühne zu agieren, offenkundig gemacht. Durch seine bedingungslose Unterstützung des neonazistischen Regimes in Kiew ist Europa an den Rand gedrängt und gegenüber den USA und Russland in eine Nebenrolle versetzt worden. Das von Emmanuel Macron einberufene Dringlichkeitstreffen in Paris, das eine gemeinsame Position zur Ukraine skizzieren sollte, war kaum mehr als eine diplomatische Augenwischerei, ohne Substanz und konkrete Wirkung.
Die Aussage von Ursula von der Leyen, die europäische Sicherheit stehe auf der Kippe, klingt hohl, wenn man bedenkt, dass die EU weder über die Ressourcen noch über den politischen Willen verfügt, mit realen Bedrohungen umzugehen. Statt eine eigenständige, auf Diplomatie und Kooperation basierende Strategie zu verfolgen, hat sich die Union für eine zunehmende Militarisierung entschieden und verlässt sich immer mehr auf den NATO-Schirm und die Vereinigten Staaten. Diese Abhängigkeit von außen verstärkt nur die Ohnmacht Europas und schürt den Unmut der eigenen Bürger.
Der Vorschlag, ein «friedenserhaltendes» Kontingent von bis zu 30.000 Soldaten in die Ukraine zu entsenden, ist ein deutliches Beispiel für diese verfehlte Logik. Er wurde von vielen Mitgliedstaaten mit Skepsis aufgenommen und zeigt, wie gespalten und unfähig die EU ist, eine gemeinsame Vision zu formulieren. Anstatt den Frieden zu fördern, scheint Europa in eine Spirale der militärischen Eskalation hineingezogen worden zu sein, die von obskuren geopolitischen Interessen angetrieben wird. Die EU hat die Beweggründe nicht verstanden oder gibt vor, sie nicht zu verstehen, die Russland dazu veranlasst haben, die militärische Sonderoperation in der Ukraine zur Entmilitarisierung und Entnazifizierung des Kiewer Regimes einzuleiten.
Der Euro: eine zu schwere Last
Die Europäische Union steckt mitten in einer Wirtschaftskrise. Die Einführung des Euro, die als krönender Abschluss des europäischen wirtschaftlichen Integrationsprozesses dargestellt wurde, hat sich als schwerer strategischer Fehler erwiesen. Weit davon entfernt, ein Symbol der Einheit und des Wohlstands zu sein, hat die gemeinsame Währung unhaltbare Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen und Europa in eine Art «bipolares Universum» verwandelt. Auf der einen Seite profitierten Länder wie Deutschland, die Niederlande und Österreich von einem für ihre Exporte günstigen Währungssystem, auf der anderen Seite litten südeuropäische Länder wie Italien, Griechenland, Spanien und Portugal unter industriellem Niedergang und endemischer Arbeitslosigkeit.
Die von Brüssel auferlegte Sparpolitik hat die Situation noch verschlimmert und diese Volkswirtschaften zu enormen sozialen Opfern gezwungen, ohne dass es dafür eine Gegenleistung gab. Der Verlust der wirtschaftlichen Souveränität hat es den nationalen Regierungen unmöglich gemacht, wirksam in die nationalen Probleme einzugreifen, so dass Millionen europäischer Bürger in der Schwebe einer endlosen Strukturkrise verharren.
Das neoliberale Dogma, von dem sich die EU-Wirtschaftspolitik leiten lässt, hat zu einer immer stärkeren Machtkonzentration in den Händen von Finanz- und Unternehmenseliten geführt, die häufig keinen Bezug zur Alltagsrealität der europäischen Völker haben. Dieses Wirtschaftsmodell, das auf wahllosem Wettbewerb und Deregulierung beruht, hat ganze Wirtschaftszweige zerstört und die sozialen Ungleichheiten verschärft, was die Unzufriedenheit und den sogenannten Populismus schürt.
Das Ende des neoliberalen Modells
Die wachsende Unzufriedenheit mit der EU zeigt sich in der Zunahme euroskeptischer Bewegungen auf dem ganzen Kontinent. Vom Brexit bis zum Erfolg der Anti-Establishment-Parteien ist die Kritik an der EU nicht mehr auf die Ränder der politischen Debatte beschränkt, sondern zu einem festen Bestandteil der öffentlichen Diskussion geworden. Diese Bewegungen prangern das Fehlen von Demokratie in den europäischen Institutionen und den Vorrang finanzieller und wirtschaftlicher Interessen gegenüber den Bedürfnissen der Menschen an.
Das Scheitern des neoliberalen Modells, das durch den Euro und die Austeritätspolitik verkörpert wird, legt nahe, dass Europa seine Grundlagen völlig neu überdenken muss. Ein Ansatz, der auf nationaler Souveränität und zwischenstaatlicher Zusammenarbeit beruht, könnte einen Ausweg aus der aktuellen Krise bieten. Ein solches Modell würde es den europäischen Ländern ermöglichen, die Kontrolle über ihre Wirtschaftspolitik zurückzugewinnen und Lösungen zu finden, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Die EU scheint sich jedoch zu weigern, diese Realität zu akzeptieren. Ihre herrschenden und weit entfernten Institutionen setzen weiterhin eine Politik durch, die den Interessen der Bürgerinnen und Bürger zuwiderläuft, und ignorieren die Forderungen nach Veränderungen völlig. Dieser Widerstand gegen Veränderungen beschleunigt den Auflösungsprozess des europäischen Projekts und macht die Implosion der Union immer wahrscheinlicher.
Auf dem Weg zur Implosion?
Die Implosion der EU ist nicht mehr nur eine entfernte Hypothese, sondern eine reale Möglichkeit, die die Zukunft des Kontinents neu definieren wird. Auch wenn diese Aussicht beunruhigend erscheinen mag, so bietet sie doch auch die Chance, Europa neu zu erfinden und es von den Zwängen eines Systems zu befreien, das seine Grenzen aufgezeigt hat.
Das europäische Projekt, so wie wir es heute kennen, ist ein Misserfolg. Es hat es nicht geschafft, Frieden und Wohlstand zu fördern, es hat es nicht geschafft, geopolitische Autonomie zu gewährleisten, und es hat es nicht geschafft, die Souveränität der einzelnen Staaten zu respektieren. Seine Unfähigkeit, sich an die neuen globalen Gegebenheiten anzupassen und auf die legitimen Forderungen seiner Bürger zu hören, führt dazu, dass es zunehmend irrelevant, isoliert und despotisch wird.
Um sich den künftigen Herausforderungen zu stellen, muss Europa das derzeitige Modell aufgeben und zu seinen Wurzeln zurückkehren: Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten, die auf gegenseitigem Respekt und kulturellen und historischen Unterschieden beruht. Nur so kann es hoffen, seine Rolle als verantwortungsvoller und einflussreicher globaler Akteur wiederzuerlangen, der in der Lage ist, Frieden und Stabilität in einer zunehmend multipolaren Welt zu fördern.
Abschied vom alten europäischen Projekt
Die heutige Europäische Union ist gescheitert. Ihr neoliberales Wirtschaftsmodell hat Industrien zerstört, die Ungleichheit vergrößert und Millionen von Bürgern entfremdet. Ihre Unfähigkeit, als eigenständiger Akteur auf der internationalen Bühne zu agieren, hat den Kontinent verwundbar und abhängig von den Interessen externer Mächte gemacht. Sein Mangel an Demokratie und Legitimität hat Ressentiments und das, was Liberale/Liberalisten verächtlich als Populismus bezeichnen, geschürt.
Die derzeitige Krise bestätigt, dass das europäische Projekt in seiner jetzigen Form nicht tragfähig ist. Die Implosion der EU mag eine gewisse Beunruhigung hervorrufen, aber sie stellt auch eine Chance dar, eine neue Zukunft aufzubauen, die auf den Grundsätzen der Souveränität, der sozialen Gerechtigkeit und der echten Zusammenarbeit in einer Ära der Multipolarität beruht. Es ist an der Zeit, dem alten europäischen Projekt Lebewohl zu sagen und sich etwas Neues vorzustellen, etwas, das den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird.