Das griechische Außenministerium entsendet normalerweise in Länder, die einen autochthonen griechischen Bevölkerungsanteil aufweisen, erfahrene Fachkräfte als Diplomaten. Bis von Kriegsausbruch vor drei Jahren lebten in der ukrainischen Stadt Mariupel (Gr: Μαριούπολη), eines der wenigen verbliebenen Zentren der pontisch-griechischen Kultur, über 20.000 Griechen. Die Halbinsel Krim war in der Antike von Griechen kolonisiert und Tauris genannt worden. Die griechischen Bewohner von Mariupel sind Nachkommen der Krim-Griechen, die Ende des 18. Jahrhunderts an die Nordküste des Asowschen Meeres zogen. Dort gründeten sie eine neue Stadt, die sie zu Ehren der Jungfrau Maria «Mariupolis» nannten. Durch den Krieg ist ein weiteres Zentrum des Hellenismus rund um das Schwarze Meer ausgelöscht worden.
Was der Diplomat, der Griechenland in den kritischen Jahren 2019 bis 2022 in der Ukraine vertrat, heute sagt, sollte deshalb ernst genommen werden. In einem exklusiven Interview mit dem Hellas Journal spricht der nunmehr pensionierte Botschafter Vasilios Bornovas über die damalige Situation und die geopolitischen Implikationen, die zu diesem historischen Wendepunkt führten (Zitate aus dem Griechischen übersetzt von Daniel Funk).
Bornovas, der mit den inneren politischen Spannungen in der Ukraine gut vertraut war, blickt auf eine Zeit zurück, in der die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland zunehmend ins Wanken gerieten. Besonders die Rolle der westlichen Staaten, allen voran die USA, war ein entscheidender Faktor.
«Die Ukraine befand sich in einem ständigen Spannungsfeld zwischen der Annäherung an den Westen und den historischen Verbindungen zu Russland», erklärt der ehemalige Botschafter.
Ein entscheidender Punkt sei die Annäherung der Ukraine an das westliche Verteidigungsbündnis NATO gewesen.
«Die NATO-Erweiterung im Balkan und den baltischen Staaten, sowie die militärische Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der NATO, war ein Signal, das Russland nicht unbeachtet lassen konnte», so Bornovas. «Von der russischen Seite wurden immer wieder rote Linien gezogen, insbesondere in Bezug auf die Ukraine und ihre NATO-Ambitionen.»
Für Bornovas war die Entscheidung von Präsident Wolodymyr Selenskyj, sich im Jahr 2021 klar für eine westliche Orientierung zu entscheiden, ein Wendepunkt.
«Selenskyj hatte ursprünglich versucht, eine Balance zu wahren, doch die innere Korruption und die Druckausübung aus dem Westen zwangen ihn zu einem klaren Kurswechsel», sagt er.
Ein weiterer möglicher Grund sei eine starke nationalistische Opposition gewesen, die seit der deutschen Invasion in die Sowjetunion 1941 versuchte, mit Russland abzurechnen, was mit dem Versuch verbunden gewesen sei, eine klare nationale Identität zu formulieren.
Ein weiteres wichtiges Thema in Bornovas’ Analyse ist der Einfluss der USA auf die ukrainische Politik. Besonders die Unterstützung der USA für die Ukraine seit 2014 und die enge Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Militär sind zentrale Punkte.
«Die USA haben die Ukraine auf einen Krieg vorbereitet, ohne dass dies Russland klar kommuniziert wurde», erklärt Bornovas.
Die westlichen Nationen, so der ehemalige Botschafter, hätten mit ihren ständigen militärischen Übungen und der militärischen Unterstützung das militärische Potenzial der Ukraine aufgebaut, was letztlich zu einer Eskalation führte.
Der hastige NATO-Beitritt der Balkan- und Baltischen Staaten habe die inneren Spannungen in Europa verstärkt und die Position schwächerer Länder zusätzlich geschwächt. Das habe Europa insgesamt geschwächt, indem es in die Falle imaginärer Bedrohungen geraten sei, die sich später als selbsterfüllende Prophezeiungen herausstellten. Die USA habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Das sehe man daran, dass ein einfacher Regierungswechsel in den USA eine jahrelang aufgebaute Politik schnell umkehren konnte.
In den letzten Jahren hätten ständig NATO-Übungen sowohl im Schwarzen Meer als auch in der Ukraine stattgefunden, an denen fast alle NATO-Staaten teilnahmen. Dies habe dazu geführt, dass Truppen aus Großbritannien und Kanada regelmäßig in der Region stationiert gewesen seien. Die ukrainische Armee sei nach NATO-Standards organisiert worden, was man als Vorbereitung auf einen NATO-Beitritt habe verstehen können.
«Es gab immer wieder diplomatische Bemühungen, die Spannungen zu entschärfen, aber die zugrundeliegenden geopolitischen Kräfte – insbesondere die NATO – führten zu einer unvermeidlichen Konfrontation», meint Bornovas.
«Das Problem war, dass die Ukraine nie in der Lage war, die innenpolitischen Spannungen zu lösen, die vor allem durch die Präsenz von russischen und ukrainischen Oligarchen sowie durch die ethno-sprachlichen Differenzen zwischen den verschiedenen Regionen des Landes entstanden», fügt er hinzu.
Eine der Bemühungen zur Lösung der Spannungen waren die Minsker Vereinbarungen. Diese seien möglicherweise aufgrund der Verantwortung beider Seiten gescheitert, hauptsächlich jedoch aufgrund der Vorschläge der Ukraine zur Politik in den Gebieten des Donbass während der Übergangszeit. Trotz seiner scharfen Kritik an den westlichen Einflussnahmen bleibt Bornovas in seiner Analyse nicht einseitig. Er betont, dass auch Russland eine Mitschuld an der Eskalation des Konflikts trägt, indem es seine Sicherheitsinteressen zu weit dehnte.
Es sei nach dem Kurswechsel der USA äußerst schwierig für die EU, sich von der Politik der bedingungslosen Unterstützung Kiews zu lösen, besonders da es an visionären Führern mit Willen und Persönlichkeit fehle. Zurzeit würde die Außenpolitik der EU von den Führern der baltischen Staaten und Polens bestimmt. Bornovas wies darauf hin, dass der Einfluss der USA auf die politische Elite dieser Länder entscheidend sei für die Entscheidungen, die hinsichtlich des Umgangs mit Russland getroffen werden.
Drei Jahre nach Beginn des Krieges bleibt die Zukunft der Ukraine und der gesamten Region ungewiss. Bornovas macht deutlich, dass der Weg zu einer Lösung nur über eine starke diplomatische Initiative führen kann. Doch er warnt vor einer weiteren Eskalation und dem Verlust von Leben, insbesondere für die Zivilbevölkerung, die in den Kriegsgebieten lebt.
«Die Europäische Union muss endlich klarer werden, was sie in diesem Konflikt erreichen will. Ohne eine klare Strategie wird sie weiterhin von den USA und den NATO-Staaten abhängig bleiben», schließt er.
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