Googles Forschungslabor DeepMind hat ein bemerkenswert leistungsfähiges KI-System mit dem Namen AMIE (Articulate Medical Intelligence Explorer) vorgestellt. Das System basiert auf der weiterentwickelten Version des großen Sprachmodells Gemini 2.0 Flash und wurde gezielt darauf trainiert, medizinische Bilder wie EKGs, Hautveränderungen oder PDF-Berichte von Untersuchungen zu interpretieren. Die ersten Studienergebnisse zeigen: In bestimmten Tests konnte AMIE bessere Diagnosen stellen als echte Ärztinnen und Ärzte. Das berichtete in diesen Tagen die Publikation Nature.
Für den Test wurden 25 Schauspieler als simulierte Patienten eingesetzt, die sowohl mit AMIE als auch mit Hausärzten interagierten. Dabei stellten sie verschiedene medizinische Szenarien vor – insgesamt 105 an der Zahl. Neben der mündlichen Anamnese wurden dem System auch bildgebende Daten und schriftliche Berichte zur Verfügung gestellt.
Im Anschluss an jede dieser simulierten Konsultationen gaben sowohl das KI-System als auch der menschliche Arzt eine Diagnose und einen Behandlungsvorschlag ab. Diese wurden von einem Gremium aus 18 Fachärztinnen und -ärzten aus Dermatologie, Kardiologie und Innerer Medizin bewertet. Das Ergebnis: AMIE lieferte häufiger die präzisere Diagnose und zeigte sich besonders stark in der Analyse von Bildern mit niedriger Auflösung – wie sie etwa von Smartphone-Kameras stammen können.
Die zugrundeliegende Technologie unterscheidet sich deutlich von früheren KI-Ansätzen in der Medizin. Statt ein Modell ausschließlich mit medizinischen Datensätzen zu trainieren, wurde Gemini mit zwei zusätzlichen Algorithmen erweitert, die ihm medizinisches Denken und diagnostische Gesprächsführung ermöglichen. Diese Methode sei laut Ryutaro Tanno, Forscher bei DeepMind, nicht nur effektiver, sondern auch kostengünstiger. Details zur technischen Umsetzung oder dem zugrundeliegenden Code wurden bislang jedoch nicht veröffentlicht.
Eléni Linou, Direktorin des Zentrums für Digitale Gesundheit an der Stanford University, sieht darin einen wichtigen Fortschritt:
«Systeme, die verschiedene Informationsquellen wie Bilder und Berichte zusammenführen, bringen uns näher an KI-Assistenten, die ähnlich denken wie ein klinisch tätiger Arzt.»
Sie warnt jedoch auch: Die Simulation könne nicht die volle Komplexität echter Arzt-Patienten-Beziehungen widerspiegeln. Ähnlich äußerte sich Suyang May von der Icahn School of Medicine in New York:
«Die Integration solcher Systeme in den klinischen Alltag wird eine große Herausforderung bleiben. Dennoch zeigen die bisherigen Ergebnisse, dass große Sprachmodelle einen entscheidenden Teil der Zukunft der medizinischen Diagnose darstellen.»
Die Entwicklungen rund um Googles AMIE zeigen eindrucksvoll, welches Potenzial moderne KI-Systeme in der Medizin entfalten können. Zwar sind noch viele Fragen offen – von ethischen Bedenken bis zur praktischen Einbindung in bestehende Gesundheitssysteme –, doch der Trend ist klar: KI wird in der Diagnostik eine immer zentralere Rolle spielen.
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