Die Zahl der Menschen, die weltweit durch Krieg und Verfolgung zur Flucht gezwungen wurden, ist erneut angestiegen. Wie das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in seinem am 12. Juni veröffentlichten Jahresbericht «Global Trends» mitteilt, waren Ende April 2024 weltweit 122,1 Millionen Menschen auf der Flucht – rund zwei Millionen mehr als im Vorjahr. Hauptursachen für diesen Anstieg sind gewaltsame Konflikte, insbesondere im Sudan, in Myanmar und in der Ukraine.
Während sich immer mehr Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, steht die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge vor der größten Finanzierungskrise in der 75-jährigen Geschichte des UNHCR. Als einziger Lichtblick wird im Bericht ein leichter Anstieg der Rückkehrzahlen genannt. UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi unterstreicht die besorgniserregende globale Entwicklung:
«Wir leben in einer Zeit starker Unbeständigkeit in den internationalen Beziehungen. Die moderne Kriegführung hat eine fragile und erschütternde Situation geschaffen, die von großem menschlichem Leid geprägt ist. Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um Frieden zu schaffen und dauerhafte Lösungen zu finden – für Flüchtlinge und für andere Menschen, die gezwungen sind, aus ihrer Heimat zu fliehen.»
Der Bericht differenziert die Zahlen der Vertriebenen: Die Zahl der Flüchtlinge, die eine internationale Grenze überschritten haben, blieb relativ stabil bei 42,7 Millionen. Darunter fallen 31 Millionen Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat, 5,9 Millionen Palästinenserinnen unter dem Mandat des Hilfswerks UNRWA sowie 5,9 Millionen Venezolanerinnen in einer Sonderkategorie.
Deutlich zugenommen hat demnach hingegen die Zahl der Binnenvertriebenen – Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes fliehen mussten. Sie stieg um 6,3 Millionen auf 73,5 Millionen. Darüber hinaus wurden 8,4 Millionen Asylsuchende gezählt – ein Anstieg um mehr als 1,5 Millionen im Vergleich zum Vorjahr.
Besonders dramatisch ist laut dem UN-Bericht die Lage im Sudan. Dort hat der Krieg die aktuell größte Vertreibungskrise weltweit verursacht: 14,3 Millionen Menschen sind betroffen. Damit hat der Sudan Syrien (13,5 Millionen) als Spitzenreiter abgelöst. Es folgen Afghanistan mit 10,3 Millionen und die Ukraine mit 8,8 Millionen Vertriebenen.
Generell bleibt die Zahl der Binnenvertriebenen in vielen Ländern deutlich höher als die der Flüchtlinge, die internationale Grenzen überschreiten. Im Sudan etwa ist ihre Zahl fast doppelt so hoch. Zudem leben mehr als zwei Drittel der Flüchtlinge weltweit im direkten Nachbarland. 73 Prozent von ihnen finden Schutz in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen, 23 Prozent sogar in Staaten, die zu den ärmsten der Welt zählen.
Nur ein kleiner Teil der Vertriebenen gelangt nach Europa. 60 Prozent fliehen überhaupt nicht über die Landesgrenzen hinweg, sondern bleiben innerhalb ihres Heimatlandes.
Besorgniserregend ist nach Angaben des UNHCR die Finanzierungslage: Während sich die Zahl der Vertriebenen in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt hat, stagniert das Budget der UN-Organisation auf dem Niveau von 2015 in Höhe von rund 3,3 Milliarden US-Dollar. Die humanitäre Hilfe ist von massiven Kürzungen betroffen – eine unhaltbare Situation, die den Schutz und die Versorgung von Flüchtlingen erheblich gefährdet.
Nach eigenen Angaben hat das UNHCR für 2025 einen Finanzbedarf von 10,2 Milliarden US-Dollar. Aufgrund der vielen Konflikte weltweit werde es immer schwieriger, die nötigen Mittel zu beschaffen, damit UNHCR auch finanziell in der Lage ist, der steigenden Zahl von Flüchtlingen, Binnenvertriebenen, Asylsuchenden und Staatenlosen zu helfen.
Trotz dieser Herausforderungen verzeichnet der Bericht auch hoffnungsvolle Entwicklungen. «Fast zwei Millionen Syrerinnen und Syrer konnten nach mehr als einem Jahrzehnt der Entwurzelung in ihre Heimatorte zurückkehren», sagte Grandi. Das Land bleibe jedoch labil, und viele Menschen seien auf Hilfe angewiesen, um ihr Leben wieder aufzubauen.
Insgesamt kehrten im vergangenen Jahr 9,8 Millionen gewaltsam Vertriebene in ihre Heimat zurück – darunter 1,6 Millionen Flüchtlinge, so viele wie seit über 20 Jahren nicht mehr, und 8,2 Millionen Binnenvertriebene, die zweithöchste je registrierte Zahl. Allerdings waren viele dieser Rückkehrbewegungen von Unsicherheit, Armut und anhaltenden Konflikten geprägt.
Besonders drastisch war die Lage für viele afghanische Rückkehrer, die unter Zwang und in äußerst prekären Bedingungen in ihr Heimatland zurückkehrten. Gleichzeitig kam es in mehreren Regionen erneut zu neuen Vertreibungen, etwa in der Demokratischen Republik Kongo, in Myanmar und im Südsudan.
Abschließend ruft der UNHCR-Bericht eindringlich dazu auf, die weltweite Flüchtlingshilfe nachhaltig zu finanzieren. Die Programme des UNHCR retten tagtäglich Leben und unterstützen Millionen Menschen. Eine Stärkung der sozialen Strukturen und Infrastrukturen in den Hauptaufnahmeländern – vor allem im globalen Süden – sei zudem auch eine Investition in regionale und globale Stabilität.
Kommentare