Sahra Wagenknecht kritisiert in ihrem neuen Buch «Die Selbstgerechten» die linke Politik. Der Inhalt dreht sich um die gesellschaftliche Schwäche der Linksparteien. Wagenknecht fordert eine Rückbesinnung auf klassische politische Anliegen der Linken, wie zum Beispiel sozialer Ausgleich.
«Die linken Parteien verlieren mehr und mehr aus den Augen, für wen sie eigentlich da sein müssen», sagte Wagenknecht in einem Interview mit der NZZ vom 14. April 2021. Die Linke müsse sich für diejenigen einsetzen, die keine Stimme und schlecht bezahlte Jobs hätten.
Kritik an der Identitätspolitik
Von der linken Identitätspolitik hält Wagenknecht nicht viel. Während ein grosser Niedriglohnsektor entstanden sei, habe man Jobs für Antidiskriminierungs- oder Frauenbeauftragte geschaffen. Wagenknecht will Diskriminierungsprobleme nicht vernachlässigen, aber viele linke Politiker würden sich Ungleichheits-Problemen zuwenden, die sie zu «bombastischen Gegensätzen» aufbauschen:
«In diesem Denken dreht sich alles um die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft, um Opferstatus.»
Ein Beispiel: Wer den radikalen politischen Islam kritisiere, werde ganz schnell für islamophob erklärt, so Wagenknecht. Linke Parteien würden heute besonders das Klientel der gutsituierten Stadt-Akademiker oder «hippe Weltbürger» vertreten, und selten Menschen, die es schwer haben, was einmal das ursprüngliche Anliegen der Linken war. Diese «angeblichen Linken» und «Lifestyle-Linken» würden sich über Haltungsnoten und Lebensstilfragen definieren, so Wagenknecht im Interview mit der Weltwoche vom 14. April 2021.
Identitätspolitik sei kein Kampf um Gleichheit sondern um Sonderrechte, sagt Wagenknecht. Sie nennt es die «Heiligsprechung der Ungleichheit». Doch die Linke befördere so die Probleme, die sie zu bekämpfen vorgebe.
Wagenknecht erklärt sich das mit der Bequemlichkeit der Linken. Es sei viel leichter, symbolische Kämpfe wie über Sprachregelungen zu führen, als echte soziale Forderungen wie den Mindestlohn durchzusetzen.
Identitätspolitik ist ein Wohlstandsphänomen
Dieses Linkssein habe mit linken Traditionen nichts mehr zu tun, sagte Wagenknecht: «Es gibt keinen Twitter-Sturm, wenn ein Unternehmen die Löhne drückt. Aber wehe, wenn es eine angeblich sexistische Werbung schaltet.» Identitätspolitik sei ein Wohlstandsphänomen:
«Sie handelt von Fragen, die vor allem ein gutsituiertes Milieu interessieren: urban, kulturell, engagiert, akademisch gebildet. Diese Leute sind sozial meist abgesichert (...) Lifestyle-Linke kommen häufig aus wohlhabenden Akademikerfamilien und haben einen guten Lebensstandard.»
Wagenknecht sieht in der Opferkultur die rationale Debatte gefährdet. Emotionen würden Argumente ersetzen. Einheimische dürften Einwanderer nicht kritisieren. Man wolle sich nicht dem falschen Vorwurf aussetzen, ein Rassist zu sein. Das habe in der traditionellen Linke nie eine Rolle gespielt, aber bei den extremen Rechten sehr wohl.
Wer sich als links verstehe, sollte sich um die klassischen Themen kümmern: Löhne, Renten, Steuern, soziale Gerechtigkeit. Darum gehe es bei linker Politik, so Wagenknecht: «Ich würde mich nie als Opfer inszenieren», sagte sie in einem ZDF-Interview vom 18. April 2021.
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Zur Person:
Sahra Wagenknecht ist promovierte Volkswirtin, Publizistin und Politikerin, Mitglied des Bundestags für die Partei «Die Linke», für die sie auch im Europäischen Parlament sass. Von 2010 bis 2014 war sie Stellvertretende Parteivorsitzende, von 2015 bis 2019 Vorsitzende der Linksfraktion.
Buch-Hinweis:
Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm - für Gemeinsinn und Zusammenhalt. Campus, Frankfurt/Main 2021. ISBN 978-3-593-51390-4, 345 Seiten. 24,95 €.
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