Am Montag sprach die israelische Botschafterin in der Schweiz, Ifat Reshef, vor Journalisten in Lugano, um den Standpunkt Israels zum Nahostkonflikt zu bekräftigen, wie 20 Minuti und andere Tessiner Medien berichten. Eingeladen wurde die Diplomatin von der Schweizerisch-Israelischen Gesellschaft. Die Konferenz fand allerdings im prestigeträchtigen Kunst- und Kulturzentrum LAC (Lugano Arte e Cultura) statt.
«Wir waren noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert», sagte Reshef und erinnerte daran, dass «viele Frauen und Kinder noch immer unter der Erde gefangen sind». Die Botschafterin weiter:
«Sie [die Hamas-Kämpfer] sind perverse Terroristen, sie nehmen Kinder, Alte und Kranke als Geiseln und lassen uns keine andere Wahl, als weiter militärisch vorzugehen. (...) Wir befinden uns in einem Krieg. Wir hatten die moralische Verpflichtung einzugreifen und wir werden nicht aufhören, bis unsere Ziele erreicht sind.»
Der Prozess des Wiederaufbaus und der Versöhnung werde erst dann beginnen, wenn der Staat Israel vollständig gesichert sei. Reshef warnte:
«Wenn wir jetzt aufhören, wird die Hamas zurückkehren.»
Die israelischen Streitkräfte (IDF) seien vom Angriff der Hamas überrascht worden, erklärte die Botschafterin bezüglich der verspäteten Intervention IDF zur Unterstützung der von der Hamas betroffenen Gemeinden am 7. Oktober. Was die Gründe für die Verspätung und die Verantwortung angeht, «wird sich die Militärjustiz äussern», fügte sie hinzu.
Die Diplomatin betonte auch die Schwierigkeiten, denen sich die Armee bei der Erreichung ihrer Ziele gegenübersieht:
«Es ist eine absurde Situation, weil die IDF die Bevölkerung im Gazastreifen vor bevorstehenden Angriffen warnt und die Hamas ihrerseits die Zivilbevölkerung daran hindert, das Gebiet zu evakuieren.»
Reshef verwies zudem auf den «unaufhörlichen» Raketenbeschuss aus dem Libanon durch die Hisbollah-Kämpfer und die Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer durch die Houthis:
«Wir werden von mehreren Seiten angegriffen. Niemand kämpft für uns, nicht einmal die USA. Wir brauchen die Hilfe der Welt.»
Zur Möglichkeit der Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung liess die Botschafterin wissen, dass sich in Israel «viele Menschen fragen, ob es noch möglich ist», einen palästinensischen Staat zu schaffen. Sie erläuterte:
«Wir wollen den Gazastreifen nicht kontrollieren, aber auf die eine oder andere Weise wird Israel am Aufbau einer Sicherheitsinfrastruktur in der Region beteiligt sein müssen.»
Von der Konferenz steht kein Video zur Verfügung. In den Berichten darüber finden sich jedoch keine Äusserungen Reshefs zum Leid der palästinensischen Zivilisten. Wenn dem so ist, dann fragte vermutlich auch keiner der Medienschaffenden danach. Zur Erinnerung: Laut der Gesundheitsbehörde in Gaza wurden seit dem 7. Oktober bei israelischen Angriffen auf den Gazastreifen über 26’000 Menschen getötet und mehr als 65’000 verwundet.
Im Interview mit dem Corriere del Ticino ging Reshef auch auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom vergangenen Freitag ein. Südafrika hatte Israel beschuldigt, gegen die Konvention zur Verhütung des Völkermordes verstossen zu haben. Die Botschafterin zeigte sich «zutiefst enttäuscht über die Entscheidung des IGH, die Klage nicht abzuweisen»:
«Der Krieg, den Israel gegen die Hamas in Gaza führt, hat nichts mit Völkermord zu tun. Die Hamas ist eine Terrorgruppe, die wahllose Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung verübt und dabei Hunderte von unschuldigen Zivilisten getötet hat. Israel kämpft, um sich gegen diese Bedrohung zu verteidigen, und hat nicht die Absicht, einen Völkermord zu begehen. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung in Gaza die notwendige humanitäre Hilfe erhält. Das einzige Hindernis für diese Hilfe ist die Hamas selbst, die Israel daran hindert, Lebensmittel, Versorgungsgüter und medizinische Ausrüstung zu liefern. Die Entscheidung des IGH – der im Übrigen nicht zur Einstellung der Feindseligkeiten aufrief und damit das Recht Israels auf Selbstverteidigung anerkannte – ist eine Ungerechtigkeit und zeugt von mangelndem Verständnis für die Komplexität des israelisch-palästinensischen Konflikts.»
Der Journalist Dimitri Lorigett spielt Reshef in die Hände und fragt, ob nicht die Gefahr der Verharmlosung bestehe, wenn der Begriff «Völkermord» immer häufiger verwendet werde. Die Antwort:
«Es besteht in der Tat die Gefahr der Verachtung und Schwächung dieses sehr wichtigen Rechtsbegriffs. Diesbezüglich muss ich sagen, dass das, was Südafrika gesagt hat, nicht nur empörend und skandalös ist, sondern wir betrachten es auch als eine ‹Blutverleumdung› (‹blood libel›, Anm. d. Red.) gegen den Staat Israel. Wenn man den jüdischen Staat des Völkermordes beschuldigt, gibt man anderen grünes Licht, sowohl Israelis als auch Juden anzugreifen. Völkermord ist der schwerwiegendste Vorwurf, den man erheben kann, und der gegen Israel erhobene Vorwurf ist völlig falsch. Meiner Meinung nach hat Südafrika die CGI und sicherlich auch die Konvention nicht respektiert. Ich möchte Südafrika dringend bitten, noch einmal darüber nachzudenken: Wenn sie dem palästinensischen Volk wirklich helfen wollen, sollten sie die Hamas nicht unterstützen, denn die Hamas schadet dem palästinensischen Volk.»
Zum jetzigen Zeitpunkt hält Reshef eine Diskussion über die Zweistaatenlösung für verfrüht. Das israelische Volk sei immer noch traumatisiert von dem Anschlag vom 7. Oktober. Die Botschafterin beanstandet, dass ihn Präsident Mahmoud Abbas bis heute nicht verurteilt hat. Und weiter:
«Ausserdem glaube ich nicht, dass die Hamas ein verlässlicher Partner für eine Zwei-Staaten-Lösung ist. Diese Lösung wurde den Palästinensern in der Vergangenheit übrigens schon mehrfach vorgeschlagen, aber er wurde immer ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Was die Palästinensische Autonomiebehörde (PNA) betrifft, so ist unklar, ob sie im Falle eines Sieges über die Hamas bereit wäre, in den Gazastreifen zurückzukehren. Ausserdem hat die PNA eine lange Geschichte von Korruption und Ineffizienz. Meiner Meinung nach ist ein radikaler Wechsel in der palästinensischen Führung erforderlich, bevor eine Zwei-Staaten-Lösung in Betracht gezogen werden kann. Und die Palästinenser müssen zeigen, dass sie bereit sind, mit den Israelis in Frieden und Sicherheit zu leben. In Israel wächst der Konsens, dass eine Zweistaatenlösung mit der derzeitigen Führung der Palästinenser nicht mehr möglich ist.»
Die einzige Lösung, um aus diesem Konflikt herauskommen, sieht Reshef darin, dass «Israel gestärkt aus dieser Krise hervorgeht». Sie ist davon überzeugt, dass dies geschehen werde:
«Gott bewahre, dass die Hamas die Oberhand gewinnt, denn das wäre eine Bedrohung für Israel und für alle gemässigten und friedlichen Länder. Wir kämpfen also nicht nur für Israel, sondern für eine sichere und bessere Zukunft für den gesamten Nahen Osten, auch für die Palästinenser.»
Zur Rolle der Schweiz als möglicher Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien meint die Botschafterin:
«Als nicht ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats kommt der Schweiz eine sehr wichtige Rolle in Bezug auf die Situation in Israel und Gaza zu. Wir erwarten von allen unseren Freunden, auch von der Schweiz, dass sie nur solche Texte unterstützen, die dem Rat vorgelegt werden, die die Wahrheit sagen, das heisst die den 7. Oktober erwähnen, die Hamas anprangern und unmissverständlich die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln fordern.»
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