Der Karikaturist Olaf Schmalbein ist ein sehr fleißiger Vertreter seiner Zunft. Als die Corona-Krise begann, griff er nach längerer Pause wieder zum Stift. Seitdem veröffentlicht er auf seinem Telegram-Kanal beinahe täglich eine oder zwei Zeichnungen, die aktuelle Ereignisse aufgreifen und sie satirisch überspitzen. Seine Karikaturen leben von der Wechselwirkung von Text und Bild und zeichnen sich durch bewusste Logikbrüche aus. Wie viele zeitkritische Künstler hat Schmalbein in den letzten Jahren nicht nur schöne Erfahrungen gemacht. Im Interview spricht er über Zensurpraktiken, beschreibt seine Arbeitsweise und erklärt, welche Kraft Karikaturen innewohnt.
Transition News: Herr Schmalbein, seit der Corona-Krise produzieren Sie fast täglich eine oder zwei Karikaturen zu aktuellen Ereignissen aus Politik und Gesellschaft. Woher kommt diese ungeheure Produktivität?
Olaf Schmalbein: Ich zeichne täglich mehrere Bilder, da mir das Tagesgeschehen fortwährend Futter bietet. Irgendwie hat sich in mir auch ein Gefühl der Verpflichtung meiner Community gegenüber entwickelt. Aber vor allem ist es eine Flucht in meine gezeichnete Welt. Es ist auch mein Protest, den ich 2020/2021 auf der Straße ausgetragen habe. Ich litt unter schweren Depressionen. Mein Therapeut hat mir das Zurückfinden zu meinem Hobby als hilfreiche Therapie empfohlen. So kam ich schon 2017 wieder zurück in meine Welt.
Sie haben gerade ihren Protest gegen die Corona-Politik erwähnt, den sie auf der Straße ausgetragen haben? Was an der Corona-Politik hat Ihnen am meisten missfallen?
Als ich das erste Mal von der Pandemie gehört habe, fiel mir die Panik der Schweinegrippe ein. Ich habe das alles abgetan mit: Panikmache, das schläft alsbald wieder ein. Ich wurde eines Besseren belehrt und stand sprachlos da. Ich recherchierte, das wird die Presse schon richten. Wieder lag ich falsch. Es wurden Maßnahmen ergriffen, die zu ihrem Zeitpunkt keinerlei Rechtfertigung hatten. Ich bekam das Strategiepapier in die Hand und das Papier des Mitarbeiters des Innenministeriums und stellte fest: Hier läuft was komplett falsch. Entsetzt nahm ich zur Kenntnis, dass Menschen allein sterben mussten, während Pflegekräfte, für die auf den Balkonen applaudiert wurde, den Jerusalema Dance einstudierten.
Alles geriet in Schieflage. Meine persönlich schlimmsten Ereignisse waren, dass mir verboten wurde, an der Einschulung meines Enkels teilzunehmen. Als Ungeimpfter durfte ich weder an der Beerdigung meiner Schwiegermutter noch an der Hochzeit meiner Tochter in Berlin teilnehmen. Auch bei der Geburt unseres zweiten Enkels durften wir das Krankenhaus nicht betreten. Mit Grauen habe ich gesehen, wie mein großer Enkel, damals 7 Jahre alt, im Winter bei geöffnetem Fenster mit Winterjacke am Unterricht teilnahm. Mein Herz ist gesprungen, als ich seine traurigen Augen über der Maske sah.
Gemeinsam mit den Kindern haben wir dann Demos in Berlin, Leipzig und Frankfurt/Oder besucht. Wöchentlich haben wir am Autokorso in Berlin teilgenommen. Die Gewalt und Schikane der Polizeibeamten haben mich zutiefst erschüttert. Stundenlang waren wir in der Friedrichstraße eingekesselt. Die Beamten hatten es insbesondere auf Frauen abgesehen. Nur im letzten Moment konnte ich meine Frau wegziehen, als ein Polizist mit wütender Fratze versucht hatte, sie zu packen. Geschmerzt hat auch die Tatsache, dass Freunde nicht zum Diskurs bereit waren. Sie haben sich einfach zurückgezogen, die Freundschaft gekündigt. Wie hat mein Cousin damals gesagt: «Ach, bist du einer von denen.»
Wann haben Sie als Karikaturist begonnen? Wie ist der Wunsch dazu entstanden?
Seit ich einen Stift halten kann, habe ich meine Welt mit Bildern wiedergegeben. Die weiße Pappe aus der Perlonstrumpfhosenverpackung meiner Oma musste mit Leben gefüllt werden. Im Jugendalter begann ich dann auch politische Karikaturen zu zeichnen. Später habe ich dann Wände in Kinderzimmern meiner eigenen Kinder und von Freunden geschmückt, lustige Bilder an der Wand eines Billardzimmers. Es war kein Wunsch, Karikaturist zu werden, es war einfach da.
Jeder Karikaturist hat einen eigenen Stil. Wie würden Sie Ihren beschreiben?
Mein Stil würde ich, wie dereinst mein Onkel zu mir sagte, als naiv bezeichnen.
Können Sie das ein bisschen näher erläutern? Was heißt in Ihrem Fall naiv?
Meine Figuren bleiben, so hat mir das einmal Rob Cartoon mitgeteilt, noch freundlich im Aussehen, denen man doch verzeihen könnte. Ich überzeichne nicht bösartig, ich möchte niemandem eine böse Fratze geben. Schon mein Stil, mit Buntstiften zu zeichnen, gibt meinen Bildern etwas Kindliches.
Karikatur: Olaf Schmalbein
Eng an den Stil gebunden ist auch die technische Herangehensweise. Einige arbeiten mit Programmen, andere malen analog. Wie entstehen Ihre Karikaturen?
Ich zeichne noch analog mit Bleistift, Fineliner und Buntstiften.
Warum greifen Sie nicht zu neuen Programmen? Die dürften doch die Arbeit erleichtern?
Der Schaffensprozess, das händische Zeichnen, gibt mir sehr viel. Sicherlich mag eine elektronische Bearbeitung eine Erleichterung sein, aber das bin nicht ich. Außerdem entziehe ich meine Werke tatsächlich der Künstlichen Intelligenz (KI). Da ich für alles offen bin, habe ich mich auch damit beschäftigt. Die KI konnte aber bei Bildeingabe meine Bilder nicht verarbeiten.
Viele kritische Künstler haben in den letzten Jahren unschöne Erfahrungen gemacht. Sie wurden zensiert, verleumdet oder sogar strafrechtlich verfolgt. Was haben Sie erlebt?
Eine strafrechtliche Verfolgung ist mir bisher erspart geblieben. Durch meine Arbeit habe ich, was mich am meisten trifft, Familie und Freunde verloren. Instagram wollte meinen Kanal sperren, als ich ungefähr 147 Follower hatte. X hat meinen Account gesperrt. Beschimpfungen im Netz waren gerade im Jahr 2020 erheblich, und wurden von mir zur Kenntnis genommen. Eine bloße, aber mögliche Vermutung betrifft den Deutschen Karikaturenpreis. Meine Registrierung zum Wettbewerb, mit dem Thema Künstliche Intelligenz, wurde mir so sehr erschwert, dass der ein oder andere aufgegeben hätte. Die Schwierigkeiten wurden begründet damit, dass es ja noch nie passiert sei. Meine Bilder wurden letztendlich nicht berücksichtigt, weder in der Ausstellung noch im Katalog.
Karikatur: Olaf Schmalbein
Haben Sie bei all den negativen Aspekten aber auch positive Erfahrungen gemacht?
Ich habe sehr viel positives Feedback aus der Community bekommen. Man dankt mir für ein geschenktes Lächeln oder schickt mir Anregungen. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, die mich zum Weitermachen anspornen.
Wie hat sich Ihre Arbeit nach dem Comeback im Jahr 2020 entwickelt? Konnten Sie da bestimmte Muster entdecken?
Mein Stil hat sich nicht wesentlich verändert, eher haben sich durch die tägliche Routine zeichentechnische Verbesserungen ergeben. Es haben sich Figuren mit Erkennungswert entwickelt, wie zum Beispiel Ricarda Lang, Lauterbach oder Böhmermann.
Warum arbeiten Sie sich gerade an diesen Figuren ab?
Das waren nur Beispiele. Ich nehme mir jeden vor, der sich durch Lügen, miese Propaganda und Heuchelei in Szene setzt. Auch Julian Reichelt oder Bodo Schiffmann werden nicht von mir verschont.
Auch Bodo Schiffmann? Für viele aus der Riege der Maßnahmenkritiker ist er doch ein Held. Was kritisieren Sie an ihm?
Ich habe zunächst einmal grundsätzlich ein Problem mit sogenannten oder selbsternannten Helden in der Bewegung. Die Helden sind wir alle, niemand sollte sich hervorheben. Gerade bei Schiffmann habe ich bei vielen Aussagen das Gefühl einer gigantischen Selbstüberschätzung. Ich habe seinen Kanal regelmäßig verfolgt und dabei festgestellt, dass er sich immer mehr Themen widmet, die schon Jahre als «Verschwörungstheorie» – ich hasse dieses Wort – gelten. Er bringt die Bewegung in die Richtung des Filmes «Die Känguru-Verschwörung», alles Spinner, die einem Guru folgen. Des Weiteren ist er dem wunderbaren Gordon Pankalla (Anwalt aus Köln) bei kritischen Fragen ausgewichen und hat ihn gar beschimpft und verleumdet. Das ist nur ein Beispiel.
Ich bin überzeugt, dass die weitverbreitete Suche nach dem Retter der Bewegung extrem schadet. Meine Leitfigur sitzt tief in meinem Herzen, meine Werte, meine Familie, meine Enkel, für die ich mein Leben geben würde. Es wird geredet von einer Spaltung. Diese findet leider auch in unserer Bubble statt. Mittlerweile findet nicht nur eine Spaltung statt, die Gesellschaft wird gehäckselt. Es hilft der Bewegung nicht, von einer Pandemie auf einer dreieckigen Flacherde unter Echsenmenschen zu reden. Die Menschen sind schon mit den Folgen der Pandemie und den Kriegen beschäftigt. Wie soll ich jemanden mit den eigentlichen Problemen erreichen, wenn ich ihn mit zig Baustellen bearbeite. Wir werden im wirklich Wesentlichen nicht mehr wahrgenommen bzw. als Spinner abgestempelt. Viele der sogenannten Leitfiguren haben den Widerstand zu einer Geschäftsidee pervertiert. Schiffmann füllt seinen Kanal mittlerweile mit Pharmawerbung.
Welche Kraft liegt Ihrer Meinung nach in Karikaturen? Was macht dieses Kunstgenre aus?
Jede Karikatur ist ein Denkmal im Sinne von «denk mal». Es gibt dem einen ein Lächeln oder lautes Lachen. Dem Anderen gibt es vielleicht einen Denkanstoß. Wenn dann der ein oder andere wenigstens lächeln kann, hat die Karikatur ihr Ziel erreicht. Wir Karikaturisten sind ein wenig wie Hofnarren, die der Obrigkeit den Spiegel vorhalten. Leider fallen viele von uns derzeit in Ungnade und werden zum Schafott geführt, wie gerade aktuell das Pandemimimi oder der Zeichner der Süddeutschen Zeitung, der seinen Job verloren hat. Einem Zeichner der Flensburger Zeitung wurde eine Entschuldigung abgerungen. Ich bin überzeugt, dass es der Obrigkeit nicht gefällt, wenn sie ausgelacht wird.
Herr Schmalbein, sie haben sich in den letzten Jahren in die Herzen der außerparlamentarischen Opposition gemalt und sind nun fester Bestandteil der alternativen Kunst- und Kulturszene. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Das Jetzt wird meine Zukunft sein. Ich habe mir keinen Schlusspunkt gesetzt. Es gibt noch viel zu tun, und ich hoffe, ich erreiche noch viele Herzen. Ich werde den Stift an meinen Enkel übergeben, der sehr talentiert ist.
Das Gespräch führte Eugen Zentner.