Differenzierte Sichten vor allem aus Ungarn auf die globalen politischen Entwicklungen, ähnliche Perspektiven aus den USA, aber einseitige Aussagen bis hin zu Plattitüden aus Deutschland – das war am Montag in Berlin bei einer Konferenz politisch konservativer Kräfte aus den drei Ländern zu erleben. Dabei ging es den Organisatoren der Veranstaltung über die «Transatlantische Partnerschaft in einer neuen Ära» darum, wie trotz gegenteiliger Sichten Kooperation und Handel möglich sind und wie konservative Werte wie Tradition, Familie und Sicherheit in einer Welt im Wandel bewahrt werden können.
Während es unter anderem immer wieder um die Folgen des Neoliberalismus ging, waren aber die Neokonservativen in den USA, die Neocons, und ihr aktuelles folgenreiches Treiben kein Thema. Dafür wurden wenig überraschend Russland und China als Gefahren von außen sowie die illegalen Migranten und der radikale Islamismus als Gefahren von innen ausgemacht.
Zu den Organisatoren der Veranstaltung gehörten das Deutsch-Ungarische Institut für Europäische Zusammenarbeit, die deutsche konservative Denkfabrik «TheRepublic» sowie das konservative Mathias Corvinus Collegium und das konservativ orientierte Danube Institut, beide aus Ungarn. Sie hatten Teilnehmer vor allem aus Deutschland, Ungarn und den USA eingeladen.
Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts für Europäische Zusammenarbeit in Budapest, bezeichnete die transatlantischen Beziehungen als wichtig für Europa. Allerdings betonten er und andere Teilnehmer vor allem aus Ungarn, nur ein eigenständigeres Europa, das seine eigenen Interessen nicht vernachlässige, könne ein gleichberechtigter Partner für die USA sein.
Bence Bauer (alle Fotos: Tilo Gräser)
Dagegen stand insbesondere für deutsche Teilnehmer wie den sächsischen CDU-Politiker Matthias Rößler die «Partnerschaft» unter US-Führung außer Frage. Ohne die US-Amerikaner könne sich Europa militärisch nicht gegen Angriffe von außen verteidigen, so der ehemalige sächsische Landtagspräsident, der auch gleich wusste, woher die Gefahr kommt: Von Russland und China, die einen neuen antiwestlichen Block bilden würden.
Rößlers Aussagen gehörten in eine Reihe undifferenzierter und einseitiger Stellungnahmen der deutschen Teilnehmer auf dem Podium der Veranstaltung. Und so erklärte er:
«Ich würde mir wünschen, und viele andere auch, dass die Supermacht Amerika weiter diese Rolle spielen könnte, diese Rolle der Stabilität und als Ordnungsmacht.»
Insbesondere die anwesenden Politikwissenschaftler und Politiker aus Ungarn wandten sich stattdessen gegen neue Blockbildungen und warnten mit Blick in die Geschichte vor den damit verbundenen Gefahren. Unter ihnen war Balázs Orbán, der wichtigste politische Berater des ungarischen Ministerpräsidenten (mit dem er nicht verwandt ist).
Ungarische Probleme
Wobei auch der Politstratege aus Budapest nicht ohne Einseitigkeiten auskam, so als er die Migration als das «Kernthema» der ungarischen Politik bezeichnete. Zudem bezeichnete er die transatlantische Allianz als «sehr stark», die aber von den Liberalen dominiert werde. Er machte darauf aufmerksam, dass die Lage der Konservativen in Ungarn anders als die der in den USA und Deutschland ist:
«Wir haben seit 15 Jahren eine konservative Regierung, und sie ist in vielen Politikbereichen führend, was manchmal umstritten ist, aber unsere allgemeine Analyse der wichtigsten Themen war nicht schlecht.»
Das treffe insbesondere für die Migration zu, bei der für Budapest bereits 2015 klar gewesen sei, dass es sich nicht um eine kurzfristige humanitäre Krise handele. Die «sich verändernde Welt» habe global Instabilitäten hervorgerufen mit der Folge von «Abermillionen von Menschen, die verzweifelt nach einem neuen Ort für sich suchen».
Früh sei klar gewesen, dass diese Massenmigration von Europa nicht bewältigt werden könne und der Kontinent die Migranten nicht aufnehmen könne. Deshalb sei es für die ungarische Regierung wichtig gewesen, die Kontrolle über die eigenen Grenzen zu behalten und zu sichern. Diese Politik durchzuhalten sei ein «täglicher Kampf gegen die liberalen Institutionen» vor allem der EU, so Orbán.
In der EU werde «eine konservative Regierung nicht belohnt, sondern bestraft, wenn sie die Grenzen sichert und versucht, illegale Migranten fernzuhalten». Das erschwere die Suche nach einer «Antwort auf diese sehr ernste zivilisatorische Herausforderung der Massenmigration im 21. Jahrhundert», erklärte der Politstratege aus Budapest.
Wie andere in der Veranstaltung auch ging er nicht weiter auf die Ursachen der Migration und die Suche nach Lösungen für die zugrundeliegenden Probleme wie Konflikte, Kriege, Armut und Klimaveränderungen ein. Die «sich verändernde Welt» wurde meist wie ein Naturereignis behandelt, für die niemand verantwortlich scheint, erst recht nicht die politisch konservativen Kräfte.
Stattdessen bedauerte Orbán, dass sich die liberalen und konservativen Kräfte nach dem gemeinsamen Kampf gegen den Kommunismus in den 1990er Jahren trennten und seitdem einander bekämpfen. Doch das von den Neoliberalen angestrebte politische System führe nicht zu mehr Freiheit, sondern es bedeute Unterdrückung und neue Blockbildung, stellte er fest.
Abgelehnte Blockbildung
Vor dem von Francis Fukuyama schon nach dem Kalten Krieg ausgemachten «Ende der Geschichte» gebe es aus neoliberaler Sicht eine letzte große Schlacht zwischen «Gut» und «Böse», für die es darauf ankomme, sich für eine Seite zu entscheiden. Der ungarische Politstratege widersprach dieser Sicht:
«Für uns Ungarn ist das nicht gut. Es ist keine gute Beschreibung der Welt. Wir mögen die Idee nicht, in Blöcke aufgeteilt zu werden und keine Alternative zu haben.»
Stattdessen müsse es um die Freiheit gehen, den eigenen Weg wählen zu können, politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Laut Orbán ist es wichtig, «eine Strategie zu verfolgen, die den Interessen des eigenen Volkes dient». Budapest orientiere sich dabei am aus Frankreich stammenden Konzept der strategischen Autonomie.
Das bedeute, «dass Europa in dieser sich verändernden Weltordnung im 21. Jahrhundert, in der es andere Machtzentren geben wird, verschiedene und mächtige, seine Stimme finden muss und in der Lage sein muss, seine eigenen Interessen zu identifizieren und auf der Weltbühne zu vertreten». Das sei nicht gegen andere gerichtet, betonte der Berater, «nicht gegen die transatlantischen Beziehungen, nicht gegen China».
Einen eigenen europäischen Weg zu finden sei wichtig und gut für die Bevölkerungen des Kontinents und deren Interessen. Die Europäische Union (EU) basiere auf der Kooperation von Nationalstaaten, während eine EU «als Superstaat keine Lösung» sei.
Balazs Orbán (links) und Prof. Patrick Deneen
Zustimmung bekam der ungarische Politstratege von Patrick Deneen, Politikwissenschaftler aus den USA, der unter anderem darauf hinwies, dass die Globalisierung die USA «von innen ausgehöhlt» habe, vor allem wirtschaftlich. Während die Vereinigten Staaten auf anderen Kontinenten für Stabilität und Sicherheit gesorgt und liberale Vorstellungen verbreitet hätten, habe das «letztendlich zu einer tiefen Instabilität in der US-amerikanischen politischen Ordnung geführt». Auch Deneen betonte, «dass es niemals Freiheit geben wird, wenn wir nur zwei Blöcke haben»
Es gehe um «die Verteidigung der eigenen Nation, des eigenen Volkes, der eigenen Arbeiterklasse, der eigenen Mittelschicht, der eigentlichen Quelle der Stärke einer Nation, des Rückgrats der Nation». Wenn diese schwach sei und leide, sei die Nation instabil. «Je früher die Elite in Europa, in Deutschland, die Situation versteht, desto besser», befand der US-Politikwissenschaftler.
Blick auf globale Lage
Auch er bekam einige Zustimmung auf dem Podium, so von der CSU-Bundestagsabgeordneten Mechthild Wittmann, sowie Beifall aus dem Publikum. Die CSU-Frau forderte eine deutsche Führungsrolle in der EU ein, wie sie auch später in einer Diskussionsrunde über «Antisemitismus & Migration» nicht nur «Sicherheit für alle, die hier leben» einforderte, sondern ebenso, dass alle gewalttätigen Migranten konsequent abgeschoben werden müssten.
Beim Thema Antisemitismus und Migration zeigten die meisten Podiumsteilnehmer, wie einseitig sie diese Probleme sehen und wie wenig sie die zugrundliegenden Ursachen beachten. Vielleicht ist das von Konservativen auch zu viel erwartet, aber immerhin waren bei anderen Themen, so bei der Wirtschaft oder der Wissenschaftsfreiheit, immer wieder auch differenzierte Sichten auf die komplexen Ursachen und Zusammenhänge zu vernehmen.
Das war auch bei der letzten Diskussionsrunde der Fall, die sich mit dem Thema «Strategische Souveränität & Konnektivität in der transatlantischen Gemeinschaft» beschäftigte. Hier zeigten insbesondere die Teilnehmer aus Ungarn noch einmal, wie sie bei aller klaren konservativen Ausgangsperspektive die globalen Entwicklungen differenziert sehen und behandeln.
So erklärte der Präsident des Ungarischen Instituts für Internationale Beziehungen, der US-Amerikaner Gladden Pappin, immerhin, «dass der Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Gestaltung der europäischen Außenpolitik und damit der Einfluss der USA innerhalb der transatlantischen Beziehungen dramatisch zugenommen hat bzw. viel schwerer geworden ist». Und füge hinzu: «Und das nicht unbedingt zum Guten.»
Aus seiner Sicht hat der US-geführte Westen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine eine andere Haltung zur selbst initiierten Globalisierung eingenommen. Das habe zu einem Politikwechsel geführt, der auf Konfrontation statt Wandel durch Austausch und Verständigung basiere.
Dr. Gladden Pappin
Der Kurs der «Abkopplung» von den bisherigen Partnern Russland und China habe Folgen für die EU, unter anderem eine geschwächte Wirtschaft. Ihn als in Europa lebenden US-Amerikaner beschäftige die Frage, ob das nicht auch dem transatlantischen Bündnis schade, so Pappin, der sich als Kritiker der US-Interventionspolitik bezeichnete. Und er stellte eine wichtige Frage:
«Wie können die Europäer das Maß an Souveränität zurückgewinnen, das sie brauchen, um in dieser multipolaren Welt zu funktionieren, in der die Vereinigten Staaten möglicherweise kein Interesse an der europäischen Sicherheit haben oder auch nicht so marktwirtschaftlich und freihandelsorientiert sind, wie sie es in der Vergangenheit waren?»
Institutsdirektor Bauer erklärte in der Runde, Ungarn habe gelernt, eine souveränitätsorientierte Politik zu betreiben. Er erläuterte das Prinzip der Konnektivität (Connectivity), von dem sich Budapest leiten ließe: Dabei gehe es darum, «so viele gute Beziehungen mit so vielen Ländern wie möglich zu unterhalten, im Handel, in der Infrastruktur, in der Energie, im Verkehr, in der Diplomatie, in der Wissenschaft, überall».
Ungarische Sicht
Das beziehe auch Länder wie Russland und China mit ein, so der ungarische Politologe, bei aller klaren kritischen Haltung gegenüber deren Politik. So sei es möglich, «das internationale Gefüge am Leben zu erhalten und sich gegen Isolationismus, gegen Handelsboykotte, Sanktionen, Zölle, die in letzter Zeit eingeführt wurden, zu wenden». Bauer betonte, dass das ein Beispiel für die EU und auch Deutschland sein könne:
«Denn wir glauben wirklich, dass Europa durch Konnektivität seine eigene Stimme finden kann, ein starker Partner sein kann und tatsächlich ein echter Gewinn sein kann.»
Er sieht die EU «ohne Orientierung, ohne politische Agenda und ohne Stärke». Mit Blick auf die US-Politik beklagte er unter anderem:
«Aus moralischen Gründen ist es uns nicht erlaubt, eine Diskussion darüber zu führen, ob Europa andere Energie- oder Handelsinteressen hat als die USA, denn das würde bedeuten, dass wir eine unzugängliche Frage aufwerfen oder unsere politischen Ansichten in Frage stellen oder ähnliches.»
Ungarn nehme dennoch bei der Suche nach einem eigenen Platz in der aufkommenden multipolaren Weltordnung «eine Vorreiterrolle ein». Es verfolge «einen sehr klaren interessenbasierten Ansatz in seiner Politik, auch auf europäischer Ebene, was einen manchmal ein wenig unpopulär macht».
von links: Moderator Armin Petschner-Multari, Dr. Gladden Pappin und Bence Bauer
Budapest sei immer darauf bedacht, eine eigene Politik zu entwickeln, die unter anderem auf den anderen historischen Erfahrungen im Vergleich zu den westeuropäischen Staaten gründe. Ungarn befinde sich anscheinend in der EU in einer Minderheitsposition, so Bauer, was aber international überhaupt nicht der Fall sei.
Dagegen sei die EU in ihrer Gefolgschaft der US-Politik insbesondere im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt global eher isoliert, während Ungarn «von allen anderen Ländern der Welt akzeptiert» werde. Bauer befürchtet, dass der Ukraine-Konflikt einschließlich der Konfrontationspolitik gegenüber Russland eine «Blaupause» für den vom US-geführten Westen avisierten Konflikt mit China sein könnte.
Deutsches Unverständnis
Er zeigte sich auch skeptisch gegenüber der deutschen Politik der «Zeitenwende», die alles über Bord werfe, was in den Jahrzehnten zuvor als gut und friedenserhaltend in den Beziehungen mit dem Osten galt. Ein klares Bekenntnis zu den transatlantischen Beziehungen und die Mitgliedschaft in der NATO sei kein Hindernis für den Austausch und Handel mit Russland und mit China, betonte der Politologe aus Budapest. Zugleich sprach er sich für eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine aus, um für die Menschen in dem Land endlich Frieden zu ermöglichen.
Doch für Thomas Silberhorn, CSU-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Unionsfraktion für transatlantische Beziehungen, gibt es solche differenzierten Sichten nicht. Er kam verspätet in die Runde und hatte nicht gehört, was die beiden Politologen aus Budapest gesagt hatten.
Thomas Silberhorn von der Unionsfraktion im Bundestag
Umso stärker wirkte der Kontrast dessen, was er von sich gab, zu den Worten seiner Vorredner. Silberhorn gab Phrasen wieder, die die westliche Konfrontationspolitik als «Kampf gegen die imperialen Mächte Russland und China» darstellten.
Er warnte vor einem angeblich drohenden Angriff Russlands auf die NATO sowie einer «russischen Hegemonie über Westeuropa». Deshalb müssten sich alle entscheiden, «dass wir auf der Seite der Freiheit stehen», unter Führung der USA, angesichts der Gefahr, die von der nuklear bewaffneten «Achse der Autokraten» ausgehe.
Die beiden Politologen aus Budapest waren angesichts dieser simplen Weltsicht des deutschen Abgeordneten sichtlich genervt. Bauer erklärte, Ungarn habe in den Konflikten und Kriegen im 20. Jahrhundert immer auf der Verliererseite gestanden und wolle sich deshalb nicht an einer neuen Blockbildung beteiligen.
Der aus den USA stammende Pappin erinnerte daran, dass in der US-Bevölkerung nach all den US-Interventionen «niemand für ein abstraktes Konzept wie die liberale Demokratie sterben will». Er warnte davor, widersprechende Standpunkte auszuschließen und Politik an moralischen Kategorien auszurichten, denn das führe nur zu «schlechten Entscheidungen». Und so plädierte ein US-amerikanischer Politologe am Ende dafür, dass die Europäer sich auf ihre eigenen Interessen besinnen und diese auch in die transatlantischen Beziehungen einbringen.
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