Die Hoffnungen auf einen Kurswechsel in der US-Politik durch Donald Trump in Richtung auf ein Ende des Krieges in der Ukraine könnten verfrüht gewesen sein. Das macht der investigative US-Journalist Seymour Hersh in seinem am Donnerstag veröffentlichten neuen Text deutlich.
Darin fragt er, ob der wiedergewählte US-Präsident Trump sich nicht doch auf die Seite der Hardliner in der US-Politik gegen Russland stellen werde. Was er aus Gesprächen mit Insidern berichtet, deutet auf eine solche Entwicklung hin.
Es gibt laut Hersh unter Trumps engen außenpolitischen Beratern «viele konkurrierende Interessen» in Bezug auf die Frage: Wie und wann soll der andauernde Krieg zwischen Russland und der Ukraine beendet werden?
Während seines Wahlkampfs habe Trump wiederholt geschworen, den Ukraine-Krieg noch vor seinem Amtsantritt zu beenden. Der US-Journalist schreibt dazu, jemand, «der über Informationen aus erster Hand verfügt», habe ihm mitgeteilt, dass derzeit intensive Gespräche zwischen der Ukraine und Russland geführt werden, die «kurz vor einer Einigung stehen».
Gegenwärtig sei eines der Hauptthemen der Gespräche das «Ringen um Territorium». Es gehe darum, dass der Kiewer Präsident Wolodymyr Selenskyj «sein Gesicht wahren» müsse: «Er will sich nie vor den Russen verbeugen.»
Der Krieg sei brutal und fordere enorme Opfer unter den Frontsoldaten auf beiden Seiten, schreibt Hersh. Die Frage sei, wie viel Territorium Russland in den ukrainischen Provinzen behalten wird, in denen es im Grabenkrieg gegen die unterbesetzten und unterausgerüsteten ukrainischen Streitkräfte weiterhin kleine Gewinne erziele.
Er gab die Aussagen seines Informanten so wieder:
«Putin ist der Tyrann auf dem Schulhof und wir müssen den Russen sagen: ‹Lasst uns darüber reden, was ihr bekommen werdet.›»
An einigen Orten in der Ukraine laufe eine Verhandlung darauf hinaus, ob eine bestimmte Schmelzanlage russisch oder ukrainisch sein würde. Trump sei anfangs mit den Verhandlungen einverstanden gewesen, und habe die Ansicht vertreten, dass keine Einigung funktionieren würde, wenn Putin nicht «eine Möglichkeit, Geld zu verdienen» als Gegenleistung für die Zustimmung zur Beendigung des Krieges erhalten würde.
Trump weiß laut dem Hersh-Gesprächspartner «nichts über internationale Geschichte», aber er verstehe, dass Russlands Wirtschaft unter den schweren Sanktionen und einer Inflationsrate von 8,5 Prozent ächze. Deshalb müsse Präsident Wladimir Putin dringend mehr Märkte für die riesigen Gas- und Ölreserven seines Landes finden.
Nach Hershs Informationen wurde der fortgeschrittene Stand der US-amerikanisch-russischen Verhandlungen von hochrangigen US-Generälen und Trump-Unterstützern überwacht, die alle in Trumps Regierung vertreten sein werden. Der Journalist verwies auf eine wenig beachtete Ankündigung des pensionierten US-Generals Keith Kellogg, Trumps Sondergesandter für die aktuellen Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland, vom 8. Januar dieses Jahres.
Kellogg widersprach dem designierten Präsidenten dabei öffentlich und erklärte gegenüber dem Sender Fox News, dass der Krieg nicht mit Trumps Amtsantritt enden würde, sondern innerhalb von 100 Tagen nach seiner Amtseinführung beigelegt werden könnte. Inzwischen spricht Trump selbst laut Medienberichten von einer Frist von 100 Tagen.
Hersh schreibt, ihm habe eine Person «mit Zugang zu den aktuellen Überlegungen im Trump-Lager» berichtet, der Präsident habe eingesehen, dass er «zu früh über die Möglichkeit einer Einigung mit Putin in der Ukraine-Frage» gesprochen habe. Zu den Gründen für die Verschiebung ernsthafter Gespräche gehöre die Überzeugung, dass die NATO-Länder von Trump dazu überredet werden könnten, ihre jährlichen Zahlungen an die NATO zu erhöhen, in einigen Fällen um mehr als eine Verdoppelung ihres jährlichen Beitrags von zwei Prozent des Bruttojahreseinkommens.
Seinen Information zufolge möchte Trump, dass die größeren europäischen Länder ihren Rüstungsanteil auf 5 Prozent erhöhen, so Hersh. Eine so besser finanzierte NATO «würde als Bedrohung für Putin angesehen werden».
Einige von Trumps Beratern glauben demnach, Putin «will mehr von der Ukraine, als er bekommen wird». Und ohne mehr Unterstützung durch die NATO werde «Putin nicht die Torheit eines Angriffs auf den Westen erkennen», werde im Trump-Lager geglaubt.
Die Hardliner sehen Putin laut Hersh als «unvermeidlichen Aggressor, der erfolgreich war: bei der Invasion Russlands in Georgien im Jahr 2008, bei der Eroberung der Krim im Jahr 2014, im Krieg in der Ukraine im Jahr 2022 und bei der anhaltenden Unterstützung des Iran, dessen fortgesetzte Urananreicherung – alles unter der Kameraüberwachung der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien – stattfindet. All dies wird von vielen in der Trump-Administration mit Besorgnis betrachtet.»
Ein weiteres Problem sei die russische Unterstützung für die BRICS-Staaten, die als potenzielle wirtschaftliche Bedrohung für die G7-Gemeinschaft des Westens angesehen werden. Die größte Angst einiger im Westen und im Weißen Haus sei, dass «Russland und China versuchen werden, den BRICS-Staaten eine militärische Komponente zu verleihen» und gleichzeitig eine internationale Alternative zum Dollar zu schaffen.
Internationale Experten wie der ehemalige UN-Diplomat Michael von der Schulenburg verweisen dagegen darauf, dass der Unterschied der BRICS zu westlichen Bündnissen ist, dass die beteiligten Staaten auf ein Militärbündnis verzichten. Doch das scheint in den USA nicht erkannt zu werden, da die Welt auch unter Trump nur aus der US-Perspektive betrachtet wird, die überall nur Rivalen sieht.
Nach Ansicht der US-amerikanischen Konservativen könnte eine Verzögerung einer Einigung zwischen Russland und der Ukraine dem Westen die Möglichkeit bieten, das Wachstum der BRICS-Staaten zu verringern, schreibt Hersh. Die neue Trump-Regierung sollte sich demnach nicht mit einer Vereinbarung mit Russland beeilen, um den Ukraine-Krieg in seiner mörderischen Pattsituation zu beenden.
Stattdessen solle Putin und seinen Verbündeten in China und anderswo eine Botschaft gesendet werden:
«Je mehr Sie im Ukraine-Krieg wollen, desto mehr werden Sie verlieren.»
Entsprechend klangen die Drohungen, die der neue US-Präsident gegenüber Russland kurz nach seiner Amtseinführung äußerte, wonach Putin sein Land zerstöre, wenn er keinem Deal zustimme. Der US-Journalist schreibt in seinem Text am Schluss:
«Washington und Amerika sind jetzt in den Händen der normalerweise marginalisierten Hardliner. Wo wird Donald Trump, der so sehr geliebt werden möchte, enden?»
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