Mit deutlichen Worten kritisiert der ehemalige Vorsitzende von SPD und Linkspartei, Oskar Lafontaine, die Ausgrenzung und Diffamierung Andersdenkender in Deutschland. In einem Beitrag, den die Schweizer Zeitschrift Die Weltwoche in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht, warnt er vor den Folgen und fordert, zu einer freien Debatte zurückzukehren.
Lafontaine bezieht sich dabei nicht nur auf die erschreckenden Auswüchse im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und dem israelischen Krieg in Palästina. Er stellt fest:
«Dass Demokratie und Freiheit in Deutschland immer gefährdet sind, zeigte die Corona-Zeit.»
Obwohl frühzeitig klar gewesen sei, dass die Propaganda der Pharma-Konzerne zur Corona-«Impfung» falsch war, seien «Ungeimpfte» beschimpft und ausgegrenzt worden. Lafontaine dazu:
«Auf dem Höhepunkt der Corona-Hysterie war das Debattenklima so aufgeheizt, dass ein Antrag, alle Ungeimpften auf eine einsame Insel zu verbannen, im Deutschen Bundestag durchaus eine Mehrheit hätte finden können.»
Wer sein Recht auf körperliche Selbstbestimmung wahrnahm, sei ins Visier von Politik, Medien und eines Teils der Bevölkerung geraten, die «regelrecht besessen» schienen, andere auszugrenzen. Der Ex-SPD-Chef erinnerte an die massiven medialen und öffentlichen Reaktionen auf die Künstleraktion «#allesdichtmachen» im Jahr 2021 um den Regisseur Dietrich Brüggemann.
Damit sei «der Geist der Gehässigkeit, der Wunsch, andere an den Pranger zu stellen und zu bestrafen», aus der Flasche gelassen worden. Lafontaine zitiert Spiegel-Kolumnist Nikolaus Blome. Der hatte sich gesellschaftliche Nachteile für all jene gewünscht, die sich nicht spritzen lassen wollten, und tatsächlich hinzugefügt, dass «die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen» solle.
«Sein Wunsch wurde erfüllt», stellt Lafontaine mit Blick auf «2G» und dem damit verbundenen Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, «teilweise bis zur Vernichtung der beruflichen Existenz», fest. Und:
«Die Lust, Andersdenkende zu denunzieren und herabzusetzen, überlebte die Corona-Zeit und schlug nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine zu.»
Nun wurden alle, die für Verhandlungen mit Russland und Friedenslösungen eintraten, ins Visier genommen, ob die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz oder der Komponist Justus Frantz. Der 79-jährige wurde gar von dem Schleswig-Holstein Musik Festival ausgeschlossen, das er einst mitgegründet hatte.
Lafontaine schreibt: «Gerade heute wäre es notwendig, nicht Künstler auszuladen, sondern auf die völkerverbindende Kraft der Kunst zu setzen, vor allem auf die der Musik.» Angesichts der Tatsache, dass auch das Geschehen in Palästina eine neue Denunziations- und Diffamierungswelle bei Politik, Medien und Zeitgenossen ausgelöst hat, verweist Lafontaine auf Daniel Barenboim, den langjährigen künstlerischen Leiter und Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. Dieser habe «ein leuchtendes Beispiel» abgegeben.
Warum? Weil er als Einziger gleichzeitig die israelische und die palästinensische Staatsbürgerschaft habe. Zudem habe er gemeinsam mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das Orchester des «west-östlichen Divans» gegründet, das sich zur Hälfte aus israelischen und palästinensischen zusammensetzt.
Aber selbst jüdische Künstler würden nun ausgeladen, wenn sie es wagen, die israelische Regierung zu kritisieren, so der Ex-Politiker. So geschehen sei dies etwa in Saarbrücken bei der aus Südafrika stammenden jüdischen Künstlerin Candice Breitz. Die sei von der Museumschefin wieder ausgeladen, weil sie sich angeblich nicht genügend von dem Massaker der Hamas distanziert habe. «Das stimmte zwar nicht», so Lafontaine, «aber die renommierte Künstlerin hatte auch die israelische Regierung kritisiert, und darin sehen viele in Deutschland bereits Antisemitismus».
«Die der Cancel-Culture anhängende Berliner Politblase ist aber unfähig, Antisemitismus und Faschismus zu bekämpfen. Ohne irgendwelche Skrupel unterstützt sie in der Ukraine ein Regime, das den tausendfachen Judenmörder Stepan Bandera zum Nationalhelden erhebt, nach dem Strassen und Plätze benannt werden.»
Die deutsche Regierung kritisiere das ebenso wenig wie die Herabwürdigung der Palästinenser als «menschliche Tiere» oder wenn ein ukrainischer Schriftsteller mit Friedenspreis vom deutschen Buchhandel Russen als «Schweine» und «Unrat» bezeichnet.
Lafontaine erinnert in dem Zusammenhang an Artikel 1 des Grundgesetzes. Danach bekennt sich das deutsche Volk zur Menschenwürde und zu den unverletzlichen und unveräusserlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Dem werde die Bundesregierung nicht mehr gerecht. Er empfiehlt daher, dass der Geschäftsordnung des Bundestages das folgende berühmte Wort Voltaires vorangestellt werde:
«Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äussern dürfen.»
Der Vollständigkeit halber sei hier angefügt, dass manche die Auffassung vertreten, es sei nicht sicher, dass das letztgenannte Zitat von Voltaire stamme. So soll Nicholas Cronk von der Voltaire Foundation dazu geschrieben haben: «Ironischerweise taucht das wohl berühmteste und oft wiederholte Zitat Voltaires in seinen Schriften und seinen Briefwechseln nicht auf.»
So oder so: Das, was Lafontaine an Botschaft übermitteln möchte, ist mit diesem Zitat treffend zum Ausdruck gebracht.
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