Auf einem Grundstück am Stadtrand von Darmstadt steigt an diesem kühlen Morgen Dampf auf. Dieser scheint von mehreren Erdhügeln zu kommen, die hier aufgeschüttet wurden. Eineinhalb Meter hoch und ungefähr 70 Meter lang sind die Reihen, die eigentlich «Mieten» heißen und aus Frischkompost bestehen.
Das Unternehmen «Zeit zu wenden» hat das 3000 Quadratmeter große Grundstück gepachtet, um Kompost zu fermentieren, damit daraus Pflanzsubstrat entsteht. Die beiden Gründer, das Ehepaar Jutta und Axel Velhagen, haben 2023 ihre EDV-Jobs nach jeweils 30 Jahren an den Nagel gehangen. Sie wollten raus aus dem digitalen Hamsterrad und «etwas Positives, etwas zum Anfassen» schaffen, so Jutta Velhagen, und ein «regionales Netzwerk», für «biozyklische Humuserde» aufbauen, «viele kleine Orte, an denen es wieder gesunden Boden gibt».
Regionale Kompostanlagen liefern das Ausgangsmaterial. Dann kommt Kaffeetrester – ein natürlicher Dünger – von umliegenden Gastronomiebetrieben dazu. Aus diesem Gemisch entsteht innerhalb von acht Wochen Pflanzsubstrat. «Einmal pro Woche müssen die Hügel gewendet werden, damit sich das Material nicht über 70 Grad Celsius erhitzt und reifen kann», erklärt Jutta Velhagen. Das Aufschütten der Mieten geschieht mit einem kleinen Knicklenker, ein Spezialfahrzeug aus Finnland, an dem eine Schaufel montiert ist. Und auch für das Wenden hat das Ehepaar eine eigene Maschine angeschafft. Aus 20 Tonnen Frischkompost werden durch das Fermentieren zehn Tonnen Pflanzsubstrat.
Doch wie entsteht aus diesem Produkt von «Zeit zu wenden» biozyklische Humuserde? «Wir stehen ganz am Anfang», erklärt die Unternehmerin. Die Idee dahinter ist, dass Biobauern und Privatleute sich das Pflanzsubstrat abholen – eine Tonne kostet 80 Euro – und darauf Mischkultur, also verschiedene Gemüsepflanzen, anbauen. So entstehe nach fünf Jahren wertvoller Humus, der ohne Zusatz von Dünger hohe Erträge bringe.
«Die Natur braucht Geduld», betont Jutta Velhagen. Aus dem Pflanzsubstrat werde durch die Bepflanzung und dem Zusammenspiel zwischen den Wurzeln der Pflanzen und den Mikroorganismen im Boden kostbare biozyklische Humuserde. Das Pflanzsubstrat sozusagen durch die Pflanzen in fünf Jahren veredelt – «so wie Humus im Urwald». Mehreren Studien zufolge hat das Gemüse eine bessere Qualität, die Pflanzen sind weniger anfällig für Schädlinge und allgemein kräftiger. Trotz der Untersuchungsergebnisse, wollen sich die Landwirte selbst davon überzeugen, und so machen einige Biobauern die Probe aufs Exempel. Beispiel für eine aktuelle Mischkultur: Frühlingszwiebel, Rote Beete, Lauch, Süßkartoffeln und Kürbis.
Biozyklische Humuserde
Auf die Idee, hochwertiges Pflanzensubstrat herzustellen und zu verkaufen, kamen die beiden EDV-Fachleute, nachdem sie einen Vortrag von Johannes Eisenbach gehört hatten. Der aus Deutschland stammende Agrarökonom lebt seit 1995 in Griechenland und etablierte dort kreislaufbasierten Biolandbau. Er prägte den Begriff «biozyklische Humuserde» und bietet auch Workshops an. Und so sind die Velhagens nach Kalamata gereist, um die Methode näher kennenzulernen.
Jutta Velhagen umreißt kurz das Prinzip der «biozyklischen Humuserde»: Dem gereiften Pflanzsubstrat wird kein Dünger von außen zugeführt. So entwickeln die Pflanzen über die Wurzeln eine optimale Versorgung der Mikroorganismen im Boden. Die vielen Bodenbakterien und Bodenpilze machen wiederum Nährstoffe, wie den Luftstickstoff, für die Pflanze verfügbar. Und durch die Mischkultur kommt es zum Nährstoffausgleich zwischen den Wurzeln. Ein weiterer Aspekt: Die natürlich entstandenen Nährstoffe im Boden seien nicht wasserlöslich und würden nicht ausgewaschen.
«Ohne ausreichend Mikroorganismen kommt es zu humusarmen Böden, weil die Pflanzen, gesättigt durch das Düngen, die bodenaufbauenden Bakterien und Pilze nicht versorgen», erklärt die Unternehmerin. Eisenbach habe sie allerdings vor den vielen Regelungen und Auflagen in Deutschland gewarnt:
«Das, was er in Griechenland aufgebaut hat, wäre hier bei uns unmöglich gewesen».
Tatsächlich mussten ihr Mann und sie schon einige Schwierigkeiten lösen: Da die Grünschnittabfälle anfangs viel Flüssigkeit lassen, ist in Deutschland eine betonierte Wanne vorgeschrieben. Deshalb arbeitet «Zeit zu wenden» nun mit einer Kompostanlage zusammen und bekommen das Material erst, wenn diese nasse Phase vorbei ist. Derzeit wollen die beiden Bodenbereiter den teuren Transport optimieren und ein besser zugängliches Grundstück kaufen.
Den Velhagens ist klar, dass große Biobauern nicht so leicht auf Humusaufbau und die notwendige Mischkultur umstellen können: Deren Maschinenpark sei nicht darauf ausgerichtet. Die Höfe seien verschuldet und durch die Abhängigkeiten bleibe einfach keine Zeit, auf einen natürlichen Bodenaufbau umzustellen. So zielt «Zeit zu wenden» mit ihrem Pflanzsubstrat auf Solawis ab, also Menschen, die gemeinsam solidarische Landwirtschaft betreiben, Kleinbauern und Privatpersonen, da das Pflanzsubstrat sich auch für Hochbeete eignet. Jutta Velhagens Credo: «Wir müssen wieder ein lebendiges Miteinander schätzen, auch wenn es um unsere Ernährung geht.»
**********************
Unterstützen Sie uns mit einem individuellen Betrag oder einem Spenden-Abo. Damit leisten Sie einen wichtigen Beitrag für unsere journalistische Unabhängigkeit. Wir existieren als Medium nur dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Vielen Dank!
Oder kaufen Sie unser Jahrbuch 2023 (mehr Infos hier) mit unseren besten Texten im Webshop:
Kommentare