Zwischen 1945 und 1947, je nach Version, entdeckte ein junger Beduine den Eingang einer Höhle nahe Qumran am Westufer des Toten Meeres. Er warf einen Stein hinein und hörte Keramik zerbrechen. Als er mit einem Freund in die Höhle stieg, machten sie eine der bedeutendsten archäologischen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. In den Krügen fanden sie nämlich einige antike jüdische Schriftrollen, die später um die Zeit Jesu datiert wurden.
Bis 1956 wurden weitere Höhlen mit solchen Schriftrollen entdeckt. All diese antiken Manuskripte sind heute als Schriftrollen vom Toten Meer oder Qumran-Handschriften bekannt, auf English Dead Sea Scrolls. Die Funde werden auf 900 bis 1000 Rollen geschätzt, wobei lediglich etwa 15 noch als solche erkennbar sind. Der Rest besteht aus mehr als 15.000 Fragmenten.
Seitdem debattieren Wissenschaftler über die Ursprünge dieser Schriftrollen, wobei ein Großteil der Historiker sie den Essenern zuschreiben, eine religiöse Gruppe im antiken Judentum, die zum Teil asketische Lebensregeln befolgten. Ein System der künstlichen Intelligenz bietet nun einen neuen Ansatz, dessen Ergebnisse die langjährigen Annahmen über die Entstehungszeit dieser Texte in Frage stellen.
So haben Forscher des Qumran-Instituts der Universität Groningen in den Niederlanden ein KI-Programm namens «Enoch» entwickelt, das die Radiokarbondatierung mit einer computergestützten Handschriftenanalyse kombiniert, um das Alter antiker Manuskripte zu schätzen. Als das System auf 135 bisher undatierte Fragmente der Schriftrollen vom Toten Meer angewandt wurde, ergab es durchweg frühere Daten als die traditionellen paläographischen Methoden. Das Programm deutet darauf hin, dass einige Schriftrollen Jahrzehnte älter sein könnten, als die Gelehrten bisher glaubten.
Die entsprechende, in PLOS One veröffentlichte Studie, legt nahe, dass einige religiöse Texte und die dahinter stehenden Bewegungen früher entstanden sein könnten, als bisher angenommen. So könnten beispielsweise Schriftrollen, die bisher auf etwa 50 v. Chr. geschätzt wurden, bereits um 150 v. Chr. geschrieben worden sein, was neue Einblicke in die Entwicklung religiöser Gemeinschaften während einer entscheidenden Zeit im alten Judäa ermöglicht. Study Finds, das auf die Arbeit aufmerksam machte, kommentiert:
«Die Ergebnisse könnten einen Einfluss darauf haben, wie Historiker die Zeitlinie des frühen Judentums und den Kontext, in dem einige seiner wichtigsten religiösen Schriften entstanden sind, verstehen. (…) Wenn einige dieser Manuskripte Jahrzehnte früher geschrieben wurden, als bisher angenommen, könnte dies das wissenschaftliche Verständnis darüber verändern, wie sich religiöses Denken und Texttraditionen in einer entscheidenden historischen Periode entwickelt haben. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine hochentwickelte literarische und theologische Aktivität in Judäa möglicherweise schon früher blühte, als die Gelehrten annahmen.»
Das System analysierte Tausende von Merkmalen der Handschrift, von der Krümmung der Buchstaben bis zu den Strichwinkeln - Details, die für das menschliche Auge oft unsichtbar sind, aber von maschinellen Lernalgorithmen erkannt werden können. Mit Hilfe fortschrittlicher statistischer Methoden lernte die KI, bestimmte Merkmale der Handschrift mit bestimmten Zeiträumen zu verknüpfen.
Die früheren Datierungen von Manuskripten, die sich auf Gemeinschaftsregeln und religiöse Praktiken beziehen, deuten darauf hin, dass die literarische Tätigkeit der religiösen Gruppe bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. begonnen haben könnte. Das KI-System zeigte auch, dass zwei verschiedene Handschriften, die hasmonäische und die herodianische, wahrscheinlich länger nebeneinander existierten, als die Experten bisher glaubten. Dies stellt die Vorstellung in Frage, dass der eine Stil den anderen in einer direkten chronologischen Abfolge ersetzt hat.
Die Forscher planen, Enoch zu verfeinern, sobald mehr Radiokarbondaten und verbesserte Manuskriptbilder zur Verfügung stehen. Sie haben den Ansatz bereits an mittelalterlichen Texten mit bekannten Daten getestet und dabei ein ähnliches Maß an Genauigkeit erreicht. Das eröffnet die Möglichkeit, dass KI bei der Neudatierung anderer historischer Dokumentensammlungen auf der ganzen Welt helfen könnte.
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Über die Schriftrollen vom Toten Meer sind zum Beispiel die Bücher zu dem Thema des kontroversen britischen Archäologen John Marco Allegro zu empfehlen. 1953 wurde Allegro eingeladen, sich dem Team von Wissenschaftlern anzuschließen, die in Jerusalem an den Manuskripten arbeiteten. Im Jahr 1961 ernannte ihn König Hussein von Jordanien dann zum Ehrenberater der jordanischen Regierung für die Schriftrollen vom Toten Meer. Damals kontrollierte Jordanien das Westjordanland, wo die Texte gefunden wurden. Die Bücher sind:
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