Am 18. Februar 2025 sprach Jérôme Schwyzer, Präsident des Lehrernetzwerks Schweiz, mit Ralph Studer von Zukunft CH über die Missstände im Schweizer Bildungssystem. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen Schwyzers jüngste Thesen zur Verbesserung der Volksschule, die er als überfordert und ideologisch einseitig empfindet. Besonders die verstärkte Integration externer, teils politisch orientierter Organisationen in den Schulalltag sorgt für Aufregung – eine Entwicklung, die Schwyzer als problematisch ansieht.
«Viele Schulen haben eine ideologische Schlagseite bekommen», so Schwyzer, der das zunehmende Eindringen von politischen und sozialen Ideologien in den Schulunterricht scharf kritisiert. Ein Beispiel aus seinem eigenen Leben: Seine Tochter wurde in der Schule von einer nicht-binären und polyamoren Person zum Thema Sexualkunde unterrichtet. Diese Person lebte offenbar gleichzeitig in einer Beziehung mit zwei Transgender-Partnern.
«Die Schule hielt es nicht für notwendig, die Eltern über diesen Besuch zu informieren – das geht einfach nicht!», sagt Schwyzer.
Er unterstreicht die Notwendigkeit, die Eltern in solche Entscheidungen einzubeziehen. Er sieht die zunehmende Ideologisierung der Schulen als einen gefährlichen Trend, der die objektive Bildung der Kinder gefährdet.
Schwyzers Kritik geht in eine ähnliche Richtung wie die jüngst veröffentlichten Bedenken über die Sexualpädagogik in deutschen und schweizerischen Schulen (ein aktuelles Beispiel hier). In seinem Gespräch verweist er auf die Entstehung von «physischen Entdeckungsräumen» in Kindergärten, die als problematisch angesehen werden, da sie Kinder sexuellen Themen in einem Rahmen aussetzen, der grenzüberschreitendes Verhalten begünstigen könnte. Diese Entwicklung wird von Schwyzer und anderen als Gefahr für die Unschuld von Kindern und ihre gesunde Entwicklung betrachtet.
Diese Kritik ist nicht neu. Sie erinnert an die Diskussion um die Sexualerziehung an Schulen, die zunehmend politisiert wird. Schwyzer kritisiert die Orientierung auf die LGBTQ+-Bewegung und den Fokus auf Vielfalt und Geschlechtsidentität, die für Verwirrung bei Kindern sorgen und das traditionelle Verständnis von Geschlecht und Sexualität in Frage stellen. Auch hier ist es laut Schwyzer wichtig, dass Schulen sich auf objektive, wissenschaftlich fundierte Bildung konzentrieren und nicht zu einem Instrument der politischen oder sozialen Ideologie werden.
In diesem Zusammenhang sei auf die Beutelsbacher Konvention verwiesen, die 1976 als Leitlinie für politische Bildung in Deutschland formuliert wurde und auch in der Schweiz als Grundlage für die politische Neutralität im Unterricht gilt. Diese Konvention fordert, dass Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern erzogen werden, die sich eine eigene Meinung bilden können. Eine einseitige Indoktrinierung, wie sie durch die Ideologisierung des Unterrichts zu beobachten ist und wie sie Schwyzer diagnostiziert, verstößt gegen dieses Prinzip.
«Die einseitige sexuelle Indoktrination von Schülern durch externe Aktionsgruppen ist nicht nur problematisch, sondern widerspricht auch den grundlegenden Leitlinien der politischen Bildung».
Für Schwyzer bedeutet das, dass Themen wie Sexualerziehung und Geschlechteridentität nicht im Unterricht einseitig gefördert oder propagiert werden dürfen, sondern in einer ausgewogenen und neutralen Weise behandelt werden sollten.
Die Konvention warnt ausdrücklich vor Indoktrination und der Manipulation von Schülern und fordert stattdessen eine offene und kritische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen. Schwyzer fordert, dass diese Leitlinie auch in der Praxis konsequent umgesetzt wird und nicht zugunsten von Ideologien oder politischen Zielen geopfert wird.
Ein weiteres Beispiel für den Widerstand gegen die zunehmende Politisierung der Schulen zeigt sich im Kanton Nidwalden. Hier stellte sich die kantonale Regierung gegen Bestrebungen der Sozialdemokraten (SP) und Grünen, die Sexualerziehung stärker in die Hände der Schulen zu legen. Die Regierung argumentierte, dass die Sexualerziehung primär in der Verantwortung der Eltern liege. Der Staat sollte nur dann eingreifen, wenn es notwendig sei, um grundlegende Missstände zu beheben.
Die Kritik der Kantonsregierung ist ein direktes Plädoyer für die Wahrung der elterlichen Verantwortung und der familiären Rechte im Bildungsbereich. Die SP und die Grünen setzen sich für eine umfassende Sexualerziehung ein, die auch die Bekämpfung von Diskriminierung und Vorurteilen gegenüber LGBTQ+ umfasst. Doch die Regierung von Nidwalden stellte klar, dass im Kontext der Primarschule in ihrem Kanton noch kein substanzielles Problem in Bezug auf Diskriminierung von LGBTQ+ gesehen wird. Sie bezeichnete die Forderungen nach einer intensiveren Sexualerziehung als überzogen, da es in den Schulen bislang keinen nennenswerten Handlungsbedarf gebe.
Dieser Widerstand zeigt, dass auch in der Schweiz die Diskussion um die Verantwortung von Schulen und Eltern im Bildungsprozess weiterhin hochkocht. Schwyzer unterstützt die Position der Nidwaldner Regierung und betont, dass Eltern die primäre Verantwortung für die Sexualerziehung ihrer Kinder tragen sollten. Der Einfluss von Schulen und externen Organisationen sollte seiner Meinung nach auf ein Minimum reduziert werden.
Doch Schwyzers Kritik geht über die ideologische Frage hinaus. Er betrachtet das gesamte Bildungssystem als überlastet und schlecht organisiert. Ein Viertel der Schweizer Schulabgänger sei laut einer aktuellen Pisa-Studie nicht in der Lage, ausreichend zu lesen und zu schreiben – ein alarmierendes Signal. Schwyzer führt dies auf den überfrachteten Lehrplan und die zunehmende Akademisierung des Lehrerberufs zurück, die dazu geführt hätten, dass praktische pädagogische Fähigkeiten zunehmend vernachlässigt werden.
«Früher war der Lehrer eine pädagogische Führungsperson, heute müssen Lehrer akademische Anforderungen erfüllen, die den praktischen Teil ihres Berufs behindern», kritisiert Schwyzer.
Besonders die Integrationspolitik im Bildungswesen sieht Schwyzer als gescheitert an. Die sogenannte integrative Schule, die darauf abzielt, Kinder mit unterschiedlichen Leistungsniveaus gemeinsam zu unterrichten, habe nicht die gewünschten Erfolge gebracht, sondern vielmehr zu einer Überforderung der Lehrkräfte geführt. Schwyzer fordert eine Rückbesinnung auf den klassischen Unterricht, bei dem die Schüler nach ihren Fähigkeiten differenziert gefördert werden.
Die Äußerungen von Jérôme Schwyzer werfen einen kritischen Blick auf das Schweizer Bildungssystem. Er fordert eine Rückkehr zu einer objektiveren, weniger ideologisch geprägten Bildung und eine Reform des überfrachteten Lehrplans. Auch die Verantwortung von Eltern und Schulen im Bereich der Sexualerziehung muss neu geregelt werden, so Schwyzer. Der Widerstand gegen die zunehmende Politisierung des Unterrichts und die Rückkehr zur Verantwortung der Eltern, wie sie in Nidwalden deutlich wurde, könnte dabei einen wichtigen Schritt darstellen.