Die Natur kann bizarrer als Science-Fiction sein. So werden beispielsweise Insekten von parasitären Pilzen befallen, die ihre Bewegungen kontrollieren. Wie National Geographic berichtete, ist einer dieser Täter der in tropischen Wäldern vorkommende Pilz Ophiocordyceps unilateralis. Er infiziert eine sich auf Futtersuche befindliche Ameise durch Sporen, die sich an ihrem Exoskelett festsetzen und es durchdringen. Dann übernimmt der Pilz langsam das Verhalten der Ameise.
Mit fortschreitender Infektion wird die nun vom Pilz kontrollierte Ameise dazu getrieben, ihre Kolonie zu verlassen und eine feuchtere Umgebung aufzusuchen, die das Wachstum des Pilzes begünstigt. Sie klettert an eine Stelle etwa 25 Zentimeter über dem Boden und häufig über einem Ameisenweg. Nun krallt sie sich mit ihren Mandibeln auf der Unterseite eines Blattes an einer Ader fest, typischerweise auf der Nordseite der Pflanze. In diesem «Todesgriff» verharrt sie dort, bis sie stirbt.
In der Zwischenzeit ernährt sich der Pilz von den Innereien seines Opfers. Einige Tage nach dem Tod der Ameise schickt er einen Fruchtkörper durch die Basis des Ameisenkopfes. Dann stößt er seine Sporen aus und kann damit weitere Ameisen infizieren. Der makabre Prozess ist in folgendem National Geographic-Video zu beobachten:
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National Geographic erklärt:
«Wie in der Zombie-Überlieferung gibt es eine Inkubationszeit, in der infizierte Ameisen völlig normal erscheinen und unbemerkt von der restlichen Kolonie ihren Geschäften nachgehen. Das ist ungewöhnlich, da soziale Insekten wie Ameisen normalerweise über eine sogenannte soziale Immunität verfügen: Kranke Mitglieder werden aus der Gruppe ausgeschlossen, um zu verhindern, dass auch die anderen krank werden.»
Laut Charissa de Bekker, Professorin an der University of Central Florida, die sich mit Parasit-Wirt-Interaktionen befasst, die zu Verhaltensmanipulationen führen, haben die Ameisen keinen Mechanismus, um Ophiocordyceps loszuwerden.
Obwohl die Infektion gemäß National Geographic zu 100 Prozent tödlich ist, besteht das Ziel nicht darin, alle Ameisen in wandelnde Tote zu verwandeln. Damit Ökosysteme im Gleichgewicht bleiben, müssten Pilze die Wirtspopulationen in Schach halten. So seien zu jedem Zeitpunkt nur wenige Ameisen in einer Kolonie infiziert.
Allerdings scheine Ophiocordyceps unilateralis nicht in das Gehirn einzudringen. Die Zeitschrift erklärt, dass Forscher der Pennsylvania State University mithilfe einer Art Fluoreszenzmikroskopie die Pilzbesiedlung bei Ameisen vom Hinterleib bis zum Kopf beobachtet und keine Spuren von Pilzzellen im Gehirn gefunden haben. Sie hätten diese Informationen mit Computeralgorithmen kombiniert, um die Bewegung der Pilze zu kartieren, während diese eine Art röhrenförmiges Gerüst innerhalb und um die Muskelbündel der Ameisen bildeten. Laut Bekker deutet das darauf hin, dass der Pilz seine Gedankenkontrolle durch bioaktive Verbindungen ausübt, die das Nervensystem der Ameisen stören und die Wirte direkt an den Muskeln kontrollieren.
Forscher in Thailand und den Vereinigten Staaten hätten verschiedene Ophiocordyceps-Arten untersucht, die andere Ameisenarten befallen, um ihre Kontrollmechanismen zu vergleichen, so National Geopgraphic. Insgesamt hätten Forscher über 200 Ophiocordyceps-Arten identifiziert, die Wirte aus zehn Insektenordnungen sowie Spinnen befallen können, wobei jedoch nicht alle zu einer Verhaltensmanipulation führen. Das Magazin weiter:
«Eine verwandte Art, O. sinensis, besiedelt die Raupen der Geistermotte und bricht wie ein Einhornhorn aus ihrem Kopf hervor. Die Kombination aus Pilz und Raupenhülle wird in der traditionellen tibetischen und chinesischen Medizin als Immunverstärker, Krebsbehandlung und Aphrodisiakum geschätzt. In einer bizarren Wendung haben Ophiocordyceps-Arten, die japanische Zikaden befallen, möglicherweise sogar symbiotische Bakterien ersetzt, um ihren Wirten bei der Verarbeitung von Nährstoffen aus dem Saft zu helfen.»
Barrett Klein, Entomologe an der University of Wisconsin in La Crosse, weist darauf hin, dass Insekten eine ganze Reihe von Pilzarten enthalten, ähnlich dem Mikrobiom in unserem eigenen Darm. Da jedoch nicht alle Pilze im Labor gezüchtet werden könnten, seien nur wenige genau untersucht, geschweige denn als Verursacher von Verhaltensmanipulationen identifiziert worden.
Ein paar seien Wissenschaftlern jedoch bekannt, wie Entomophthora muscae. Der Pilz bewirke, dass infizierte Fliegen eine bestimmte Höhe erklimmen, sich mit dem Mund an einer Pflanze festkleben und eine «Todespose» mit dem Bauch nach oben einnehmen, die für die Verbreitung der Sporen optimal ist. In diesem Video von National Geographic ist zu sehen, wie sich die Fliegen in «Zombies» verwandeln.
Die Zeitschrift erwähnt auch den Pilz Massospora cicadina. Er pumpe seine Zikadenwirte mit halluzinogenen Substanzen voll und sorge dafür, dass ein Teil ihres Hinterleibs abfalle. Die Zikade mit dem nackten Hinterteil winde sich dann ihrem Tod entgegen, was wiederum die Sporenverbreitung fördere.
Zu untersuchen, inwieweit Parasiten ihre Wirte kontrollieren, ist Klein zufolge ein spannendes Gebiet am Rande unseres Verständnisses. Er fragt:
«Wenn Tiere so leicht manipuliert werden können, was bedeutet das dann für uns?»
National Geographic ist dieser Frage nachgegangen und hat festgestellt: Es gebe keine Hinweise darauf, dass sich Ophiocordyceps unilateralis so weiterentwickeln könnte, dass er Menschen manipulieren könnte. Laut Experten würde ein solcher Sprung Millionen von Jahren der Evolution und grundlegende biologische Veränderungen erfordern. Steigende Temperaturen könnten jedoch dazu führen, dass mehr Pilze im menschlichen Körper überleben können, was neue Gesundheitsrisiken mit sich bringe, aber keine Gedankenkontrolle.
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