Am Wochenende fand in Moldawien die erste Runde der Präsidentenwahlen statt, die mit einem Referendum über einen Verfassungszusatz zusammenfiel, mit dem der Weg des Landes Richtung EU festgeschrieben würde.
Die westlich orientierte bisherige Präsidentin und frühere Weltbank-Mitarbeiterin Maia Sandu liegt nach der ersten Runde deutlich in Führung, verfehlte aber das absolute Mehr. Deshalb kommt es am 3. November zu einer Stichwahl zwischen Sandu und dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Alexandr Stoianoglo von der Sozialistischen Partei des prorussischen Ex-Präsidenten Igor Dodon. So weit so unspektakulär.
Gleichzeitig fand aber die Abstimmung über den Weg des Landes Richtung EU statt. Erste Berichte am Abstimmungssonntag suggerierten, dass die Vorlage scheitern würde. Am Montag hatte sich aber das Blatt gewendet und im Endergebnis votierte eine hauchdünne Mehrheit für den Verfassungszusatz. Präsidentin Sandu kommentierteauf X:
«Das Volk der Republik Moldau hat gesprochen: Unser EU-Beitritt wird nun in der Verfassung verankert. Wir haben in einem unfairen Kampf fair gekämpft – und wir haben gewonnen. Aber der Kampf ist noch nicht vorbei. Wir werden uns weiterhin für das Volk, den Wohlstand und die Freiheit einsetzen, unsere Zukunft selbst zu gestalten.»
Stimmt dieses Bild des unfairen Kampfes? Und was steckt dahinter? Historisch gehörte dieser Landstrich seit 1812 zum russischen Kaiserreich. Nach dem ersten Weltkrieg fiel das damals Bessarabien genannte Land größtenteils an Rumänien und 1940 an die Sowjetunion. Während des 2. Weltkriegs eroberte Rumänien das Land und weite Teile der heutigen Ukraine bis zur Hafenstadt Odessa kurzzeitig zurück. Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion wurde Moldawien unabhängig. Die Region Transnistrien, ein russisch geprägter, hauchdünner Streifen im Osten, wurde darauf von Moskau besetzt und ist seither abtrünnig.
Die Sprache ist eine moldauisch gefärbten Variante des Rumänischen, wobei dieses zu den Zeiten des russischen Kaiserreichs und in der Sowjetzeit mit dem kyrillischen Alphabet geschrieben wurde, was in Transnistrien bis heute so ist. Auch die russische Sprache ist sehr präsent: 99 Prozent der Bewohner Moldawiens verfügen über Russischkenntnisse. Transnistrien ist noch stärker russisch geprägt als das übrige Land. Glaubensmäßig ist das Land orthodox, aber dem Moskauer und nicht dem Bukarester Patriarchat angeschlossen, was regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen der Bessarabischen Eparchie und dem Moskauer Patriarchat führt.
Moldawien ist also seit jeher hin- und hergerissen zwischen Ost und West und liegt genau dort, wo heute die Bruchlinien sind. Es eignet sich deshalb außerordentlich als Zankapfel.
Das Land ist bettelarm und von etwa dreieinhalb Moldawiern ist eine Million ausgewandert, etwa die Hälfte nach Russland und die andere in den Westen. Diese Exil-Moldawier sind also wahlentscheidend.
Die Berichte in den westlichen Leitmedien rapportierten die Vorwürfe der moldawischen Regierung, wonach russische Kreise die Wahlen vor allem über die sozialen Medien manipuliert hätten. Kriminelle Gruppen – und damit waren russophile Kreise gemeint – hätten versucht, die Lage in Moldau zu destabilisieren. Es gebe Beweise, dass 300.000 Stimmen gekauft worden seien, sagte Präsidentin Sandu. Mit viel Geld seien Lügen und Propaganda verbreitet worden. Die westlichen Medien schreiben ebenfalls über Wählerbestechung.
Leise Kritik am Vorgehen der moldawischen Regierung ist selbst in den großen westlichen Medien zu lesen. Es wird zum Beispiel gemeldet, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in kurz vor der Abstimmung 1.8 Milliarden Euro an Fördergeldern in Aussicht gestellt habe – viel Geld für ein kleines, bitterarmes Land. Es habe auch Kritik an der Tatsache gegeben, das EU-Referendum mit der Präsidentenwahl zu verknüpfen. Zudem sei auch die Zahl der Stimmlokale in Russland gezielt klein gehalten worden.
Tatsächlich ist es so, dass den in westlichen Ländern ansäßigen Moldawiern die Briefwahl erlaubt wurde, während zum Beispiel in Russland immer noch ein Erscheinen vor Ort in einem Wahllokalen nötig war.
Wenn man Medien aus Russland liest, dann erfährt man mehr Details. Die Zahl dieser Lokale wurde in Russland seit der letzten Wahl auf zwei reduziert. Das gleiche geschah in der russophilen, abtrünnigen Provinz Transnistrien. Im Westen habe es hingegen 234 solche Wahllokale gegeben und auch Briefwahl sei erlaubt gewesen.
Das würde dann erklären, warum am Sonntagabend das vorläufige Ergebnis der Wahlkommission nach der Auszählung von 90 Prozent der Stimmen 53 Prozent Ablehnung der EU-Vorlage suggerierte. Am Montag war dann alles anders. Bei den restlichen zehn Prozent handelt es sich wohl um die Briefwahlstimmen auf die Wahlcouvert aus ausländischen Wahllokalen. Es waren somit die Moldawier im Westen, die die Abstimmung entschieden.
Was vorging, ist also grundsätzlich klar. Beide Seiten haben wohl nach ihren Möglichkeiten getrickst. Ein direkter Betrug war aber wohl nicht im Spiel. Warum haben sich aber beide Seiten derart ins Zeug gelegt?
Das hängt einmal mit der geschilderten geopolitischen Lage zusammen. Während in den 90er Jahren zwischen Russland und dem Westen ein kooperativer Geist wehte, haben sich die Zeichen in den letzten 20 Jahren unmerklich Richtung Konflikt und Konfrontation verschoben. Länder, die an der Bruchlinie der Einflusszonen liegen, bekommen das besonders zu spüren. So berichtete selbst der Guardian schon 2004 über Regimewechsel-Aktivitäten der USA in Moldawien, Serbien, Georgien und der Ukraine.
Das bedeutet nicht nur für Moldawien: Forstsetzung folgt.
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