In den letzten vier Jahren der Krisenzeit haben viele neue Künstler die Bühne betreten, solche, die die gesellschaftlichen Verhältnisse ohne Schere im Kopf kommentieren. Bisweilen bleiben sie nur schwer greifbar, weil sie lediglich ihre Werke sprechen lassen, ohne sich selbst zu zeigen.
Das gilt zum Beispiel für das Künstlerkollektiv UNS aus Österreich. Die ersten Songs veröffentlichte es bereits 2021. Sie drehten sich um die Maßnahmen-Politik, um die Spaltung der Gesellschaft oder um den Kriegskurs westlicher Staaten. Die Songtexte mischten Kritik und hoffungsvolle Töne, sie gaben Kraft und boten ein Ventil, die eigene Wut zu kanalisieren.
Dieser Strategie bleibt das Künstlerkollektiv auch in dem neuen, zweiten Album treu. Es ist in gewisser Hinsicht die Fortsetzung des ersten. Was die beiden Werke verbindet, ist eine Auseinandersetzung mit dem menschlichen Wesen. Das klingt bereits im Titel der Neuerscheinung an. «BeziehUNSweise» heißt sie – ein Wortspiel, das jeder versteht. Obwohl das G fehlt, lässt es sich erahnen, dass es in dem Album um Beziehungen geht, um Liebes- und Freundschaftsbeziehungen, um soziale Beziehungen und um die Beziehung zur Außenwelt, zur Wahrheit, zu Andersdenkenden sowie vor allem zu sich selbst.
Teils in Dialekt, teils in Hochdeutsch
Die vielen Facetten von Beziehungsarten werden in einer teilweise sehr poetischen Sprache besungen, allerdings größtenteils im Dialekt. Die Lieder tragen Namen wie «Loss wia’s is», «Die Woahrheit» oder «Wos i für Di spia». Es finden sich aber auch Stücke in Hochdeutsch. Das wohl schönste auf dem Album ist «Ich bin». Zu einem berührenden wie schwungvollen Sound skizziert UNS die vielen Charakterzüge, die den Menschen ausmachen, allerdings nicht aus der Distanz, sondern aus der Ich-Perspektive, als würde die Gattung ebenfalls als Kollektiv sprechen.
«Bin der Rebell, der Ketten sprengt», singt UNS: «Der Krieger, der, der Angst sich stellt / Der Wächter meiner Unterwelt / Die reine Liebe meiner Selbst.» Werden diese Zeilen noch ruhig und deklamatorisch vorgetragen, euphorisieren sie sich im Refrain zu aufpeitschenden Gitarren und kräftigen Drums:
«Ich bin der Bogen und der Pfeil
Ich bin die Spannung auf dem Seil
Ich bin der Zug, die Präzision
Der Flug, das Ziel, die Vision
Ich bin der Boden und die Saat, der Pflug
Die Zuversicht, der Ertrag
Ich bin die Nahrung, bin der Sinn
Bin das Geheimnis, das(s) ich bin»
Obwohl die Aussagen präzise und schnörkellos daherkommen, geht von ihnen eine gewaltige Faszination aus, nicht zuletzt, weil sie auf allegorischer Ebene eine Identifikationsfläche bieten. In dem Song kann sich jeder erkennen, sich selbst finden und vielleicht neu kennenlernen. Er dringt zum inneren Kern vor und bringt ihn in Schwingung, so dass auch die Beine nicht still bleiben können.
Funky Sound
«Ich bin» regt genauso zum Tanzen an wie «Du & I», wobei hier vor allem der funky Sound das Kribbeln hervorruft. Mit dem knackigen Beat breitet sich vor dem inneren Auge die wuselige Tanzfläche aus – und mit ihr die gute Stimmung. Positive Vibes mischen sich mit ermutigenden Botschaften. Auf dieses Rezept greift UNS häufig zurück, in «Daungsche» etwa oder in «De Woharheit». Letzterer Song setzt sich mit dem heutigen Phänomen auseinander, dass Menschen nicht mehr miteinander reden können, weil sie eine jeweils andere Meinung haben.
Das Lied ist ein Appell an wahre Toleranz, ein lässiger Aufruf, einander nicht zu bevormunden. Zunächst sollte jeder vor der eigenen Haustür kehren. Das ist auch die Botschaft, die UNS in «Bevor der erste Stein fällt» sendet. Der Song thematisiert die heutige Diskussionskultur sowie den Hang, im Empörungsmodus Angst zu verbreiten. UNS schlägt darin vor, sich auf das zu besinnen, was alle Menschen vereint: der Wunsch, ein glückliches Leben zu führen.
Verbundenheit mit der Heimat
Das Album hält das Verbindende hoch, nicht nur im Hinblick auf das soziale Miteinander, sondern auch auf die Beziehung zu der eigenen Heimat. Was sie ausmacht, findet seinen Ausdruck in «Daham», einem ruhigen Stück, das wohltuende Melancholie versprüht. Im gleichen Fahrwasser bewegt sich der Song «Mei Pilot». Hier tritt jedoch die romantische Liebe in der Vordergrund, schmeichelhaft, aber weniger eindringlich als in «Wos i für Die spia», wo das lyrische Ich seiner Liebsten zu vermitteln versucht, dass es die eigenen Gefühle in einem Lied präziser und authentischer ausdrücken kann. Die Liebe hat in diesem Stück zwei Objekte. Sie gehört der weiblichen Adressatin und der Musik.
In diesem optimistisch-liebevollem Ton ermuntert UNS die Hörer dazu, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen und die Quelle des Glücks in sich selbst zu suchen. Zum Grundrezept, heißt es in dem gleichnamigen Song, gehört die Begeisterung. Weitere Ingredienzien finden sich in dem Lied «Tiny House». Dieses kleine Häuschen steht als Metapher für die eigene Lebenswelt, für einen seelischen Raum, in dem man sich ausgeglichen und wohl fühlt. Man muss es nur richtig einrichten, lautet die Botschaft: «In meinem Tinyhouse / schau ich zum Fenster raus», singt UNS im Refrain:
«Nur Liebe, keine Grenzen
Und ich sehe viele Menschen
Die Kinder spielen im Garten
Eltern, die nichts erwarten
Können begeistert staunen
Durch ihrer Kinder Augen»
«BeziehUNSweise» ist ein Album voller Nuancen, sowohl auf textlicher als auch auf musikalischer Ebene. Es macht nicht nur gute Laune, sondern sorgt zudem für besinnliche Momente. Es ist ein Plädoyer für ein menschliches Miteinander. Es regt zum Nachdenken an und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche. Auf dem Cover sind zwei Kinder zu sehen, die sich umarmen. Damit ist alles gesagt. Nächstenliebe übt sich am besten schon früh.
Musiktipp:
Künstlerkollektiv UNS: «BeziehUNSweise» 2024