Laut den eigenen Berechnungen der NATO verfügt Europa nur über einen Bruchteil der erforderlichen Luftabwehrkapazitäten, um die östliche Flanke des Bündnisses zu schützen, wie die Financial Times (FT) am Monatsende berichtete. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die Bedeutung der Luftabwehr unterstrichen.
Menschen, die mit den vertraulichen Verteidigungsplänen vom letzten Jahr vertraut sind, berichten, dass die NATO-Staaten weniger als fünf Prozent der benötigten Luftabwehrkapazitäten bereitstellen können, um ihre Mitglieder in Mittel- und Osteuropa vor einem groß angelegten Angriff zu schützen. Ein hochrangiger NATO-Diplomat erklärte, dass die Fähigkeit, sich gegen Raketen und Luftangriffe zu verteidigen, «ein wesentlicher Teil des Plans zur Verteidigung Osteuropas vor einer Invasion» sei, aber «derzeit nicht gegeben» sei.
Eine umfassende Verteidigungsüberprüfung der britischen Regierung im letzten Jahr bezeichnete die «Herausforderung, sich gegen Angriffe aus der Luft zu schützen» als «die akuteste seit über 30 Jahren». Russlands intensiver Einsatz von Raketen, Drohnen und zerstörerischen Bomben in der Ukraine habe die Dringlichkeit für die NATO-Mitglieder erhöht, ihre Verteidigungsausgaben nach Jahrzehnten von Kürzungen zu erhöhen.
Einige europäische Führer und Militärs befürchten, dass Russland bis Ende des Jahrzehnts die Fähigkeit haben könnte, ein NATO-Mitglied anzugreifen. In den letzten Monaten haben die europäischen NATO-Staaten nicht ausreichend zusätzliche Luftabwehrsysteme an die Ukraine geliefert, was die begrenzten Bestände der teuren und langsam zu produzierenden Systeme verdeutlicht.
Dies hat zu mehreren Initiativen geführt, um langfristige Lösungen zu finden. Deutschland startete im letzten Jahr die Sky Shield-Initiative mit über einem Dutzend anderer Länder, um ein gemeinsames Luftabwehrsystem zu entwickeln. Frankreich hat diesen Vorschlag öffentlich kritisiert und ein eigenes Konzept mit weniger Verbündeten unterstützt. Polen und Griechenland forderten die Europäische Kommission auf, bei der Entwicklung und Finanzierung eines gesamteuropäischen Luftabwehrsystems zu helfen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen signalisierte Unterstützung.
Ein NATO-Beamter erklärte, dass «(…) Verteidigungspläne klassifiziert» seien, betonte jedoch, dass Luft- und Raketenabwehr «oberste Priorität» habe und «Bestände reduziert wurden». Dennoch sei die NATO zuversichtlich, dass ihre Abschreckung gegen Russland stark bleibe.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 entsandten die USA ein Patriot-Luftabwehrsystem, um einen Flughafen im Süden Polens zu schützen. NATO-Mitglieder haben jedoch so wenige solcher Systeme, dass ihre Fähigkeit, sie über ihre eigenen Gebiete hinaus zu entsenden, stark eingeschränkt ist. Großbritanniens Royal Navy verfügt über sechs Zerstörer der Typ 45-Klasse mit Raketenabwehrsystemen, die jedoch von Designfehlern betroffen sind. Die britische Armee hat auch sechs Sky Sabre-Luftabwehrsysteme, deren Raketenreichweite nur etwa 40 Kilometer beträgt, und zwei der Systeme sind im Ausland stationiert.
Jack Watling vom Royal United Services Institute in London kritisierte die Luftabwehrfähigkeit Großbritanniens als «völlig unzureichend». Eine vollständige Integration der verschiedenen europäischen Luftabwehrsysteme könne helfen, indem ein dichtes Netz aus Sensoren und Abfangsystemen über den Kontinent geschaffen werde. Versuche, die NATO-Kommandostruktur für die Luftabwehr zu aktualisieren, seien jedoch gescheitert.
Die Stärkung der europäischen Verteidigung steht im Mittelpunkt des NATO-Gipfels in Washington im Juli.
Kommentar von Transition News
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich die europäischen NATO-Länder darauf verlassen, dass die Zeit der militärischen Auseinandersetzungen in Europa vorbei ist. Sie haben deshalb massiv abgerüstet und die Friedensdividende einkassiert.
Nun besteht die Gefahr, dass sie in den Stellvertreterkrieg Ukraine-Russland hineingezogen werden. Der Artikel in der FT zeigt nun in aller Deutlichkeit, dass sie darauf nicht vorbereitet sind.
Trotzdem rühren Politiker von London über Paris bis nach Berlin die Kriegstrommeln, anstatt eine Strategie auszuarbeiten, die sich an der harten Realität orientiert.
Der Infosperber hat zusätzlich kürzlich enthüllt, dass die USA im Kriegsfall Europa im Stich lassen könnten und dass es im NATO-Bündnisfall keinen Verteidigungsautomatismus gibt. Es ist Zeit für Europas Politiker, aufzuwachen und zu sehen, wo die echten Gefahren sind.
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