Seit Jahren verkümmert die Diskussionskultur. Die Menschen haben zunehmend Angst, ihre Meinung zu äußern, vor allem dann, wenn sie den medial verbreiteten Narrativen widerspricht. Das Ergebnis: Man redet nicht mehr miteinander, zumindest nicht tiefgründig und nicht über bewegende Themen. So aber können weder Ideen entstehen noch Visionen. Doch genau das wünschen sich viele Kritiker des Zeitgeschehens – solche wie Tatjana Cichon.
Die Schauspielerin und Sängerin wollte die Auflagen im Zuge der Corona-Politik nicht mittragen und stieg aus ihrem Beruf aus. Auch heute noch bleibt sie standhaft kritisch, sowohl künstlerisch als auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Aufklärung. Um die Menschen zusammenzubringen und die Gesprächskultur im öffentlichen Raum zu fördern, hat sie die Reihe «Neue Visionen für die Zukunft» initiiert.
Zu den jeweiligen Veranstaltungen werden Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Disziplinen eingeladen: Wissenschaftler, Mediziner, Publizisten, Kulturschaffende. Sie alle sollen in kleiner Runde über kontroverse Themen diskutieren. Wichtig sei es, dass diese Gespräche im öffentlichen Raum stattfänden, erklärt Cichon, die die jeweiligen Veranstaltungen moderiert und gemeinsam mit ihrer Kollegin Barbara Beckmann musikalisch begleitet. Beide treten als Duo unter dem Namen «Insight Voices» auf.
Raus aus der Blase
Ihr drängt sich der Eindruck auf, dass sich in den letzten Jahren «Subcommunitys» gebildet haben, abgetrennte soziale Bereiche, in denen nur Menschen aufeinandertreffen, die sich in bestimmten Punkten ohnehin einig sind. «Diese Menschen bewegen sich nicht aus ihrer Blase hinaus», sagt sie. Das gelte auch für die sogenannte außerparlamentarische Opposition. «Viele Initiativen und Aktivisten sind mittlerweile zerstritten.» Seit Jahren kann Cichon beobachten, dass in der außerparlamentarischen Opposition zwar häufig Kritik laut wird, in der Umsetzung aber viele Konflikte entstehen. Mit ihrer Veranstaltungsreihe will sie es besser machen und zur Versöhnung beitragen.
Als Veranstaltungsort hat sie den Kölner Hinterhofsalon gewinnen können. Dessen Betreiberin Anja Reuther war schon während der Zeit der ausgrenzenden Corona-Politik eine der wenigen Kulturschaffenden, die kritischen und medial verunglimpften Künstlern eine Bühne bot. Dort standen schon Kabarettisten wie Uli Masuth und Ludger K., aber auch Musiker wie Björn Banane und die Mitglieder des Hip-Hop-Kollektivs Rapbellions auf der Bühne. Im Kölner Hinterhofsalon treten Künstler aus den verschiedensten Bereichen auf. Sie will auch Cichon in ihre Reihe involvieren. Neben der Diskussion gehören künstlerische Beiträge fest zum Programm. Sie kommen aus der Literatur, der Musik oder dem Kabarett.
Zur ersten Veranstaltung öffnete der Kölner Hinterhofsalon seine Pforten im November letzten Jahres. Als Gäste waren der Mediziner Martin Haditsch, der Molekularbiologe Paul Cullen und die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot eingeladen. Alle drei schätzt Cichon für ihre integre, freundliche Art.
Wissenschaftler mit Rückgrat und Integrität
Auf Cullen war sie durch Videos und Interviews in sozialen und alternativen Medien aufmerksam geworden. Überzeugt habe sie der ruhige Ton und die Kompetenz, mit der er über medizinische Zusammenhänge spreche, sagt die Veranstalterin. Cullen war auch einer der ersten, die sich während der Corona-Krise kritisch mit dem PCR-Verfahren auseinandersetzten.
Der Molekularbiologe ist zudem mit Martin Haditsch befreundet. Ihn kennt Cichon aus dessen Dokumentation «Auf der Suche nach Wahrheit». Ihr gefalle die sachliche Art, mit der der Mediziner in der Öffentlichkeit auftrete und sich der Diskussion stelle. Die gleichen Charakterzüge überzeugen sie bei Guérot. Deren mediale wie institutionelle Hinrichtung als Wissenschaftlerin konnte Cichon quasi live mitverfolgen. Wie sich die Politologin dabei verhielt, welchen Mut sie bewies, wie sie sich nicht von ihrer Haltung abbringen ließ, all das nötigte der Veranstalterin großen Respekt ab.
Solche Menschen brauche es, um gesellschaftlich zu wachsen, sagt sie. Für neue Visionen seien sie die richtigen Impulsgeber. Das haben die drei Gäste bei der ersten Veranstaltung unter Beweis gestellt. Cichon selbst übernahm an diesem Abend den musikalischen Teil. Diskutiert wurde über zahlreiche Themen rund um die Corona-Krise. Es war eine Aufarbeitung verschiedener Vorgänge und Vorfälle, mit Akzent auf die Frage, was sich daraus lernen lässt und in welche Richtung die Gesellschaft mit dem Wissen von heute gehen möchte.
Transhumanismus und Ethik des Göttlichen
Die zweite Veranstaltung ist für den 16. Mai geplant. Cichon begrüßt an diesem Abend wieder Paul Cullen und einen Überraschungsgast, der vielen Menschen in der außerparlamentarischen Opposition bekannt sein dürfte. Gemeinsam werden sie über «Transhumanismus» und die «Ethik des Göttlichen» sprechen.
Zwei weitere Veranstaltungen sollen noch in diesem Jahr folgen. Am 27. September wird es explizit um das Thema Frieden gehen – und um Techniken der Propaganda, mit denen man ihn derzeit zu verhindern versucht. Als Diskussionsteilnehmer ist wieder Ulrike Guérot sowie der palästinensische Arzt Dr. Kamal Salem eingeladen. Im November kommen hingegen zwei Musikerpaare in den Kölner Hinterhofsalon – Jens Fischer und Alexa Rodrian sowie Markus Stockhausen und Tara Bouman.
In der Zwischenzeit versucht Cichon, ein größeres Team aufzubauen, damit die Veranstaltungsreihe wachsen kann. Für die erste Veranstaltung wurde Flavio von Witzleben als Moderator engagiert. Am 16. Mai führt Cichon gemeinsam mit dem Veranstalter Dario Trovato durch den Abend. Das Motto lautet Inklusion statt Exklusion. Auf diese Weise sollen Denkverbote aufgehoben und neuer Mut gemacht werden, in der öffentlichen Diskussion durchaus kontrovers über die Herausforderungen der Zeit zu streiten – mit Respekt und ergebnisoffen.
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