Ab dem 13. Lebensjahr lebte Patrizia bei ihrem Vater und hatte noch mehr Freiheiten und wenig Reglements. Heutzutage, wir schreiben das Jahr 2023, gibt es Helikoptereltern, während es zu Patrizias Zeit noch die Woodstock-Eltern waren. Ihre Tage waren gefüllt mit dem P1 bis in die Früh, Schlafen in der Schule und Lernen in der U-Bahn. Das Leben ist zum Tanzen und zum Genießen. Es gab noch keine Handys oder Laptops, und am Englischen Garten zu leben war immer wieder ein fantastisches Abenteuer. Manchmal ging sie nur mit einem Bademantel in den Eisbach zum Schwimmen oder in der Nacht vom Haus der Kunst nach Hause. Von einem zum anderen Gebäude hausieren. Wie Jean-Jacques Rousseau schon geschrieben hatte: «Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.» Und Patrizia musste in ihrer Jugend nie tun, was sie nicht wollte.
In Frankreich hatte ihr Vater ein Feriendomizil in Cannes gekauft, und somit wurden viele Ferien dort verbracht und auch die ersten semiphilosophischen Bücher gelesen, wie «Demian» von Hermann Hesse. Ein großartiges Buch, das sich mit einigen Themen der Metaphysik und des Glaubens beschäftigt. Herrmann Hesse hatte sich wohl, laut den Erzählungen, mit Josef Lang, einem Schüler von Carl Gustav Jung, getroffen und so das Gebiet der Psychoanalyse in sein Buch mit eingearbeitet. Manchmal sind Aufarbeitungen seines eigenen Lebens mit in die Bücher eingegangen, und dieses Buch hatte viele Themen, wie die allgemeine Dualität, des Ying und Yang, oder Gut und Böse. Was schon William Shakespeare in seinem Hamlet schrieb: «An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu.»
In Demian öffnet sich der Protagonist gegenüber seinem eigenen Unbewussten und der Existenz gegensätzlicher Kräfte und dass beide notwendig sind. Demian argumentiert, dass Jehova, der jüdische Gott, nur ein Gesicht Gottes ist. Auch kommt Abraxas vor als Symbol des höchsten Urwesens, aus dem die fünf Urkräfte Geist, Wort, Vorsehung, Weisheit und Macht hervorgingen.
Hermann Hesse schrieb: «Die Dinge, die wir sehen, sind dieselben Dinge, die in uns sind.» Es gibt keine Wirklichkeit als die, die wir in uns haben. Darum leben die meisten Menschen so unwirklich, weil sie die Bilder außerhalb für das Wirkliche halten und ihre eigene Welt in sich gar nicht zu Worte kommen lassen. Man kann glücklich dabei sein. Aber wenn man einmal das andere weiß, dann hat man die Wahl nicht mehr, den Weg der meisten zu gehen. Worte bewegen und Bücher auch. Wie Goethes «Leiden des jungen Werthers» oder «Faust» eine ganze Generation geformt haben, so auch Hermann Hesse.
Mit 16 Jahren begann die Phase der Anarchie, Che Guevara und Bakunin waren die Helden. Karl Marx’ «Das Kapital» wurde für gut empfunden, alle Menschen sind vor Gott gleich und keiner darf über dem anderen stehen. Religion ist Opium für das Volk, hatte Marx postuliert, aber es war nicht die Religion per se, sondern die Kirche und die Institution. Religionen sind das Wahrnehmen einer nicht materiell greifbaren Macht, etwas, was hinter unseren physischen Vorstellungen liegt, etwas, was einige Menschen sehen und wahrnehmen und viele nur erahnen können. Ebenso hatten schon einige Philosophen wie LaoTse oder Sokrates die ersten Ansätze hin zu dem mit dem Verstand Unfassbaren und doch vorhandenen dargestellt.
Die Epoche des 18. und 19. Jahrhunderts, wo auch die industrielle Revolution stattgefunden hat, war voller fantastischer Ideen, es wollte bewegt werden, eine andere politische Wahrhaftigkeit generiert werden. Menschen wie William Godwin, der ein englischer Journalist, politischer Philosoph und Romancier war, galt damals als einer der ersten Vertreter des Utilitarismus und als erster moderner Vertreter des Anarchismus. Er war auch verheiratet mit einer der ersten Suffragetten vor ihrer Zeit, eine englische Georg Sand, Mary Wollstonecraft. Dieser Liebe haben beide auch einen Namen gegeben, Mary ihre Tochter, auch bekannt als Mary Shelley, die im Alter von 19 Jahren ihr Buch «Frankenstein» geschrieben hat. Ein großartiges Buch über die Liebe und das, was uns Menschen ausmacht, das Helfende, Gebende und Liebende.
Dr. Frankenstein hatte aus verschiedenen Körperteilen das Monster hergestellt und es mit Stromschlägen erweckt. Das Monster war ein Mann und ist Frankenstein weggelaufen. Leider war der neuerschaffene Mensch sehr groß und unansehnlich, daher hatten alle Menschen, die ihn sahen, Angst und drehten sich weg. So war er ein Getriebener, aber hatte die Möglichkeit und das Glück, unter einer Hausdiele bei einer Familie unterzukommen, und hat dort gelernt, wie wunderbar das Menschsein sein kann. Er hat auch ohne, dass man ihn gesehen hätte, geholfen, das Holz zu schlagen für eine warme Stube, er hat es geliebt, den Gesprächen zuzuhören, und der alte Großvater, da er blind war, schien ihm der liebste und weiseste.
Eines Tages suchte er das Gespräch mit dem Alten, und weil dieser ja blind war und das Äußere nicht sah, sondern nur die Worte des Monsters vernahm, kam es zu einem bereichernden Gespräch für beide, doch auch hier kam wieder diese menschliche Schwäche ins Spiel, denn ein Sehender (mit den Augen) kam hinzu und sah wieder nicht mit dem Herzen, sondern nur mit den Augen, und das Monster musste wieder fliehen. Das Monster wollte nur einen Menschen, den er lieben konnte, und ersuchte seinen Erschaffer, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Patrizia liebte diese Novelle, weil dieses Buch das Verlangen nach Menschlichkeit darstellt.
Kommentare