Eine Koalition aus Prominenten – darunter der Schauspieler Mark Ruffalo, der Autor Cory Doctorow, der Musiker Brian Eno, die Journalistin Carole Cadwalladr und der Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales – hat die Initiative «Free Our Feeds» ins Leben gerufen. Ihre Mission sei es, das AT-Protokoll, das dezentralisierte Framework, auf dem Bluesky arbeitet, vor der Kontrolle durch Milliardäre und Unternehmensinteressen zu retten. Darüber berichten verschiedene Medien, unter anderem Reclaim The Net.
Der Initiative gehören auch Persönlichkeiten aus der Tech-Branche wie die Geschäftsführerin der Mozilla Foundation, Nabiha Syed, und der ehemalige Facebook-Investor Roger McNamee an. Das Portal wertet das als ein Zeichen für die wachsende Besorgnis über die zentralisierte Kontrolle sozialer Medien. Die Initiatoren bitten um 30 Millionen Dollar Spenden zur Finanzierung ihrer Idee, unter anderem, um eine Stiftung von öffentlichem Interesse zu gründen:
«Es wird eine unabhängige Finanzierung und Führung benötigen, um die Bluesky zugrunde liegende Technologie – das AT-Protokoll – in etwas Mächtigeres als eine einzelne App zu verwandeln. Wir wollen ein ganzes Ökosystem von miteinander verbundenen Apps und verschiedenen Unternehmen schaffen, denen die Interessen der Menschen am Herzen liegen.»
Ob diese Berühmtheiten jedoch die freie Meinungsäußerung im Sinn hätten, bezweifelt Reclaim The Net. Bluesky sei ursprünglich innerhalb von Twitter als zensurresistente Social Media-Plattform konzipiert worden. Es habe den Nutzern einen offenen, dezentralisierten Raum für freie Meinungsäußerung bieten und eine zentrale Kontrolle des Online-Diskurses verhindern sollen.
Die Dezentralisierung sei zwar ein vielversprechendes Konzept. Beispiele wie Bluesky oder auch Mastodon zeigten jedoch, wie schnell diese Plattformen unter den Einfluss derer geraten könnten, die die Sprache kontrollieren wollen, so das Portal. Beide hätten einst zensurresistente soziale Medien durch Dezentralisierung sowie den Nutzern Freiheit von Unternehmenskontrolle und strenger Moderation versprochen.
Als diese Plattformen jedoch wuchsen, hätten sie eine strengere Zensurpolitik eingeführt und sogar Instanzen blockiert, die Sprache nicht so streng zensierten. Bluesky habe sich weit von seinen Gründungsprinzipien entfernt. Die Plattform sei zunehmend von Befürwortern einer strengeren Inhaltsmoderation beeinflusst worden, wodurch das grundlegende Ziel des Schutzes der freien Meinungsäußerung untergraben worden sei.
Der Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales stehe der Politik der freien Meinungsäußerung wie einige seiner «Free Our Feeds»-Partner seit langem kritisch gegenüber, fährt Reclaim The Net fort. Der Schauspieler Mark Ruffalo habe bereits früher eine strenge Regulierung des damaligen Twitters gefordert, um «Fehlinformationen» zu bekämpfen. Er habe vorgeschlagen, es wie ein öffentliches Unternehmen unter staatlicher Aufsicht zu behandeln.
In seinem Dokumentarfilm «The YouTube Effect» habe Alex Winter, der ebenfalls Teil dieser neuen Initiative ist, auf eine stärkere Moderation und Regulierung von YouTube gedrängt. Er habe kritisiert, dass die Plattform durch ihre Empfehlungsalgorithmen die Verbreitung von «Fehlinformationen», «Verschwörungstheorien» und extremistischen Inhalten ermögliche.
Das dezentralisierte AT-Protokoll von Bluesky habe einen nahtlosen Wechsel zwischen den Plattformen ohne Daten- oder Verbindungsverlust ermöglichen sollen, erläutert Reclaim The Net. In der Praxis bleibe Bluesky jedoch die einzige große Plattform, die das Protokoll verwende und eine zentrale Kontrolle ausübe. Das sei ein Paradoxon für ein System, das sich der Kontrolle entziehen soll.
Die CEO von Bluesky, Jay Graber, unterstütze die aktuelle Initiative, heißt es. Man freue sich auf die Zusammenarbeit, «um die Akzeptanz des AT-Protokolls und offener Netzwerke zu erhöhen». Doch eins der ersten Ziele der Kampagne – die Entwicklung eines zweiten Relais für das AT-Protokoll, um die Kontrolle von Bluesky zu dezentralisieren – könnte aus der Sicht von Reclaim The Net leicht zu einem weiteren «Würgegriff für die Zensur von Inhalten» werden.
Es sei nicht klar, so das Portal, welche Art von Plattformen diese Prominenten gerne geschaffen sehen würden. Aber basierend auf vergangenen Äußerungen könnte es leicht als etwas Ähnliches wie die alte Garde enden, wo die Schlagworte «Hassrede» und «Fehlinformation» verwendet würden, um die freie Rede zu unterbinden. Es bleibe abzuwarten, ob dies der Fall sei und ob sie das Projekt überhaupt auf die Beine stellen könnten.
Ein dezentralisiertes Netzwerk jedenfalls, das die Zensur fördere und den Zugang zu Instanzen blockiere, die mit ihm interagieren, sei für die Befürworter der freien Meinungsäußerung von geringem Nutzen – genau wie zentralisierte Plattformen.
Kommentar Transition News:
Die proklamierte Notwendigkeit von Führung und das Ziel, «Unternehmen, denen die Interessen der Menschen am Herzen liegen», zu schaffen, sind Grund genug für Skepsis. In vielen Ohren dürfte das jedenfalls weder besonders innovativ noch freiheitlich klingen.
Wer erleben möchte, wie ein echtes dezentrales Ökosystem aussehen könnte, der sollte sich in die Welt von Nostr begeben. Dort braucht es keine zentralen Autoritäten, und die eigenverantwortlichen Benutzer haben die volle Kontrolle über all ihre Daten – Zensur ausgeschlossen.
Interessanterweise ist der Mitbegründer von Bluesky und ehemalige CEO von Twitter, Jack Dorsey, auch ein Unterstützer des Nostr-Protokolls. In diesem Video erklärt er grob, wie Nostr funktioniert und was es bedeutet.