Seit 2022 produziert der Musiker Jens Fischer Rodrian in Kooperation mit dem Stuttgarter Label A-MAZE-ING die sogenannten «Protestnoten». Dabei entstehen jedes Mal thematisch gebündelte Alben mit Stücken internationaler Künstler. Ging es in der ersten Ausgabe um die Corona-Politik und deren Auswirkungen auf den Kulturbetrieb, setzte sich die zweite Produktion mit dem Schicksal des damals noch inhaftieren WikiLeaks-Gründers Julian Assange auseinander.
Das dritte Album widmet sich nun dem Krieg in Nahost. «Voices of Gaza» lautet der Titel, angelehnt an das Benefiz-Konzert, das die Musikerin Alexa Rodrian im September 2024 organisiert und dabei 10.000 Euro an Spenden gesammelt hatte. Auch der Erlös aus dem jüngsten «Protestnoten»-Album geht an die Leidtragenden in Gaza. Das Geld kommt unter anderem der Organisation Barakah Charity zu, die Hilfsgüter in das Kriegsgebiet liefert.
Damit ist unmissverständlich, für wen die versammelten Künstler ihre Stimme erheben. Unter ihnen befinden sich auch gewichtige und prominente Persönlichkeiten, Wolfgang Wodarg etwa oder Dieter Hallervorden. Letzter liest auf dem Album ein Gedicht des früheren Linkenpolitikers Diether Dehm vor. Zu melancholischer Hintergrundmusik sind poetische Zeilen voller Mitgefühl für die palästinensische Bevölkerung zu hören. Sie sprechen die Ohnmacht der Opfer an und beklagen den Kriegsdurst von Waffenlieferanten:
Sie geloben Apartheid die Treue
Von Ampel bis AfD
Sie liefern Granaten aufs Neue
Bittend, zart damit umzugehen
Bei Menschen, wie Vieher vertreiben
Mit Hunger und mit Drohnen
Dieser Kinderfriedhof wird bleiben
Als Albtraum für Generationen
Die aus Ohnmacht brodelnde Kraft
Hat sich nie jemand selbst ausgesucht
Doch die Macht, die die Bestien schafft
Aus kaltem Kalkül, sei verflucht
Sanft, metaphorisch und bestimmt
Das Leid der Kinder spricht auch Peyoti For President an, ein ethnisch buntscheckiger Musiker, der Reggae mit lateinamerikanischen Rhythmen verbindet, um seine Message in die Welt zu tragen: «Save the Palestinian Children». Sanft und gefühlvoll präsentiert sich hingegen das Lied «We will not go down», vertont und geschrieben von Michael Heart, gesungen von Nina Maleika, in Singer-Songwriter-Manier und mit einer Bestimmtheit, in der sich unbändiger Überlebenswille Gehör verschafft.
Dieser Song wurde extra für das Album aufgenommen, genauso wie Jakob Heymanns «Stand By», ein in deutscher Sprache vorgetragenes Gitarrenstück, das der Öffentlichkeit ins moralische Gewissen redet. Gleiches gilt für das Duett «Frieden mit dem Frieden schließen» von Jens Fischer Rodrian und Tino Eisbrenner. Beide senden in metaphorischer Sprache und in Begleitung mehrerer Instrumente ein pazifistisches Zeichen, ohne sich auf eine bestimmte Region zu beschränken.
Die Aussage hat universelle Gültigkeit und ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Das unterstreicht das bunte Ensemble, mit Künstlern aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. Produziert wurde das Album in Deutschland, Frankreich, Portugal, Österreich und den USA. Die meisten Tracks werden auf Deutsch und Englisch dargeboten, doch es finden sich auch Songs in anderen Sprachen, Jannis Zotos’ «Kleis to Parathiro» etwa, ein griechisches Stück mit mehrstimmigem Gesang, das gute Voraussetzungen für einen Ohrwurm schafft.
Die Künstlerin Sanam lässt in ihren emotionalen Song «Saffron Sun» ein wenig Farsi einfließen, was sprachlich und klanglich zu einer Verknüpfung von Orient und Okzident führt. Ebenfalls auf dem Sampler vertreten ist ein Text des palästinensischen Poeten Ibrahim Massri, der mit seiner Familie weiterhin in Gaza lebt. Ihn liest Alexa Rodrian, im bedächtigen, erhabenen Duktus, so prononciert wie Sabrina Khalil ihr Gedicht «Immer wieder ist jetzt», in das sie eine Prise Ironie hineinstreut.
Teils bekannte Stücke
Viele der insgesamt 32 Tracks waren bereits vorher veröffentlicht worden und sind gerade in der außerparlamentarischen Opposition und Friedensbewegung bekannt, so wie beispielsweise «Wir könnten» von Kilez More, Äon und Morgaine, ein Song, der spätestens seit den großen Demonstrationen gegen die Corona-Politik zur Hymne für alle geworden ist, die sich für eine bessere Welt einsetzen.
Dazu gehört auch Jens Fischer Rodrians «A’isch». Ich lebe, heißt es auf Arabisch. In Palästina wird dieser Ausspruch als Formel verwendet, um den Nachbarn nach einem Angriff mitzuteilen, dass man unversehrt geblieben ist. Der Song war zuvor in einer Trilogie erschienen, zusammen mit Alexa Rodrians «Eye for an Eye», einem eher rockigen Stück, das das Schicksal der Mütter in Gaza thematisiert und andere Mütter zur Solidarität auffordert.
Der Song hatte es nicht leicht, sich gegen die grassierende Zensur zu behaupten. Auf YouTube wurde er offiziell geshadowbanned. Ähnliche Probleme erlebte der Rapper Bustek, dessen «Free Palestine» den Sampler ebenfalls bereichert. Der Berliner repräsentiert gemeinsam mit seinem Kollegen Lapaz das Hip-Hop-Genre, mit saftigen Punchlines und aufrüttelnden Botschaften.
Gegen das Verstummen von Gesprächen
Einige Lieder sind in einem neuen Gewand zu hören, so wie «Spiegeln» von Purple Schulz, der das Verstummen der Gespräche zwischen den Zeitzeugen des Faschismus in Deutschland und deren Kindern thematisiert. «Es macht keinen Sinn», verkünden gleich die ersten Zeilen: «nach dem Schuldigen zu suchen / nach hinten zu sehen, wenn man vorne fällt / Es bringt keinen weiter / Die Gräber auszuheben / Nur damit irgendeiner / Am Schluss Recht behält.»
Das Album ist ein musikalisches Potpourri aus verschiedenen Stilen und Ausdrucksweisen, ein Sammelsurium an Statements und Sinnbildern. Es beschwingt und regt zum Nachdenken an, es spendet Trost und ermuntert zum Aufbegehren. Der Ton changiert ständig, bleibt aber moderat. An manchen Stellen ist es besinnlich, an anderen sanft und auch mal alarmierend laut. Den Schlusspunkt setzt der berühmte Violinist und Bratschist Michael Barenboim mit einem Instrumentalstück, das sich als Plädoyer für Völkerverständigung verstehen lässt.