Vergangene Woche löste ein Bericht der Schweizer Armeefachstelle Frauen in der Armee und Diversity breite öffentliche Diskussionen aus. Unter dem Titel «Diskriminierung und sexualisierte Gewalt aufgrund des Geschlechts und/oder der sexuellen Orientierung in der Schweizer Armee» präsentierte die Studie alarmierende Zahlen: Über 90 Prozent der Frauen in der Armee hätten sexualisierte Gewalt erlebt. Die Leitmedien griffen die Ergebnisse auf, ohne sie zu hinterfragen, während Armeegegner wie die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) die Resultate nutzten, um die Abschaffung der Wehrpflicht zu fordern.
Doch die Methodik der Studie wirft erhebliche Fragen auf, wie der Historiker und Philosoph Lukas Joos im Schweizer Monat schreibt. Die Erhebung basierte auf einer freiwilligen Online-Befragung, zu der alle weiblichen Armeeangehörigen eingeladen wurden. Diesem Verfahren wohnt ein sogenannter Sample Bias inne, da es keine Kontrolle darüber gibt, ob die Teilnehmenden repräsentativ für die Gesamtgruppe sind. Es ist wahrscheinlich, dass Frauen mit spezifischen Erfahrungen oder Interessen in Bezug auf die Themen der Studie eher teilgenommen haben, was die Ergebnisse stark verzerren kann. Dieser methodische Mangel allein genügt, um den Ergebnissen die wissenschaftliche Repräsentativität abzusprechen.
Zusätzlich gerät die Definition von sexualisierter Gewalt in der Studie in die Kritik. So zählen «unangemessenes Anstarren» oder unerwünschte Komplimente ebenso dazu wie gravierende Übergriffe. Diese subjektiven und weit gefassten Kriterien führen zu einer erheblichen Aufblähung der Fallzahlen. Ein Blick oder ein Kommentar, den die eine Person als harmlos empfindet, wird von einer anderen als übergriffig bewertet. Diese Relativierung von Begriffen könnte dazu beitragen, das Vertrauen in die Statistik zu untergraben – und verharmlost möglicherweise tatsächliche Fälle schwerer Gewalt.
Der Bericht strotzt zudem vor Begriffen und Theorien, die auf eine ideologische Ausrichtung hindeuten. Die Autoren diagnostizieren in der Armee eine «männliche Wettbewerbskultur», die Diskriminierung und Belästigung begünstige. Besonders Menschen, die nicht «männlich, heterosexuell oder cis» seien, stünden in der Armee unter besonderem Druck. Damit erscheint das Urteil bereits vorgezeichnet: Das Militär wird als strukturell sexistisch und diskriminierend dargestellt, und die Studie liefert dazu die passenden Zahlen.
Diese Herangehensweise dient, so Joos, weniger der Erkenntnisgewinnung als der Absicherung der eigenen Position und der Legitimation von Diversity-Programmen. Die Fachstelle, die die Studie verfasst hat, profitiert direkt von der Problematisierung der Zustände. Mehr Probleme bedeuten mehr Bedarf an spezialisierten Stellen und Programmen – eine klare Interessensverflechtung, die jedoch kaum thematisiert wird.
Die Reaktion des Armeechefs Thomas Süssli fällt wenig kritisch aus. In seinem Vorwort zur Studie äußert er Bedauern über die Resultate und kündigt zusätzliche Maßnahmen für Diskriminierungsschutz und Gleichstellung an. Doch gerade diese Anpassungen könnten, so Joos, das Militär weiter auf das ideologische Terrain seiner Kritiker ziehen.
Auch bürgerliche Journalisten und Politiker verhalten sich auffallend unkritisch. Statt die wissenschaftlichen Mängel der Studie zu hinterfragen, nehmen sie die Zahlen unreflektiert als Grundlage für ihre Berichterstattung. Für Joos ist dies ein fatales Signal: Indem sie die fragwürdigen Ergebnisse akzeptieren, stärken sie ungewollt die Position der Armeegegner und beschädigen das Bild der Armee nachhaltig.
Es steht außer Frage, dass es in der Armee – wie in der gesamten Gesellschaft – zu sexuellen Grenzüberschreitungen kommt. Solche Vorfälle müssen konsequent verfolgt und geahndet werden. Doch der Ansatz, systemische Probleme zu postulieren und mit fragwürdigen Daten zu untermauern, schadet mehr, als er nützt. Der Fokus sollte auf praktischen Maßnahmen liegen, wie einer strikteren Führungskultur und klaren internen Regeln, statt auf ideologischen Programmen, die letztlich vor allem junge Rekrutinnen und Rekruten abschrecken.
Lukas Joos warnt abschließend: Wenn die Armee ihre Identität zu sehr den Forderungen ihrer Kritiker anpasst, könnte sie ihre Rolle und Attraktivität als Institution nachhaltig verlieren. Es brauche, so schreibt er, eine klare Abgrenzung von ideologisch geprägter und voreingenommener Wissenschaft, um der Armee in der öffentlichen Wahrnehmung gerecht zu werden.
Kommentare